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Wie aktuell ist Konsumkritik?

Gemäss der Marx'schen Idee der Vergegenständlichung entdeckt der Mensch seine Subjektivität in der sinnlichen Bearbeitung der Natur. Er verwirklicht sich durch seine Arbeit. Unter den Bedingungen der industriellen Produktion fällt ihm dies allerdings immer schwerer. Die in arbeitsteiliger Produktion geschaffenen Produkte entwickeln ein Eigenleben. Hinzu kommt, dass wir den Waren verheissungsvolle Eigenschaften zuschreiben, sie werden zu Fetischen und unser Verlangen nach Konsum nimmt zuweilen sexuelle Formen an. Die meisten der dringendsten aktuellen Probleme, von Umweltverschmutzung bis zum Hunger, hängen letztlich mit unserem Konsum zusammen.

SOZ-MAG Beitrag von Christian Leder

Wie so oft in der Soziologie beginnen wir bei Marx. Das mag anachronistisch anmuten, und tatsächlich wundere ich mich selbst darüber. Als ich zu Beginn des Studiums den Standardtexten (Feuerbachthesen) hinter diesem grossen Namen begegnete, wusste ich herzlich wenig mit meinem Unverständnis anzufangen. Aus dem Geschichtsunterricht der Mittelschule war knapp hängen geblieben, dass es Marx um das Leid der Arbeiter geht. Und jetzt diese nur schwer zugänglichen Abhandlungen. Noch verworrener sind die sogenannten Pariser Manuskripte, denen ich allerdings auch erst später begegnete. Doch ausgerechnet aus ihnen ist mir ein Konzept in Erinnerung geblieben, das mir schon damals, als ich es gelesen und erklärt bekommen habe, irgendwie gefallen und wohl auch unmittelbar eingeleuchtet hat. Es handelt sich um die Idee der Vergegenständlichung: "Das praktische Erzeugen einer gegenständlichen Welt, die Bearbeitung der unorganischen Natur ist die Bewährung des Menschen als eines bewussten Gattungswesens" (Marx 1990:80) - und mittlerweile habe ich mir auch eine Lesart jener Thesen über Feuerbach zurechtgelegt. Der Mensch muss sich in einem Werk spiegeln, um sich darin selbst wiedererkennen zu können; er muss sich seine Welt aus dem in der Natur gegebenen Stoff selbst einrichten und erschaffen. Für Marx sind Arbeit und Technik nicht per se Negativa. Im Gegenteil, sie sind die Bedingungen wahrhaftigen Menschseins. Das Problem ist die Arbeit "im nationalökonomischen Zustand", also: die Arbeit als Lohnarbeit, der freie Verkauf der Arbeitskraft. Daraus ergibt sich die "Entwirklichung" und "Entäusserung" des Arbeiters. Die Entfremdung.
Marx entwickelt die Entfremdung aus der schleichenden, in der totalen Verkehrung des Prinzips gipfelnden Untergrabung des Ideals der Vergegenständlichung. Dieses Pathologisch-Werden der Vergegenständlichung findet sich als grosses Thema wieder bei Simmel. Haben Marx' Texte auf mich immer eher abweisend gewirkt, fand ich bei Simmel oft einen Stil liebenswerter Beschaulichkeit. Statt von "Vergegenständlichung" spricht Simmel von "Objektivierung". Die Diagnose ist im Kern allerdings die gleiche wie bei Marx: der Mensch verliert im Fortschreiten der arbeitsteiligen Produktion seine unmittelbare Beziehung zu den von ihm geschaffenen Werken. Und Simmel wäre nicht Simmel, wenn er es nicht verstünde, uns die Sache an Hand anschaulicher Beispiele aufs Rührendste zu erklären. Es versteht sich von selbst, dass er dabei auf das ausdrucksstärkste Bild nicht verzichten kann: die Bekleidung. Wer geht denn heute noch zum Schneider? Was heute das Privileg einiger Weniger ist (und vielfach snobistisch wirkt), war einst, und das ist gar noch nicht so lange her, ganz normal. Allerdings war der Besuch beim Schneider schon damals für viele alles andere als eine Alltäglichkeit - lange hat man für das Sonntagskleid gespart. Und doch: wenn man nicht das Kleid der älteren Schwester austragen musste, durfte man sich seines eigenen Kleides erfreuen. Nach Mass für einen geschneidert; Ausdruck der Handwerkskunst des Schneiders.
"Die Kundenarbeit, die das mittelalterliche Handwerk beherrschte und erst im letzten Jahrhundert ihren rapidesten Rückgang erfahren hat, beliess dem Konsumenten ein persönliches Verhältnis zur Ware: da sie speziell für ihn bereitet war, sozusagen eine Wechselwirkung zwischen ihm und dem Produzenten darstellte, so gehörte sie, in einigermassen ähnlicher Weise wie diesem, innerlich auch ihm zu" (Simmel 1996:633).
Doch die Arbeitsteilung und Spezialisierung zerstört diese "subjektive Färbung des Produkts". Das Produkt entsteht nun unabhängig vom Kunden, "die Ware ist nun eine objektive Gegebenheit, an die er von aussen herantritt und die ihr Dasein und Sosein ihm gleichsam als etwas Autonomes gegenüberstellt" (Simmel 1996:634). Und bezogen auf den Arbeiter selbst wird ihm das Produkt seiner Arbeit zusehends fremder. Einerseits werden die Produkte stets komplexer, so sehr, dass nur noch ganz wenige ihre Funktionsweise begreifen, und andererseits liegt die Entfremdung des Arbeiters von seinem Produkt in der industriellen Arbeitsweise selbst begründet, in der ein Arbeiter sich auf einen Arbeitsschritt unter vielen spezialisiert - und wer kann sich schon im Beladen eines Förderbandes wiedererkennen?

Kunstwerk versus Konsumprodukt

Mit jenem Selbständigwerden der Warenwelt geht eine Erscheinung einher, die in der Tradition der Konsumkritik durchgehend als negativ bewertet wurde: der Warenfetischismus. Der Ursprung dieser Diskussion ist wieder bei Marx zu finden; im "Kapital" hatte Marx auf den "Fetischcharakter der Ware" aufmerksam gemacht. Der Fetischcharakter wird bei Marx als das Symptom des entfremdeten Menschen gesehen. Also des Menschen, der sich nicht länger in seinen Arbeitsprodukten spiegeln kann.
Das Ideal der Vergegenständlichung ist das Kunstwerk - nicht umsonst findet sich bei der Kunst eine ausgesprochene Ablehnung der Arbeitsteilung. Ein Kunstwerk ist "der reinste Spiegel und Ausdruck" (Simmel 1996: -630) der Innerlichkeit. Die Kunst ist eines der wenigen übrig gebliebenen Felder, wo sich Vergegenständlichung noch wahrhaft entfalten kann (andere Felder sind beispielsweise das Kunsthandwerk oder jene von Simmel hoch gehaltene Kundenarbeit). Das Gegenteil des Kunstwerkes ist das moderne Konsumprodukt. Anstatt uns im Herstellen zu vergegenständlichen, ziehen wir uns das Kleid der Konsumprodukte über. Wir suchen unser Selbst in den Waren, die wir uns kaufen. Neben den blossen Gebrauchswert einer Ware gesellt sich ein symbolischer, ein "mythischer" Wert. Wir verlieren die naturwüchsige Beziehung zu den Produkten. Meist wissen wir zwar, wozu etwas gut ist, was es nützt, oder zu was es nützlich sein soll, nur selten jedoch, wie die Sache entstanden ist, wer sie gefertigt hat und wie sie funktioniert. Simmel spricht davon, "dass die Entwicklung des objektiven Geistes die des subjektiven überhole" (Simmel 1996:645). Dadurch, dass die Waren immer selbständiger und für den Konsumenten immer undurchsichtiger werden, ergibt sich die Möglichkeit, dass Waren mythisiert werden: wenn man die genaue Funktionsweise nicht kennt, wenn man sich nicht genau erklären kann, wozu es nützlich ist, beginnt man das Unwissen mit Mythen zu füllen. Oft schreiben wir Konsumprodukten magische Fähigkeiten zu. Wir glauben, wenn wir dieses oder jenes Produkt hätten, würden wir uns selbst näher sein, oder würden von anderen so gesehen werden, wie wir von anderen gesehen werden möchten.
Die Ware, ein "Fetisch". In Vernachlässigung der Bedeutung von "Fetisch" als etwas Mythischem verwenden wir den Begriff heute vornehmlich in einem sexuellen Zusammenhang. Irgendwie denken wir bei "Fetisch" doch sofort an "Lack und Leder", an unkonventionelle sexuelle Vorlieben, an die niederen Triebe. Einmal davon abgesehen, dass die massenmediale Werbung oft genau an jene sexuellen Lüste appelliert, nimmt unsere Beziehung zu Konsumprodukten tatsächlich oft eine dem sexuellen Verlangen ähnliche Gestalt an. Das dringende Verlangen, jetzt dieses oder jenes Produkt zu haben. Die Fixierung auf ein Produkt, von dessen Besitz man sich Stimulierung verspricht. Die Überzeugung, das Innehaben jenes Tops, jenes mp3-Players oder jener Tasche würde einen mit tiefem Glück erfüllen - und stellen wir nach dem Kauf nicht regelmässig etwas wie eine Ernüchterung, eine postkoitale Tristesse fest? Der orgiastische Kaufrausch endet - wie wohl jeder Rausch in einer Depression endet - in Ernüchterung. Bei Feststellung dieser Verwandtschaft des Kaufrausches zum Sexuellen und Mythischen sollten wir uns, die wir Webers Terminus der "Entzauberung" kennen, fragen, ob die Entzauberung der Natur unser mythisches Bedürfnis auf die Warenwelt verschiebt. Ob wir, da wir unsere Sehnsüchte nicht länger auf die Natur projizieren, einen Ersatz suchen - und ihn im Konsumprodukt finden.

Käuflichkeit des Glücks

Was die Warenwelt als Objekt der Projektion unserer Sehnsüchte so attraktiv macht ist, dass man die Waren grundsätzlich alle kaufen kann. Ganz egal was einer ist und was einer macht: hat er das nötige Geld, kann er sich seinen Wunsch erfüllen. Diese Demokratisierung des materiellen Wohlstandes wurde von liberaler Seite oft hervorgehoben und der sogenannt Amerikanische Traum, die theoretische Möglichkeit vertikaler Mobilität, wurde als Antrieb wirtschaftlichen Handelns postuliert. Dieses Argument unterstellt eine Gleichsetzung der Demokratisierung des Wohlstandes mit einer Demokratisierung des Glücks. Man schreibt den materiellen Gütern die mythische Fähigkeit zu, uns glücklich zu machen. Unter diesen Vorzeichen wird die Arbeit zu einem blossen Mittel zum Zwecke des Erwerbs. Und tatsächlich ist unsere Lebensweise zutiefst geprägt von der wirtschaftlichen Doppelrolle, der Aufspaltung in Arbeiter und Konsumenten. Wir nehmen die Mühen der Arbeit auf uns, um uns nach Feierabend vergnügen und uns dabei selbst finden zu können. Marx hatte gehofft, die zu seiner Zeit exponentiell ansteigende Produktivität würde den Menschen - vorausgesetzt, die kapitalistische Wirtschaftsform wird überwunden - vom "Reich der Notwendigkeit" befreien und ihm die Freiheit des Herstellens zurückgeben (Arendt 2001:156f), bei dem jeder sich selbst in den selbst gefertigten Gegenständen wiedererkennen kann. Doch wie es scheint, haben wir den Glauben an jene Idee verloren, dass wir uns in den selbstgeschaffenen Dingen vergegenständlichen und uns in ihnen spiegeln. Hierin hat sich die Prognose von Marx bewahrheitet: wir leben in einer verdinglichten Welt, wir glauben alles kaufen zu können. Auch unser Selbstbild. Wir wollen uns noch immer in einer objektiven Welt unseres Seins und unserer Individualität vergewissern. Doch statt uns diese Selbstspiegelung selbst zu schaffen, ziehen wir uns einen Lebensstil über, schmücken uns mit Gegenständen, deren Symbolgehalt uns viel mehr interessiert als ihr Gebrauchswert. Beim Kauf eines Produkts kaufen wir uns vorrangig ein "Image"; in dem wir uns selbst zu erkennen glauben.
Dass wir glauben, uns alles kaufen zu können, mag auch mit der von Weber identifizierten protestantischen Ethik zusammenhängen, im speziellen damit, dass wir vom Glauben erfüllt sind, uns alles verdienen zu müssen. Es wird uns nichts geschenkt, alles müssen wir uns erarbeiten: "Im Schweisse deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist" (1 Mo, 3,19). Daraus leitet sich ab: wenn wir arbeiten, steht uns auch zu, glücklich zu werden - und dieses Glück glauben wir mitunter im Erwerb von Konsumprodukten zu finden. Diese Präsupposition unseres wirtschaftlichen Agierens reproduzieren wir jedes Mal, wenn wir die Frustration ob der Eintönigkeit der Arbeit im Glauben herunterschlucken, uns dank der Arbeit etwas leisten zu können, uns später selbst ein Geschenk zu machen. Was wir uns zur Stillung welches Bedürfnisses kaufen müssen, gibt uns die massenmediale Werbung vor; die Werbung verstärkt unseren Glauben an die Wahrhaftigkeit der Waren als Glücks- und Identitätsbringer, insofern ist die Werbung eine grosse Fetischisierungsmaschinerie. Sie ist zwangsläufig unkritisch, sie zementiert unseren mythischen Glauben gegenüber der Warenwelt.
Mit dieser Paraphrase auf Marx und das "falsche Bewusstsein" (Warenfetischismus) und mit der Erwägung eines Zusammenhangs mit der protestantischen Ethik nähern wir uns auch einem der Hauptkritikpunkte der kultur- und konsumkritischen Tradition. Bei Weber zeichnet sich "Vergesellschaftung" dadurch aus, dass zunehmends, sogar im Hausverband, "abgerechnet" und soziales Handeln mehr und mehr "durch Kontrakte geregelt" wird. Habermas hat diesen Kritikpunkt entlang der Differenz zwischen System und Lebenswelt formuliert. Die sogenannte Kolonialisierungsthese besagt, dass "Formen von ökonomischer und administrativer Rationalität in Handlunsgereiche" eindringen, "die sich der Umstellung auf die Medien Geld und Macht widersetzen" (Habermas 1995:488), dass die "Lebenswelt" von "Systemimperativen" eingenommen wird. Und letztlich wendet sich auch Simmels "Philosophie des Geldes" gegen jene Gleichschaltung, die durch eine Reduktion von Objekten auf ihren Geldwert zustande kommt. Dieser Kritik liegt die Befürchtung zu Grunde, der Wert eines Menschen würde immer mehr auf seinen wirtschaftlichen Wert, beispielsweise auf seinen Beitrag zum Bruttosozialprodukt, reduziert; Menschen würden einander zunehmends auf Grund instrumentalistischer Abwägungen begegnen: "was bringt mir eine Freundschaft mit Rachel?", anstatt Rachel, was die Idee der Menschenwürde gebietet, in ihrer Totalität als Mensch zu lieben. Zugespitzt auf unser Thema: Dass man seine Mitmenschen konsumiert, wie man Waren konsumiert.
Habe ich einen ersten Kritikpunkt in der Gefahr der eindimensionalen, nämlich der instrumentalistischen Wahrnehmung von Waren und Menschen ausgemacht, möchte ich einen zweiten Kritikpunkt an der Objektwelt selbst festmachen - allerdings auch hier mit dem Gedanken an die Wirkung auf das Bewusstsein (wir erinnern uns: "Nicht das Bewusstsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewusstsein"). Ausgegangen sind wir von der Idee der Vergegenständlichung: der Mensch erkennt sich und seine Individualität im vergegenständlichten, im objektiv gewordenen Ausdruck seiner Subjektivität. Doch werden die Produkte im Zeitalter der Massenproduktion nicht immer uniformer? In der Tat scheint es zu einem der Hauptprobleme der Produzenten geworden zu sein, dem umworbenen Käufer klar zu machen, wodurch sich ihr Produkt von dem des Konkurrenten unterscheidet. Ganze Marketingabteilungen denken sich die Köpfe heiss, was am Produkt ihrer Firma das ganz Besondere ist, und wie man dies dem Konsumenten verständlich machen kann. Der harte Konkurrenzkampf zwingt die Firmen zur Angleichung ihrer Produkte. Jeder will die grösstmögliche Menge seines (des gleichen) Produkts verkaufen, denn hohe Stückzahl senkt die relativen Entwicklungs- und Produktionskosten. Der Dumme ist der Konsument. Es kommt zur Einebnung aller Unterschiede auf Seiten der produzierten Waren: "Kulturindustrie schlägt alles mit Ähnlichkeit" (Horkheimer/ Adorno). Dieser Kritik liegt die Befürchtung zu Grunde, die Gesetze des "freien Marktes" führten zu einer kulturellen Verarmung, zu einem Verlust an Mannigfaltigkeit materieller Kultur - wodurch sich Subjektivität immer weniger ausdrücken lässt.

Prinzip Hoffnung

Der technische Fortschritt hat uns in vielerlei Hinsicht Erleichterung gebracht. Man müsste annehmen, diese Erleichterung hätte uns zu weiten Teilen vom "Reich der Notwendigkeit" entbunden und im Gegenzug das "Reich der Freiheit" ausgedehnt. Die Marxsche These der Verdinglichung bestreitet das: wir seien so sehr geblendet von einem "falschen Bewusstsein", dass wir gar nicht mehr erkennen würden, dass wir blosse Sklaven des kapitalistischen Systems geworden sind; eine Erscheinung jenes "falschen Bewusstseins" ist der Fetischcharakter der Ware. Mit der Marxschen These konvergiert immerhin die Beobachtung, dass wir im historischen Vergleich wohl krass an Freiheit, man nennt sie "Freizeit", gewonnen haben, diese aber nicht zu vergegenständlichendem Herstellen, zu künstlerischem Tun, sondern zu blossem Konsum nutzen. Wir sind kein Volk von Arbeitern und Künstlern sondern von Arbeitern und Konsumenten. Vor dreissig bis vierzig Jahren hätte eine solche Haltung gegenüber dem Konsum grosses Gehör gefunden. Heute spricht man im Feuilleton grösstenteils unkritisch von der "Erlebnisgesellschaft", der "Freizeitgesellschaft" und der "Spassgesellschaft". Wer heute von "Konsumterror" spricht wird als unzeitgemässer Marxist belächelt. Der Soziologie fällt es immer schwerer, einen kritischen Anspruch zu bewahren. Die Institutionen der Kritik haben sich von der Gesellschaftstheorie gelöst und sind selbständig geworden. Sie machen uns auf die aktuellen Probleme aufmerksam: auf die Umweltverschmutzung, auf die weltweit gesehen massiv ungerechte Verteilung der Ressourcen und des materiellen Wohlstandes, auf Hunger, Krankheit und Tod jenseits unseres Kontinents, auf die Kluft zwischen Armen und Reichen. Alles Probleme, die mit dem Konsum zusammenhängen. Eine Kritik, die am Konsum ansetzt, vertraut auf die Einsicht des Einzelnen. Sie ist dem aufklärerischen Ideal verpflichtet, dass jede/r Einzelne sich ihrer/seiner Verantwortung bewusst wird und sich fragt, ob sie/er damit einverstanden ist, wie es ist. Die Konsumkritik vertraut auf die praktische Vernunft - und unterscheidet sich dadurch vom Marxismus, der die einzige Lösung in der Beseitigung des "falschen Bewusstseins", in der Revolution sieht.

Christian Leder studiert Soziologie an der Universität Bern. Als Hauptinteressengebiet nennt er Soziologische Theorie. Rückmeldungen, Diskussionsbegehren etc. bitte ans soz:mag oder im forum.

Literaturauswahl

Arendt, Hannah (2001)[1958]: Vita activa, München: Piper.
Marx, Karl (1990): Karl Marx, Friedrich Engels, Studienausgabe, Band II. Politische Ökonomie, herausgegeben von Fetscher, I., Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch.
Habermas, Jürgen (1995)[1981]: Theorie des kommunikativen Handelns, Band 2, Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft, Frankfurt am Main: suhrkamp taschenbuch wissenschaft (insbesondere Kapitel VIII).
Simmel, Georg (1996)[1900]: Philosophie des Geldes, Frankfurt am Main: suhrkamp taschenbuch wissenschaft (insbesondere Sechtes Kapitel). Verfügbar auf socio.ch.
Simmel, Georg [1900], Persönliche und sachliche Kultur. Verfügbar auf socio.ch.

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«Kommunikation ist unwahrscheinlich.»

Niklas Luhmann (2001): Aufsätze und Reden, Hrsg: Oliver Jahraus, Stuttgart, S.78