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durchschaute ideologie?

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Warum manche Menschen nicht an ihre eigenen Vorurteile glauben

Vorurteile, Ideologien und Stereotype sind zentrale Gegenstände soziologischer Forschung. Oft wird dabei aber vergessen, welchen Stellenwert im Subjekt diese Vorstellungen überhaupt haben. Kann man die Vorurteile, die manche Menschen vertreten, überhaupt immer für bare Münze nehmen? Glauben sie wirklich an das, was sie da von sich geben? Die Kritische Theorie zeigt, dass dem fortschreitenden Säkularisierungsprozess niemand ganz entgehen kann, und deshalb Vorurteile zwar vertreten, aber oft gleichzeitig auch durchschaut werden.

SOZ-MAG Beitrag von Daniel Völk

Die in den 1930er Jahren aus Nazideutschland emigrierten Intellektuellen des Frankfurter Instituts für Sozialforschung führten in den 1940er Jahren in den USA mit den ‚Studies in Prejudice‘ ein wegweisendes empirisches Projekt durch. In der unter Mitarbeit Theodor W. Adornos entstandenen Studie ‚The Authoritarian Personality‘ sollte untersucht werden, welche Charakterstruktur Menschen für faschistische Agitatoren empfänglich macht. Mit verschiedenen Methoden der qualitativen Sozialforschung wurde untersucht, wie einzelne Vorurteile miteinander verknüpft sind und durch welche psychische Konstitution sie begünstigt werden. Ausführlich wird das Verhältnis der Stereotypisierung und Personalisierung widersprüchlicher gesellschaftlicher Erfahrungen an Ideologien wie Antisemitismus, Ethnozentrismus, Konservativismus und Religion diskutiert.

Unmittelbar im Anschluss an die Studie in den USA wurde 1950 im Nachkriegsdeutschland mit der Studie ‚Gruppenexperiment‘ begonnen, die einen Blick hinter die Fassade der öffentlichen Meinung ermöglichen sollte. Die Ergebnisse, die vor allem in dem von Adorno verfassten Teil ‚Schuld und Abwehr‘ zu Tage kamen, waren schockierend. Die Schuld am Nationalsozialismus wurde fast immer brüsk abgewehrt, das Verhältnis zur Demokratie war ablehnend, Antisemitismus war stark verbreitet und Reste der nationalsozialistischen Ideologie waren oft in leicht abgewandelter Form noch vorhanden.

In diesen beiden Studien und den in ihrem Kontext verfassten Schriften Adornos taucht immer wieder ein eigenartiges Phänomen auf: Die Menschen glauben nicht an ihre eigenen Vorurteile. Das Phänomen tritt nicht bei allen Teilnehmern auf, manche glauben auch nur vorbewusst nicht an ihre Vorurteile – das heisst, das Wissen um die Falschheit der eigenen Gedanken blitzt nur gelegentlich auf. Dafür lassen sich mehrere Gründe angeben, obwohl eine Erklärung immer ein Moment von Willkür behält, da man nie genau wissen kann, ob ein Einzelner nun seine Vorurteile glaubt oder nicht.

„I don‘t think it is good to be so prejudiced but I can‘t help it”– die Implikationen dieser Aussage der Versuchsperson F 116 aus der ‚Authoritarian Personality‘ sind weitreichend. Und F 116 ist kein Einzelfall, denn nicht selten äussern Vorurteilsvolle besseres Wissen. Teilweise also wissen die in den Studien untersuchten Individuen, dass sie Vorurteile haben, dass ihr Denken falsch und moralisch verwerflich ist, halten aber trotzdem an ihrem Vorurteil fest. Versuche, diesen Menschen zu erklären, dass ihre Ansichten falsch und unvernünftig sind, müssen ins Leere laufen – denn das wissen diese schon längst, bloss ist es ihnen gleichgültig.

Die Stellung dieses Wissens im Subjekt lässt sich treffend mit dem Begriff des Vorbewussten charakterisieren. Dort lokalisierte Inhalte sind prinzipiell bewusstseinsfähig, müssen aber nicht immer aktuell bewusst sein. In dem Moment, in dem ein Vorurteil ausgesprochen wird, wird es wahrscheinlich sogar geglaubt, aber an einer für das Subjekt zugänglichen Stelle im Bewusstsein liegt die Ahnung, dass das, was man sagt, falsch ist.

Nur kurze Zeit vor dem Erscheinen der ‚Studies in Prejudice‘, im Jahr 1944, machte Gunnar Myrdal in seiner monumentalen Studie über die Schwarzen in Amerika, ‚An American Dilemma‘, eine ganz ähnliche Entdeckung. Rassistische Vorurteile hätten gerade in den letzten Dekaden einen schweren Schlag erlitten. Im Grunde wisse jeder, dass diese Vorurteile falsch und irrational seien, und vor allem würden diese von ihren Anhängern selbst als Vorurteile charakterisiert. „Everybody who has aquired a higher education knows that they are wrong. Most white people with a little education also have a hunch that they are wrong.” Dass Menschen trotzdem an rassistischen Stereotypen festhalten, begründet Myrdal mit einem „queer feeling of credo quia absurdum”, dem eigenartigen Gefühl, ein Bedürfnis nach einem Glauben zu haben, den man nicht begründen kann. Die subjektive Dynamik dieses Gefühls zeichnet Myrdal im Gegensatz zu Adorno nicht weiter nach, aber er bezeichnet genau das Problem.

Vorurteile als ‚ticket of admisson‘

Die Erklärung dieses Phänomens läuft quer zu der damals für die Kritischen Theoretiker eigentlich zentralen Frage der Ideologiekritik. Die Ausgangsfrage war die nach den irrationalen Zügen der Ideologie. Die Studie sollte erklären, warum die Menschen sich sehr oft nicht im Sinne ihrer materiellen Interessen verhalten. Das heisst jedoch nicht, dass Ideologie immer völlig irrational und losgelöst von materiellen Interessen existiert. Denn Adorno konstatiert auch, „dass die Menschen im allgemeinen dazu neigen, diejenigen politischen und sozialen Programme zu akzeptieren, die ihrer Meinung nach den eigenen wirtschaftlichen Interessen dienen.“ Und genau dadurch wird die Ideologie zum blossen Mittel degradiert. Sie wird nicht angenommen, weil man an sie glaubt, sondern weil man sich Vorteile davon verspricht. Es handle sich um eine Form der Annahme von Vorurteilen zur praktischen Überwindung eigener Schwierigkeiten, ohne dass das Vorurteil dabei übermässig libidinös besetzt werde. Es erfüllt dann keine psychologische Funktion, im Sinne der Befriedigung narzisstischer oder sadistischer Bedürfnisse, sondern wird für das Individuum zum austauschbaren Mittel zur Erreichung materieller Zwecke.

In ihrem Beitrag zu den ‚Studies in Prejudice‘ nennen Nathan Ackerman und Marie Jahoda den Antisemitismus, der angenommen wird, um Zugang zu bestimmten gesellschaftlichen Cliquen zu bekommen und die daraus resultierenden Vorteile zu geniessen, ein „ticket-of-admission“. Wird das Vorurteil als Eintrittskarte benutzt, so muss man nicht daran glauben, man muss es nur anwenden – der Inhalt des Vorurteils wird egal. Umgekehrt kann ein materielles Interesse auch dazu führen, dass es Ideologien schwächt. So wurde z.B. im Rahmen des New Deals ein Amt zur Preiskontrolle eingeführt, das Office of Price Administration (OPA), das von Vorurteilsvollen gern als bürokratisches Kontrollorgan denunziert wurde. Aber: „Die Auflösung des OPA wegen des ‚verdammten Bürokratismus’ in Washington zu verlangen, könnte bedeuten, das Dach über dem Kopf zu verlieren“ – was zur Folge hat, dass die ideologischen Invektiven an Einfluss auf die Bevölkerung verlieren. Damit können die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Vorurteile hervorrufen, auch genauso einen Grund liefern, sie wieder abzulegen.

Vorgeschobene Gruppenzugehörigkeit

Das Zugehörigkeitsgefühl der Vorurteilsvollen zu einer ingroup wirkt auf den ersten Blick überzeugt, teilweise geradezu fanatisch. Bei genauerem Hinsehen aber entpuppt sich auch da ein Moment von Schauspielerei, die eine subjektive Aktivität oder Kreativität voraussetzt. Üblicherweise würde man den Vorgang der Identifikation mit einer Gruppe psychoanalytisch so fassen, dass das Kollektiv oder dessen Führer an die Stelle des eigenen Über-Ichs gesetzt wird und man damit die Normen dieses Kollektivs zu seinen eigenen macht. Ausserdem ergibt sich ein narzisstischer Gewinn aufgrund der imaginierten Zugehörigkeit zu einem Kollektiv. Nun wird genau diese Identifizierung aber von Ackerman und Jahoda als „pseudo-identification mediated on an ‚as if’ level“ bezeichnet. Die Identifikation mit Kollektiven sei gerade Ausdruck von Ich-Schwäche und Bindungsunfähigkeit, weshalb die Zugehörigkeitsbekundungen zwar lautstark sein mögen, im Grunde aber immer unstabil und schwach bleiben. Ackerman und Jahoda verabschieden sich vor diesem Hintergrund sogar zu einem gewissen Grad vom Begriff der Identifikation und verwenden zusätzlich den der Imitation, d.h. der bewussten Nachahmung. Ihre Versuchspersonen täuschen vor, bestimmte Eigenschaften eines Kollektivs zu besitzen, deshalb verliert die Bezeichnung der Identifikation, die immer einen unbewussten Prozess charakterisiert, ihren Sinn. In eine ähnliche Richtung argumentiert Adorno, wenn er im Gruppenexperiment beschreibt, dass Menschen, die eigentlich zu Solidarität und Empathie mit anderen gar nicht mehr in der Lage sind, ihr Nationalbewusstsein bloss fingieren. Man stelle sich als Beispiel die Figur des Spiessers vor, der gerne von Deutschland redet, aber jede Gelegenheit nutzt, seine deutschen Mitbürger anzuzeigen.

Die Annahme von Vorurteilen als Identifikation mit einem Kollektiv wird aber nicht nur geschwächt durch eine allgemeine Unfähigkeit zur Empathie, sondern auch durch das bedrohliche Moment, das das Kollektiv für den Einzelnen neben der narzisstischen Gratifikation aufweist. Denn eine Gruppenzugehörigkeit verlangt dem Teilnehmer auch Opfer ab und erfordert ein bestimmtes Mass an Unterordnung, was beim Individuum Angst auslösen kann. Schliesst man sich einem Kollektiv an, so weiss man nie genau, worauf man sich einlässt, was vielleicht von einem gefordert oder was einem angetan wird. Deshalb findet eine Identifikation statt, die sozusagen sicherheitshalber unter Vorbehalt gestellt wird – subjektiv wird ein Hintertürchen offen gehalten.

In seinem im Kontext der ‚Authoritarian Personality‘ entstandenen Aufsatz, ‚Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen Propaganda‘, der 1951 erschien, analysiert Adorno ebenfalls das Phänomen einer bloss agierten Identifikation anhand der faschistischen Massen in Europa:

„Theatralisch sind die Führer ebenso wie der Identifizierungsakt der Masse, ihre angebliche Raserei und ihr Fanatismus. Sowenig wie die Menschen im Innersten wirklich glauben, dass die Juden der Teufel sind, glauben sie ganz an den Führer. Sie identifizieren sich nicht mit ihm, sondern agieren diese Identifizierung, schauspielern ihre eigene Begeisterung und nehmen so an der ‚Show’ ihres Führers teil. Durch diese „Inszenierung“ erzielen sie ein Gleichgewicht zwischen ihren ständig mobilisierten Triebbedürfnissen und der geschichtlichen Stufe der Aufklärung, die sie erreicht haben und nicht beliebig zurücknehmen können.“

Dieses Argument von Adorno fasst die Problematik zusammen: Man kann unter den bestehenden modernen Verhältnissen eigentlich nicht mehr abergläubisch sein, hat man aber ein Bedürfnis danach, so gibt man sich dem Aberglauben gelegentlich hin und geniesst die Show. Der moderne Mensch ist, wie Max Horkheimer in der Einleitung zu den ‚Studies in Prejudice‘ schreibt, gleichzeitig aufgeklärt und abergläubisch. Hinter den Stand der Aufklärung oder Säkularisierung der Welt kann man nicht gänzlich zurückfallen. Wer sich permanent in einer konkurrenzbestimmten Ökonomie bewegt, kann nicht widerspruchslos an die Gemeinschaft glauben, die Konkurrenz vermeintlich aufhebt. Gerade für die in Amerika vorherrschende Bewusstseinsform konstatiert Adorno eine „sales resistance“, einen Widerstand in den Menschen, sich etwas andrehen zu lassen, der sich auch auf die Politik übertragen lasse und an den aufklärerische Praxis anknüpfen könne, weil dieser Widerstand gegen die faschistischen Agitatoren gerichtet werden könne. Aber auch die „sales resistance“ unterliegt einer Dialektik, die Adorno im Kulturindustriekapitel der ‚Dialektik der Aufklärung‘ beschreibt:

„Gerade die Abstracta hat man als Kundenwerbung zu identifizieren gelernt. Sprache, die sich bloss auf Wahrheit beruft, erweckt einzig die Ungeduld, rasch zum Geschäftszweck zu gelangen, den sie in Wirklichkeit verfolge. Das Wort, das nicht Mittel ist, erscheint als sinnlos, das andere als Fiktion, als unwahr. Werturteile werden entweder als Reklame oder als Geschwätz vernommen.“

Damit kann sich die sales resistance auch gegen den kritischen Gedanken wenden, indem die Menschen gar nichts mehr ernst nehmen – ausser implizit den Status quo.

In seinen ‚Remarks on the Authoritarian Personality‘ bezieht Adorno den Säkularisierungsprozess, der eben nicht spurlos an den Subjekten vorbei geht, auf die Inhalte der Beschreibungen von Kollektiven, denen meist irgendwelche Traditionen und eine „lange“ Geschichte zugeschrieben werden und die gegen die Eigenschaften von Fremdgruppen abgegrenzt werden. So redet der weisse Agitator in den USA von bestimmten Charaktereigenschaften, Sitten und Bräuchen der Weissen im Gegensatz zu denen der Schwarzen. Unter modernen kapitalistischen Verhältnissen aber kann es keine „alten“ Traditionen geben, nach Adorno handelt es sich vielmehr um „artificial pseudo-traditions“. Und da das nie völlig unbemerkt bleiben könne, führe es dazu, dass kaum jemand wirklich überzeugt ist, von dem was der Agitator erzählt. Die Basis, um wirklich an etwas zu glauben, ist in der entzauberten Welt verschwunden, die Vorurteilsbilder und Inhalte seien „phony“, d.h. gefälscht oder erschwindelt, und darum immer ein wenig unglaubwürdig. Dieses „fake element“ werde in den amerikanischen Verhältnissen besonders deutlich, da es hier keine vorkapitalistische Ära gegeben habe und damit jeder wirkliche Einfluss von Traditionen ausgeschlossen sei.

Bewusste Schuldabwehr

Im ‚Gruppenexperiment‘ zeigt sich das hier skizzierte Phänomen hauptsächlich in den dort beschriebenen Schuldabwehrmechanismen. Diesen ist eine gewisse Distanz insofern schon immer implizit, da Schuldabwehr immer auch ein Gefühl von Schuld voraussetzt. Darum sei die Schuld, so Adorno, auch nicht wirklich immer im engen psychoanalytischen Sinne unbewusst oder verdrängt. Es ist nicht so, dass die untersuchten Personen ohne Unrechtsbewusstsein widerspruchsfrei affirmieren, was im Nationalsozialismus geschehen ist. Auch das projektive Moment der Schuldabwehr, z.B. die Behauptung, Schuld am Nationalsozialismus sei eigentlich nur Hitler, hat mit Psychologie manchmal gar nichts zu tun. Oft seien die beschriebenen Abwehrstrategien nur der zweckmässige Versuch, sich selbst zu entlasten, oder sie stellten mehr oder minder rational gewählte Gegenvorwürfe dar. Auch hier wird folglich die Ideologie vom Subjekt bloss als Mittel benutzt, und das Wissen um die Falschheit der eigenen Gedanken ist, zumindest vorbewusst, vorhanden. In seiner Replik auf die Kritik des Sozialpsychologen Peter R. Hofstätter am ‚Gruppenexperiment‘ schreibt Adorno, es sei „durchaus möglich, dass die sogenannten tieferen Motivationen, die inoffizielle Meinung, auf die wir stiessen, gar nicht so sehr tief sind; dass es sich, psychoanalytisch gesprochen, mehr um Vorbewusstes als um Unbewusstes handelt“. Adorno wendet sich damit auch gegen eine Dramatisierung der Ergebnisse des ‚Gruppenexperiments‘, die selbst wieder apologetische Zwecke erfüllen kann, wenn man die Folgerung zieht, doch besser nicht daran zu rühren oder darüber zu sprechen. Die nicht-öffentliche Meinung, die im ‚Gruppenexperiment‘ zu Tage kam, ist nach Adorno kein „Gespenst im Schrank“, vor dessen Tiefgründigkeit man Ehrfurcht zu haben braucht. Oft geht es gar nicht um komplizierte, unbewusste Mechanismen, sondern die Menschen wissen ganz genau, dass sie Schuld tragen.

Das heisst jedoch nicht, dass nicht einige Fälle tatsächlich als wahnhaft zu klassifizieren wären, doch die Unterscheidung könnte man sicher nur in genauer Analyse eines Einzelfalls treffen. Weil Adorno aber anmerkt, er würde das Material nicht nach dem Schema ‚rationales Kalkül’ versus ‚wahnhafte Vorstellung’ ordnen, sondern nach dem Inhalt, muss das ganze ‚Gruppenexperiment‘ vor dieser Folie gelesen werden. Jedes der dort beschriebenen Ideologeme kann geglaubt oder ungeglaubt sein, oder sich irgendwo im Bereich dazwischen befinden.

Das hier aus einigen Schriften der Kritischen Theoretiker herausgearbeitete Moment der Ideologiekritik ist insofern zentral, als dass dessen Missachtung zu schwerwiegenden Fehleinschätzungen führen kann. Beachtet man es nicht, arbeitet man sich an vermeintlich total verblendeten oder fanatisierten Subjekten ab und ist in Wirklichkeit nicht viel weiter als der Gegenstand der Kritik. Wer beispielsweise meint, Reklame zu kritisieren, indem er schreibt, sie würde den Menschen etwas versprechen, was sie nicht halte, rennt sicher nur offene Türen ein. Auch dass die Bildzeitung lügt, ist heute zum common sense geworden. Oder schlimmer noch: Der Vorurteilsvolle hat seinen Kritiker genau da, wo er ihn haben will. Nimmt man z.B. einen Rassisten zu ernst, tut man ihm oft geradezu einen Gefallen. Durch die detaillierte Widerlegung rassistischer Inhalte macht man diese erst zum anerkannten Teil einer Diskussion. Ausserdem kann es durchaus apologetische Züge tragen, wenn man Vorurteile als so tief im Subjekt verankert beschreibt, dass es scheint, als könne dieses gar nicht anders denken.

Dass Ideologie oft als falsch durchschaut, aber trotzdem an ihr festgehalten wird, unterliegt einer Dialektik, die einem entweder Angst oder Hoffnung machen kann. Denn einerseits besteht die Gefahr, dass die Ideologie gerade, weil sie nicht geglaubt wird, umso heftiger bestätigt werden muss. So beschreibt Adorno in der ‚Authoritarian Personality‘, dass gerade das schlechte Gewissen beim Äussern von Vorurteilen oder sogar der entsprechenden Praxis zu einer Masslosigkeit führen könne, um sich und anderen zu beweisen, dass man im Recht sein müsse. Je weniger man glaubt, was man denkt und tut, desto mehr braucht man der Rechtfertigung durch die blosse Tat. Andererseits aber heisst das nicht Ernstnehmen von Ideologie und Vorurteil, dass diese auch jederzeit einfach abgelegt werden können. Dann könnte man sich eingestehen, wie die Welt wirklich ist, und die Konsequenz daraus ziehen sie in einen menschenwürdigen Ort umzugestalten.

Daniel Völk (28) hat an der Universität Hannover Soziologie studiert und seine Magisterarbeit über die ‚Studies in Prejudice‘ und das ‚Gruppenexperiment‘ geschrieben.

Literaturauswahl:

Ackermann, N. W. & M. Jahoda (1950): Anti-Semitism and Emotional Disorder - A Psychoanalytic Interpretation. New York.
Adorno, Th. W. (1950): Remarks on the Authoritarian Personality by Adorno, Frenkel-Brunswik, Levinson, Sanford. Typoskript im Max Horkheimer Archiv der Stadt- und Universitätsbibliothek. Frankfurt a. M. (MHA). VI. 1. D 71-100 c1955.
Adorno, Th. W., E. Frenkel-Brunswik; D. J. Levinson & R. N. Sanford (1950): The Authoritarian Personality. New York.
Adorno, Th. W. (1975 [1957]): Replik zu Hofstätters Kritik des ‚Gruppenexperiments‘. In: Ders. Gesammelte Schriften. Bd. 9.2, Frankfurt a. M. 378-394.
Myrdal, G. (1944): An American Dilemma. The Negro Problem and modern Democracy. New York.
Pollock, F. (Hg.) (1955): Gruppenexperiment. Ein Studienbericht. Frankfurt a. M.

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Niklas Luhmann (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 11.