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"der markt hat bereits entschieden."

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Wie Sprache Macht verkörpert - am Beispiel der Debatte über die Patentierbarkeit von Software

"Softwarepatente bedürfen keiner weiteren ökonomischen Begründung. Der Markt hat bereits entschieden", kommentiert Wolfgang Tauchert, Leiter der Abteilung für Datenverarbeitung und Informationsspeicherung am Deutschen Patent- und Markenamt, die aktuelle Diskussion über die Patentierbarkeit von Software in der EU. Andere Kreise - darunter Eurolinux und der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur - wollen "den Markt" nicht ohne Weiteres als Entscheidungsträger akzeptieren und sorgen für eine kontroverse Debatte. Anhand von 4 Texten, die im Rahmen einer Konsultation der EU-Kommission zur Patentierbarkeit von Computer-implementierter Erfindungen entstanden sind, wurde im Rahmen einer Lizentiatsarbeit an der Universität Genf aufgezeigt, wie Macht in Sprache verkörpert ist und wie beim Gebrauch von Sprache Machtstrukturen kreiert, reproduziert und modifiziert werden.

SOZ-MAG Beitrag von Beat Estermann

Den Ausgangspunkt meiner Arbeit bildete die Frage nach dem Zusammenspiel von Sprache und gesellschaftlichen Machtstrukturen. Wer kennt nicht die feministische Kritik am diskriminierenden Sprachgebrauch, der patriarchale Strukturen aufrecht zu erhalten hilft bzw. die daraus resultierende Forderung nach einem geschlechtsneutralen Diskurs? Wem wären nicht ähnliche Forderungen anderer diskriminierter Gruppen bekannt? Nicht unbemerkt ist auch die Debatte darüber geblieben, ob sich dieser oder jener gesellschaftliche Missstand durch "sprachhygienische" Massnahmen bekämpfen lässt. Beispiele von Diskriminierungen und sprachlichen Resistenzen sind in der soziolinguistischen Literatur in Hülle und Fülle vorhanden. Zahlreich auch die Kritiker, die den Herolden des Neoliberalismus vorwerfen, ihr Publikum zu manipulieren, indem sie in ihrem Diskurs "den Markt" als höhere Autorität, als autonome, das gesellschaftliche Geschehen bestimmende Instanz darstellen. Was aber bis anhin weitgehend fehlte, war ein kohärentes Modell, welches darüber Aufschluss gibt, wie bestimmte Entscheide von Sprachbenutzerinnen sich auf ihren sozialen Kontext auswirken - ein theoretisches Modell, welches das Zusammenspiel von Sprache und Macht in der Gesellschaft zu erklären hilft und systematisch aufzeigt, wie sich Macht in Sprache manifestiert.
Ein solches Modell zu entwickeln und an einem pratichen Fall zu testen und zu verfeinern, war die Absicht, die ich mit meiner Arbeit verfolgte. Damit sollte eine thoretische Grundlage geschaffen werden, die sich insbesondere für Diskursanalysen und Erklärungsmodelle eignet, welche gesellschaftliche Veränderungen und ihren sprachlichen Niederschlag zum Gegenstand haben. Das entwickelte Modell soll hier in seinen Grundzügen vorgestellt und seine Anwendung auf einen praktischen Fall im Zusammenhang mit der Debatte über die Patentierbarkeit von Computerprogrammen anhand von einigen Beispielen illustriert werden.

Ein dynamisches Macht-Modell

Macht ist eine Ressource in unserer materiellen oder sozialen Umgebung bzw. in unserer körperlichen oder psychischen Konstitution, auf die wir zurückgreifen können, um unsere soziale Umgebung zu beeinflussen. "Macht haben" bedeutet demnach, in der Lage sein, von der Ressource Macht Gebrauch zu machen; "Macht ausüben" hingegen verweist auf die Tätigkeit, mittels derer von dieser Ressource Gebrauch gemacht wird. Generell können wir zwei Formen von Macht unterscheiden: Die eine - die 'potentielle Macht' - ist Bestandteil unserer materiellen oder sozialen Umgebung bzw. unserer körperlichen oder psychischen Konstitution, und kann aus irgend etwas bestehen, was einem Menschen zum Erreichen seines Ziels nützlich sein kann. Die andere Form von Macht - die 'strukturelle Macht' - ist das Resultat einer vorangegangenen Machtausübung. Strukturelle Macht findet sich in unserem gesellschaftlichen Umfeld vor - in Form von Gewohnheiten, Verhaltensnormen und Institutionen.
Bevor wir allerdings unser Augenmerk darauf richten, wie 'strukturelle' Macht in der sprachlichen Praxis produziert und aufrecht erhalten wird, ein paar Überlegungen zur Definition von Macht: eine der Schwierigkeiten beim Aufstellen einer Macht-Theorie besteht darin, der Dichotomie von Struktur und handelndem Subjekt Rechnung zu tragen. In der Tat haben wir es mit einem dialektischen Prozess zwischen handelnden Individuen und gesellschaftlichen Strukturen zu tun: zum einen sind unsere Identität und unser Handeln von den sozialen Strukturen geprägt, zum andern basieren sie selbst auf der Gesamtheit der sozialen Identitäten und sozialen Praxen der Gesellschaft und werden somit notwendigerweise von individuellen Entscheiden beeinflusst. Im vorliegenden Macht-Modell wird dieser Dichotomie Rechnung getragen, indem dem Individuum - selbst geprägt von gesellschaftlichen (Macht-)Strukturen - die Rolle zukommt, 'strukturelle', d.h. gesellschaftlich verankerte Macht durch Aktualisierung von potentieller Macht neu zu produzieren oder bereits existierende Machtstrukturen zu modifizieren bzw. zu reproduzieren.

Die vier Macht-Aspekte von Diskurs

Der Begriff Diskurs ist vor dem Hintergrund der Wechselbeziehung von Sprache und Gesellschaft zu verstehen. Mit Diskurs sind demnach all die verschiedenen sozialen Aspekte von Sprache gemeint. Alternativ wird der Term dazu verwendet, die Gesamtheit der besonderen logischen und stilistischen Strukturen zu bezeichnen, die typisch sind für die sprachliche Äusserungsweise bestimmter gesellschaftlicher Institutionen oder Gruppen (z.B. der 'neoliberale Diskurs').
Eine erste Vorstellung davon, wie gesellschaftliche (Macht-)Strukturen durch die sprachliche Praxis erzeugt und aufrechterhalten werden, erhalten wir, wenn wir die verschiedenen Macht-Aspekte von Diskurs betrachten: Als Ausdrucksform von (i) 'episodischer' Macht kann Diskurs dazu dienen, eine Handlung oder einen Entscheid unmittelbar zu beeinflussen. Zudem funktioniert Diskurs als (ii) Mittel zur Verteilung von Macht, wenn Machtbeziehungen durch sprachliche Äusserungen bekräftigt oder in Frage gestellt werden, sowie als (iii) strukturelle Macht, wie z.B. bei der Festlegung von Verhaltensnormen oder bei der Begründung von Institutionen. Darüber hinaus spielt Diskurs eine wichtige Rolle bei der (iv) Rechtfertigung der Machtverteilung, d.h. bei der Produktion von Sinn und Wahrheit, auf der ein gegebenes Machtgefüge basiert. Diese vier Macht-Aspekte von Diskurs existieren nicht losgelöst voneinander, sondern nebeneinander, indem derselbe sprachliche Akt auf verschiedenen Ebenen wirksam wird.

Die Textanalyse

Um die verschiedenen Aspekte von Macht in Diskurs nachzuweisen, das entworfene Macht-Modell zu illustrieren und es gleichzeitig zu verfeinern, wurden vier Texte auf ihre Macht-Strukturen hin untersucht. Dabei wurde weitgehend nach den Prinzipien der von Oevermann entwickelten Methode der 'Objektiven Hermeneutik' verfahren. Bei der Analyse wurde in einem ersten Schritt untersucht, welche sprachlichen Elemente der dargelegten Position Ausdruck verleihen und es den Autoren erlauben Macht auszuüben. Daneben wurde überprüft, inwiefern Bezugnahmen auf Institutionen in den Texten eine Rolle spielen, und ob sich innerhalb der Texte Widersprüchlichkeiten nachweisen lassen. In einem zweiten Schritt wurden die vier Textanalysen zueinander in Beziehung gesetzt und existierende Spannungsfelder aufgedeckt, was Rückschlüsse auf gesellschaftliche Entwicklungen ermöglichte.
Die untersuchten Texte waren im Herbst 2000 im Rahmen einer Sondierung der Europäischen Kommission entstanden, welche sich der Frage der Patentierbarkeit von Software widmete. Die Untersuchung von drei Stellungnahmen verschiedenartiger Akteure (Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht, München; European Information and Communications Technology Industry Association - EICTA; EuroLinux), die parallel in Bezug auf dasselbe Sondierungspapier verfasst worden waren, verhiess kontrastreiche Ergebnisse bei optimalen Vergleichsmöglichkeiten. Daneben sollte die Analyse des zusammenfassenden Berichts eines von der EU-Kommission beauftragten Consulting-Unternehmens (PbT Consultants) einen Überblick über die Sondierung als Ganzes gewähren und darüber Aufschluss geben, wie die untersuchten Stellungnahmen mit dem Resultat der Sondierung in Beziehung stehen.

Soll Software patentierbar sein?

Software - ein Zwischending zwischen literarischem Werk und technischer Erfindung - sorgt seit einiger Zeit für heftige Auseinandersetzungen unter Patentjuristen und Computer-Programmierern. Für die einen gehört Software als Sprachwerk in den Bereich des Urheberrechts, andere weisen darauf hin, dass ein Computerprogramm technische Erfindungen beinhalten kann, und damit in den Bereich des Patentrechts falle. In Wirklichkeit trifft wohl beides zu - und auch die juristische Praxis hat sich weder für das eine, noch für das andere entschieden. Das Problem besteht allerdings darin, dass es im Zusammenhang mit der Patentierung von Computerprogrammen in den letzten Jahren zu einem rasanten Anstieg der Patent-Anmeldungen gekommen ist, und dass sich, ausgehend von den USA, auch in Europa eine Ausdehnung des Bereiches des Patentierbaren auf Geschäftsmethoden abzeichnet.
Innerhalb Europas ist die Patentierbarkeit "Computer-implementierter" Erfindungen seit mehreren Jahren Gegenstand einer angeregten Diskussion. Die Handhabung von Patenten, die sich auf Computerprogramme beziehen, soll auf europäischer Ebene vereinheitlicht werden. Gemäss dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) sind Computerprogramme "als solche" nicht patentfähig. Dies bedeutet aber nicht, dass Computerprogramme von der Patentierung komplett ausgeschlossen wären; sowohl nationale Patentämter als auch das Europäische Patentamt (EPA) haben zahlreiche Patente für technische Erfindungen erteilt, bei denen ein Computerprogramm verwendet wird. Dabei gelten für die nationalen Patentämter und für das EPA zwar ähnliche Vorschriften darüber, in welchen Fällen Computerprogramme Gegenstand eines Patents sein können, doch gibt es in den europäischen Staaten bezüglich Rechtsprechung und Verwaltungspraxis der Patentämter erhebliche Diskrepanzen, welche es laut der EU-Kommision zu eliminieren gilt, um der Wirtschaft unnötige Kosten zu ersparen. Im Hinblick auf eine Rechtsangleichung auf EU-Ebene führte die Europäische Kommission im Herbst 2000 eine Sondierung durch, bei der sich die Mitgliedstaaten, Unternehmen, aber auch die breite Öffentlichkeit zur Debatte äussern konnten. Diese Sondierung diente der Untersuchung als Grundlage.

Die verschiedenen Aspekte von Macht in den untersuchten Texten

Im Rahmen der Textanalyse konnten die vier verschiedenen Aspekte von Macht nachgewiesen werden:
(i) Diskurs als Ausdrucksform von 'episodischer' Macht ist dadurch gekennzeichnet, dass er dazu dient, einen Entscheid oder ein Resultat unmittelbar zu beeinflussen - im vorliegenden Fall betrafen die auf dem Spiel stehenden Entscheidungen die Formulierung der künftigen EU-Richtlinie. Zur Illustration ein Beispiel:
"Das Sondierungspapier wurde in dem Arbeitskreis des Max-Planck-Instituts zur Patentierbarkeit von Software unter Teilnahme einer grossen Anzahl von Fachleuten diskutiert. Die in dem Arbeitskreis diskutierten Punkte sind in der folgenden Stellungnahme berücksichtigt."(Schricker/Straus 2000, S.1)
In dieser Passage, die am Anfang der Stellungnahme des Max-Planck-Instituts steht, wird auf eine höhere Autorität verwiesen (eine grosse Anzahl von Fachleuten) und damit der geäusserten Haltung zusätzliches Gewicht verliehen. Weitere Beispiele dafür sind das Anführen von akademischen Titeln, Verweise auf Rechtsprechung und Lehre, die Bezugnahme auf eine Petition, das Manipulieren von Statistiken usw.
(ii) Die Rolle von Diskurs bei der Verteilung von Macht, konnte zunächst da nachgewiesen werden, wo es in den Texten um die Bewertung, Gewichtung und Kategorisierung der verschiedenen Akteure geht. Als Beispiel für diesen Macht-Aspekt lässt sich die Einteilung der verschiedenen Akteure in 'wir' und die 'anderen' anführen, wie sie im Schlussbericht der PbT Consultants (2001) enthalten ist:
"Elements in quotation marks below are, more or less, verbatim in order to give a 'feel' to the comments." (S. 28)
Der Hinweis darauf, dass wörtlich zitiert wird, um dem Leser einen Eindruck vom Original-Wortlaut zu geben, weist darauf hin, dass weder die Consultants noch die intendierte Leserschaft den Sachverhalt in dieser Weise dargestellt hätten. Die nachfolgenden Äusserungen stammen daher von den 'Anderen', die sich 'anders' ausdrücken und die Dinge 'anders' sehen. Aber auch die folgende Einleitung schafft Distanz:
"Many [responses], however, were well considered analyses as seen from the particular perspective of the respondent." (S. 28)
Der Hinweis auf die besondere Sichtweise wirkt klar distanzierend. Die Stellungnahmen werden einer 'anderen' Perspektive zugeschrieben.
Der Aspekt der Machtverteilung im weiteren Sinne wurde zudem im Zusammenhang mit Aussagen identifiziert, welche sich auf die Bedeutung von Dokumenten oder institutionalisierten Diskursen (z.B. Gesetzestexte, Rechtsprechung) beziehen. Um eine Aussage bezüglich eines institutionalisierten Diskurses handelt es sich zum Beispiel, wenn Schricker und Straus (2000) das TRIPS-Übereinkommen als sakrosankt hinstellen:
"Der erste Satz des unter i.) zum Ausdruck gebrachten Schlüsselelements entspricht wörtlich Art. 27 (1) Satz 1 TRIPS und ist somit uneingeschränkt akzeptabel."(S.1)
(iii) Diskurs als 'strukturelle' Macht, trat jedoch nicht nur dort zum Vorschein, wo in den Texten auf institutionalisierte Diskurse verwiesen wurde, sondern es konnte auch aufgezeigt werden, wie solche fixierten Diskurse die diskursive Praxis der Akteure nachhaltig beeinflussen. So erhält zum Beispiel die Frage, ob Software als Bereich der Technik angesehen werden soll, im Rahmen der Debatte über die Patentierbarkeit von Software ihre Bedeutung erst mit der Formulierung "in allen Bereichen der Technik" (in all fields of technology) im TRIPS-Übereinkommen (Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights) oder vergleichbaren Passagen in anderen Gesetzestexten. Aufgrund der fixierten Regel, die das Kriterium der Technik in den Vordergrund stellt, treten andere Kriterien in den Hintergrund. So enthält zum Beispiel die Frage des technischen Charakters von Software in der laufenden Debatte eine ebenso grosse Bedeutung wie die Frage, ob Software-Patente überhaupt innovationsfördernd sind, obwohl erstere Frage losgelöst vom gesetzlich fixierten Diskurs hinsichtlich der Patentierbarkeit völlig irrelevant ist.
'Strukturelle' Macht wurde zudem in Bezug auf den etablierten Sprachgebrauch nachgewiesen, und es konnten Fälle von sprachlichen Resistenzen gegenüber dem Ausdruck bestimmter Sachverhalte identifiziert werden: So behauptet Eurolinux, dass Patente es ihrem Inhaber erlauben würden, das eigenständige Werk (original work) eines Programmierers zu stehlen. Das Problem dabei ist, dass 'Open-Source' und 'freie Software', für die sich Eurolinux einsetzt, einerseits Assoziationen mit 'Offenheit' und 'Freiheit' wecken. Andererseits bedeutet 'frei' aber auch 'kostenlos', was für die Valorisierung dieser Art von Software nicht unbedingt förderlich ist. Zudem wird das Gegenstück zu 'Freier / Open-Source Software' gemeinhin als 'proprietäre Software' bezeichnet. Die semantische Bedeutung von 'proprietär' weist darauf hin, dass jemand auf die betreffende Software einen Eigentumsanspruch geltend macht. Für die 'freie / Open-Source Software' müsste demnach logischerweise das Gegenteil gelten, was in der Realität in einem gewissen Ausmass auch wahr ist, da 'freie / Open-Source Software', an deren Herstellung und Perfektionierung sich potentiell unendlich viele Leute beteiligen und die für alle zur Benutzung freigegeben ist, eine Art kollektives Gut darstellt. Nun scheint aber dieses Konzept der 'kostenlosen' Software ohne eigentlichen Besitzer im Widerspruch zu stehen mit der Behauptung, dass Software-Patente es ihrem Inhaber erlauben, das Werk eines Programmierers zu stehlen. Die Vorstellung eines solchen Diebstahls erscheint im Falle von 'freier' / 'nicht proprietärer' Software absurd. Obwohl die Argumentation selbst durchaus einleuchtend ist, existiert auf der semantischen Ebene ein Widerspruch.
(iv) Was die Rolle von Diskurs bei der Konstruktion von Sinn und der Produktion von Wahrheit anbelangt, so verhält sich die Sache etwas komplizierter: dieser Macht-Aspekt manifestiert sich vornehmlich in Affirmationen von Kausalzusammenhängen, in Aussagen über Eigenschaften und Bedeutung von Gegenständen, Ereignissen oder Institutionen sowie in den portierten Wertvorstellungen. Die Konstruktion von Sinn und die Produktion von Wahrheit scheint eine Voraussetzung für menschliches Denken und Handeln zu sein. Insbesondere im Hinblick auf kollektives Handeln bedarf es in der Regel einer Begründung, wodurch bereits eine Bewertung von Gegebenheiten vorgenommen und ein Kausalzusammenhang postuliert wird. Die Besonderheit des wahrheitsschöpfenden Aspekts von Macht ist, dass er in seiner vollkommenen Form nicht nachweisbar ist, sondern nur postuliert werden kann, indem alles, was komplett Unwillkürlich erscheint als willkürlich und konstruiert gedacht wird. Doch können wir uns selbst nie vollkommen von unserer "Realität" trennen, so wie wir sie wahrnehmen. Der wahrheits- und realitätsschöpfende Aspekt der diskursiven Praxis kann daher nur beschränkt nachgewiesen werden. In den analysierten Texten konnten immerhin zahlreiche Stellen identifiziert werden, wo die verschiedenen Akteure über Sachverhalte Aussagen machen, die einen Wahrheitsanspruch haben, der innerhalb der Software-Patent-Debatte von Bedeutung ist. Wenn diese Aussagen über längere Zeit unwidersprochen repetiert werden, entfalten sie eine wahrheitsschöpfende und realitätsstiftende Wirkung.
Zur Illustration eine Aussage, die sich in unserer Gesellschaft offenbar als Dogma etabliert hat: Patente fördern die Innovation und sind von gesellschaftlichem Nutzen (EICTA 2000). Es widerspricht kaum jemand. Einwände dagegen sind zumeist relativer Natur und beschränken sich in der Regel auf die Identifikation von Ausnahmebereichen, wie z.B.: Der Software-Bereich muss punkto Patentierbarkeit von anderen Bereichen unterschieden werden (EuroLinux 2000).

Mikro- und Makroebene

Aus der Untersuchung ging zudem hervor, dass sich die verschiedenen in den Texten nachgewiesenen sprachlichen Manifestationen von Macht grob unterteilen lassen in Machtstrukturen auf der Mikroebene und entsprechende Strukturen auf der Makroebene.
Die Mikroebene betrifft den einzelnen Text: Strukturierung, textspezifische Metaphern, textspezifische Wortwahl, Syntax, etc. Sie umfasst die sprachlichen Mittel, den sprachlichen Niederschlag von Macht in Diskurs. Ein typisches Beispiel dafür, wie eine Beeinflussung auf der Mikroebene stattfinden kann, ist die Wahl des redeeinleitenden Verbs und des Modus der indirekten Rede:
a) "Die Autoren dieser Stellungnahmen behaupteten, es sei sehr einfach, gegen ein Patent zu verstossen." b) "Die Autoren dieser Stellungnahmen waren der Ansicht, es sei sehr einfach gegen ein Patent zu verstossen." c) "Die Autoren dieser Stellungnahmen wiesen darauf hin, dass es sehr einfach ist, gegen ein Patent zu verstossen." d) "Die Autoren dieser Stellungnahmen räumten ein, dass es sehr einfach ist, gegen ein Patent zu verstossen."
Im Gegensatz zur Mikroebene weist die Makroebene über den Text und die Sprache hinaus und umfasst Hinweise auf Institutionen, Bezüge auf dominante Diskurse, etc. Ein Beispiel für eine Beeinflussung über die Makroebene ist der Diskurs der Gefahr. So wird in der Stellungnahme von Eurolinux die Gefahr der Software-Patente beschwört: eine Gefahr für die Informationsgesellschaft, eine Bedrohung der individuellen Freiheits- und Eigentumsrechte, eine Gefährdung der Unabhängigkeit Europas. Die von Eurolinux vorgeschlagene Regelung hingegen wird als die geeignete Lösung hingestellt, um diese Gefahr zu bannen. Sie garantiere das Überleben von jungen, innovativen KMU, die als Einzige in der Lage seien, der drohenden amerikanischen Dominanz auf dem europäischen Software-Markt erfolgreich die Stirn zu bieten. Damit setzt Eurolinux die eigene Position mit der existentiellen Erfahrung der Gefahr in Beziehung. Die Darstellung der jungen, innovativen KMU als Helden im Kampf gegen den grossen Goliath lässt zudem alte Mythen neu aufleben.
Mikro- und Makroebene sind miteinander verwoben und oftmals lassen sich einzelne Aspekte nicht eindeutig der einen oder der anderen Ebene zuordnen. Die Unterscheidung soll aber darauf hinweisen, dass die Texte aus zwei komplett verschiedenen Blickwinkeln angegangen werden können: entweder mit Blick auf die textinhärenten Strukturen oder unter Einbezug eines weiteren Kontexts, der die verschiedenen Akteurinnen, die Institutionen und die Bezugnahmen auf etablierte Diskurse umfasst.
Die Analyse der vier Texte hat es erlaubt, die verschiedenen Macht-Aspekte in Bezug auf die Software-Patent-Debatte anhand eines praktischen Falles aufzuzeigen und miteinander in Beziehung zu setzen. Das erarbeitete Modell wurde verfeinert, und im Rahmen der Untersuchung von Widersprüchlichkeiten und Spannungsfeldern innerhalb und zwischen den einzelnen Diskursen konnte angedeutet werden, wie sich die Diskursanalyse unter Verwendung des erarbeiteten Macht-Modells dazu verwenden lässt, gesellschaftliche Entwicklungen in ihrem Macht-Kontext zu analysieren.

Beat Estermann hat sein Studium an der Übersetzerschule in Genf abgeschlossen. Der Artikel bezieht sich auf die in diesem Zusammenhang entstandene Lizenziatarbeit: Estermann, Beat (2002), Machtstrukturen in der Sprache - eine Analyse von Diskursen rund um die Frage der Patentierbarkeit von Software. Université de Genève: Ecole de Traduction et d'Interprétation. Der vollständige Text ist online verfügbar unter: » http://www.soziologie.ch/~beat/memoire/

Literaturauswahl

Clegg, S. (1989) Frameworks of Power, London: SAGE.
Fairclough, N. (1989) Language and Power, Harlow Longman.
Fairclough, N. (1992) Language and Social Change, Cambridge: Polity Press.
Lukes, S. (1974) Power: A Radical View, London: Macmillan.
Thompson, J. (1984) Studies in the Theory of Ideology, Cambridge: Polity Press.
Wernet, A. (2000) Einführung in die Interpretationstechnik der Objektiven Hermeneutik, Opladen: Leske + Budrich.

Die untersuchten Texte:

EICTA (2000) EICTA Response to the European Commission's Consultation Paper on "The Patentability of computer-implemented inventions", European Information and Communications Technology Association, 19.10.2000.
PbT Consultants (2001) The Results of the European Commission Consultation Exercise on the Patentability of Computer Implemented Inventions, PbT Consultants, contract number PRS/2000/A0-7002/E/98.
Schricker, G./ Straus, J. (2000) Stellungnahme zum Sondierungspapier der Kommission der Europäischen Gemeinschaften "Die Patentierbarkeit Computer-implementierter Erfindungen", Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht, 18.12.2000.
EuroLinux (2000) DGIM Consultation on Software Patents, EuroLinux Alliance, 15.12.2000

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Foucault über seine eigene Forschungsarbeit:

«Es handelte sich um Forschungen, die einander sehr verwandt waren, ohne indessen ein kohärentes Ensemble zu bilden oder eine Kontinuität aufzuweisen. Es waren fragmentarische Foschungen, von denen letztlich keine vollendet wurde, ja nicht einmal Folgen hatte, zugleich zerstreute und sich ständig wiederholende Forschungsarbeiten, die in die gleichen Konzepte, die gleichen Themen, die gleichen Begriffe zurückfielen [...]. All das schleppt sich hin, geht nicht vorwärts, wiederholt sich und bidlet kein zusammenhängendes Ganzes; im Grunde sagt es beständig das Gleiche, doch sagt es vielleicht auch gar nichts aus. In zwei Worten: es ist nicht schlüssig» Michel Foucault (1977): Intervista a Michel Foucault (Gespräch mit Alessandro Fontana und Pasquale Pasquino vom Juni 1976), in: A. Fontana / P. Pasquino (Hg): Microfisica del Potere: Interventi plitici, Turin, S. 55f.