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soziologie.ch soz:mag#8 "wir sind eigentlich alle künstler, oder!?"

"wir sind eigentlich alle künstler, oder!?"

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Jazz zwischen Authentizität und Entertainment - Deutungsmuster eines Jazzer-Ehepaars

Adorno konnte ihn nicht ausstehen, beschimpfte ihn als "autoritäre Rebellion" oder "konforme Auflehnung". Dieses Verdikt ist überholt, doch im Laufe der Zeit sind neue (Vor-)Urteile entstanden: Jazz sei elitär und abgehoben, richte sich nach dem verstiegenen Geschmack von Insidern, sagen die einen. Andere verklären ihn als musikalischen Triumph eines ungebändigten und wilden Lebens. Beide Typen lassen sich unter Jazzer-Innen auffinden - manchmal sogar auf engstem Raum. Im Gespräch mit einem Jazzer-Ehepaar gingen die Autorinnen des folgenden Beitrags den unterschiedlichen Jazz-Bildern nach, untersuchten Selbstentwürfe und Gesellschaftsbilder von Jazz-Musikern und analysierten kulturelle Deutungsmuster.

SOZ-MAG Beitrag von Manuela Daboussi, Simone Pulfer und Leena Schmitter

Deutungsmuster sind weder isolierte Meinungen, noch Einstellungen zu einem partikularen Handlungsobjekt, sondern nach allgemeinen Konsistenzregeln strukturierte Argumentationszusammenhänge mit eigener Logik (vgl. Honegger 2001). Um diesen „Hypothesensystemen“ im Feld der Jazzmusik nachzugehen, wurden für den vorliegenden Text Leitfadeninterviews mit einem Jazzer-Ehepaar geführt. Wir interessierten uns für das Kunstverständnis der Musikerin und des Musikers und untersuchten dazu die Fallstruktur sowie die jeweiligen kulturellen Deutungsmuster im Sinne Oevermanns - also „das ’ensemble’ von sozial kommunizierbaren Interpretationen der physikalischen und sozialen Umwelt“ (Oevermann 2001).

Die authentische Musikerin, die sich nicht gut verkaufen kann

Ella ist am 18. September 1960 in der schwedischen Kleinstadt Åmal geboren, wo sie in einer protestantischen, siebenköpfigen Familie aufwächst. Ihr Vater ist Konfektionshändler in einer Chefposition, ihre Mutter arbeitet als Krankenschwester und ist zugleich Hausfrau. Ella hat zwei ältere Schwestern, einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester. Eine der älteren Schwestern ist Krankenschwester und scheint in die Fussstapfen ihrer Mutter getreten zu sein. Die jüngere Schwester ist als Musiklehrerin und -therapeutin dem Arbeitsfeld von Ella am nächsten.

In Åmal besuchte Ella die Hauptschule und danach das Gymnasium. Nach einem Jahr an der Musikhochschule entschliesst sie sich mit 20 Jahren für eine Gesangsausbildung am Konservatorium, welches sie 1983 als diplomierte Sängerin verlässt.

Während ihrer Ausbildung lernt sie an einem Konzert in der Schweiz den Schweizer Peter kennen. Die beiden heiraten 1982 und verbringen zusammen zehn Jahre in Schweden. In dieser Zeit kommen auch ihr Sohn (1982) und ihre Tochter (1984) zur Welt. Ella gibt während dieser Zeit immer selbstständig Kurse als Musiklehrerin in Gesang und Chor.

1991 kehrt die Musikerfamilie in die Schweiz zurück nach Biel. Ella ist bis 1996 Gesangslehrerin und Chorleiterin an zwei verschiedenen Jazzschulen. Ihre jetzige Anstellung an der Musikschule in Bern tritt sie 1994 an, wo sie Gesang unterrichtet und mehrere Chöre leitet.

Der Entertainer, der auf der Bühne sterben möchte

Peter kommt am 10. Februar 1953 in einem protestantischen Umfeld in Basel zur Welt. Seine Mutter ist als Buchhalterin für ihre Generation hoch qualifiziert. Später arbeitet sie als Hausfrau mit Nebenverdienst. Sein Vater ist Architekt. Wie Peter ist auch sein jüngerer Bruder als Filmemacher im künstlerischen Feld tätig.

Nach der Primar- und Sekundarschule verbringt Peter ein Jahr im schweizerischen Welschland, worauf er dann eine dreijährige Lehre als Verkäufer in einem Radio-TV-Geschäft absolviert. Mit dem Lehrabschluss in der Tasche kann er 1977 mit gutem Gewissen seine Ausbildung zum Schlagzeugspieler an der Jazzschule in Basel beginnen. Er bricht seine Ausbildung aber vorzeitig ab und wandert 1981 nach Schweden zu seiner Freundin Ella aus. Die beiden heiraten 1982 und bleiben insgesamt zehn Jahre in Schweden, wo auch ihre Kinder geboren werden. Um bei der finanziellen Versorgung der Familie mitzuhelfen, betätigt er sich in einer staatlichen Musikerorganisation beim Booking (Management, Gigs buchen). Als sie 1991 wieder in die Schweiz zurückkehren, kann Peter während fünf Jahren die Filialleitung in einem Radio-TV-Geschäft in Biel übernehmen. Heute ist er freischaffender (Jazz)-Schlagzeuger und erteilt sporadisch Unterricht.

Authentizität und Wahrhaftigkeit vs. Authentizität und Fun

Authentizität ist ein Schlagwort, das für den Stellenwert, den Ella der Musik beimisst, bezeichnend ist. Sie spricht von einer Art Wahrhaftigkeit, die der Musik eigen ist und von Musik als wertvollem Gut und Ausdrucksmittel – durch diese kann man sich anders geben als man sonst ist: „Einfach weil Musik eine Ebene ist, auf der man anders... musizieren, anders sein kann“. Neben der Betonung der Freiheit vergleicht sie sich auch mit einem Kunstmaler, indem sie sagt: „Du hast einfach das Material vor dir, aber du kannst selbst bestimmen, wie du es zusammensetzt“. Sie nimmt Bezug auf den Künstler, der die Freiheit des Schaffens besitzt und durch Kunst die Welt neu zusammensetzen kann. An weiteren Stellen bezieht sie sich auf die Freiheit zur Improvisation, die sie ebenfalls als wertvoll erachtet und sehr schätzt. Neben der wichtigen Bedeutung, die Improvisation für sie zu haben scheint, erwähnt sie auch die „höhere Ebene“, auf der sich die Improvisation zusammen mit der Komposition befindet.

Sie führt weiter aus, dass Musik Qualität hat, wenn „du spürst, das die Person dahinter steht und etwas zu sagen hat, eine Ausdrucksweise kann man sagen“. Wenn man nun, wie Ella, von Musik als Ausdrucksmittel der eigenen Gefühle spricht, dann ist es nur konsequent, dass man dafür ernst genommen und wertgeschätzt werden möchte. Als ein entscheidendes Erlebnis beschreibt sie folgendes Ereignis: „Ihr kennt ja auch was läuft, wenn man an ein Konzert geht!? // Mhm // Nicht ein klassisches Konzert. // Mhm // oder!? Es, eh, wird geschnured, es wird getrunken. Und hier in der Schweiz war ich so überwältigt: Die Leute hören zu. Und, und reagieren auf die Musik… nehmen es richtig ernst“. Wertschätzung heisst für sie also Aufmerksamkeit und Anerkennung zu bekommen für das, was sie ausdrückt.

Im Gegensatz zu Ellas Verständnis muss die Musik für Peter zwar auch authentisch sein, aber allem voran „fägen“, „Spass machen“ und „grooven“. Auf die Frage, was er dem Publikum geben möchte, antwortet er: „Eh, a Good Time, primär einmal, würde ich sagen, so dass sie, ja wirklich a Good Time haben, dass es fägt“. Und wenn’s nicht mehr fägt, dann macht er es nicht mehr: „Was ich nicht gerne habe, wenn die Leute aufdringlich werden oder wenn es nach Zoff riecht. // Mhm. // Dann, das habe ich gar nicht gerne. Dann tu ich am liebsten gerade, eh, das Zeug verlassen. // Ja // Einfach ‚Tschüss zusammen‘. Das hasse ich, ja. Oder wenn du einfach eh... mies behandelt wirst. // Mhm. // Dann fägt es nicht, logisch nicht. Dann fägt es keinem, oder!?“. Peter beschreibt an dieser Stelle also den Spass, den er haben und vermitteln möchte, aber auch die Konsequenz, die er zieht, wenn dem nicht so sein sollte: Nötigenfalls arbeitet er nicht mehr weiter. Er möchte, wie Ella auch, wertgeschätzt werden, denn durch negative Auseinandersetzungen oder Aufdringlichkeit fühlt er sich schlecht behandelt. Seine Strategie in einer solchen Situation ist es sich zurückzuziehen.

Künstlerverständnis: Auserwähltheit vs. Demokratie

Jazzmusiker neigen im Allgemeinen dazu, die Frage, ob Jazz eine Kunstform sei, als irrelevant abzulehnen (vgl. Steinert 2003). Auch Ella und Peter gehen selbstverständlich davon aus, dass sie von sich selbst wissen, wann sie Kunst produzieren und wann sie Auftragsarbeit leisten: Kunst ist es, wenn sie ihre eigene Musik spielen, wenn sie ehrlich sind und sich ausdrücken können. Hier ist vor allem die Haltung Ellas zu erkennen. Aber auch Peter benutzt einen ähnlichen Künstlerbegriff: „Künstler“ ist für ihn primär ein Attribut, das einem zugeschrieben wird, etwas Passives also. Man nennt sich nicht selber einfach „Künstler“. So sehen sich Ella und Peter beide eher als Musiker, als „ausübende Musiker“ bzw. als Sängerin.

In Bezug auf den Begriff des Künstlers geht Peter von etwas Anrüchigem, von „Larifari“ und Unseriosität aus. Dann fügt er an: „Irgendwie… ja jeder ist ein Künstler. // Mhm. // Wieso soll das eine Gruppe für sich sein, nöime. Wieso soll ich für mich in Anspruch nehmen, ich sei ein Künstler? Ich bin einfach ein ganz Normaler, wie jeder andere auch, mit Ecken und Kanten. // Mhm. // Und Fehlern. Klar, ich bin ein Künstler (trommelt auf dem Tisch), aber du bist auch ein Künstler, du bist auch ein Künstler, es ist einfach jeder ein… wir sind eigentlich alle Künstler, oder!? // Wenn schon Künstler, dann sind wir alle Künstler und sonst bin ich einfach Musiker.“

Aus diesem Statement kann man deuten, dass Peter davon ausgeht, dass aus jedem etwas werden kann, wenn er oder sie nur will – er hat also ein „demokratisches“ Verständnis davon, wer Künstler ist. Ella hat ein etwas elitäreres Verständnis davon, wer ein Musiker ist: Talente gibt es nicht wie Sand am Meer. Sie argumentiert in Richtung Begabung und Auserwähltheit. Sie beschreibt sich als eine Person, die schon immer Sängerin war. Mehrmals kommt sie auf den Punkt zu sprechen, dass sie eine von nur sechs aus 300 Bewerbenden war, die – zwar nicht im ersten Anlauf, aber doch im zweiten – ins Konservatorium aufgenommen wurden. Sie selber gehört also zu den ‚Auserwählten’. Zum Künstlerbegriff führt sie aus: „Künstler wäre... weiss auch nicht was ein Künstler ist, aber… dann würde ich vielleicht sagen ‚Ja, ich muss meine Sachen machen, ich nehme keine Schüler und lebe immer noch auf einem Stein‘“.

Demnach müsste man einfach seine Wünsche und Ambitionen verfolgen und auf eine sichere Finanzierung des Lebens verzichten – für sie dürfen Künstler nämlich machen, was sie wollen, dafür müssen sie aber auch um ihre Existenz und die finanzielle Sicherung bangen. Ihre Unentschlossenheit, sich Künstlerin zu nennen, hängt, wie im nächsten Abschnitt ersichtlich wird, auch mit ihrer aktuellen Lebenssituation zusammen.

Musik als Leidenschaft und Musik als Geschäft

Anders als Peter geht Ella von einem gewissen Gegensatz zwischen Musik und Geschäft aus. Ein Diplom ist für sie hilfreich, um eine Anstellung zu bekommen und um angemessen bezahlt zu werden. An einer Stelle erzählt sie von einer einzelnen Musikerin, die so begabt war, dass sie auch ohne Diplom an einer Jazzschule unterrichten konnte. Das spezielle Hervorheben dieser einen Person unterstreicht, wie gewichtig sie die Ausbildung einschätzt. Ein Diplom ist für Peter nicht wirklich von Bedeutung. Das sieht man an folgender Stelle, an der die Interviewerin fragt, ob die Ausbildung zum Verkäufer wichtiger gewesen ist, als das Musikerdiplom: „Jaa, irgendwie für mich schon. Weil mit dem Diplom… gut, wenn du, Musiklehrer machst, bist du natürlich mit dem Diplom besser dran, um an einer guten Musikschule zuchezcho. // Mhm. // Das ist, das ist ganz klar.“

Man kann aus dieser Stelle überdies einen kleinen Seitenhieb gegen Ella herauslesen, denn sie besitzt das Diplom und ist Musiklehrerin. Peter hingegen erklärt: „Aber, eh, als Musiker, als ausübender Musiker, der, der will Gigs machen gehen und mit Bands arbeiten, da nützt das Diplom aber kein Scheiss. // Mhm // Wegen dem bekommst du keinen einzigen Gig, wegen dem Diplom. Dort musst du geschäftstüchtig sein und gute Produkte haben und gute Ideen haben, deine Show machen. Ja, dann geht’s“. Peter möchte also Gigs, eine Show bieten und performen – Ella hingegen befindet sich momentan auf der finanziell sichereren Seite mit ihrer Anstellung als Musiklehrerin und Chorleiterin. Sie betont vor allem, dass man mit dem Diplom einen besseren Lohn hat und dass sie sich nicht verkaufen könne. Trotzdem sieht sie sich als diejenige, die dafür zuständig ist, dass Geld nach Hause kommt. Sie braucht das Diplom, um einen guten Lebensstandard zu gewährleisten, andrerseits trennt sie dies von der Musik als Leidenschaft, die sie lebt.

Anregende Vielfalt

Der Punkt, der am auffälligsten bei beiden auftaucht, ist erstens der tendenzielle Optimismus, den beide besitzen, obwohl Ella Dinge etwas häufiger problematisiert als ihr Ehemann, und zweitens die Wertschätzung der Vielfalt. Vielfalt einerseits in Form von menschlicher Diversität, aber auch in Form von Jazz als abwechslungsreiche Musik. Peter führt zur Vielfalt der Menschen aus: „Und diese Menschen, die haben verschiedene Eigenarten und sind verschieden, und das ist ja so das Wunderbare an den, an den Menschen, oder!? Die müssen nicht alle gleich sein (lacht)“. Ihm sind die Beziehungen zwischen den Menschen wichtig, er spricht oft über seine Freunde und beschreibt Musik als etwas Völkerverbindendes, mit dem man kommunizieren kann, wenn einem die Worte fehlen oder wenn man nicht dieselbe Sprache spricht.

Zum Jazz erklärt Ella, dass diese Stilrichtung ein breites, vielfältiges musikalisches Spektrum hat: „Wenn die Leute ‚Nein, ich habe Jazz nicht gern.‘ sagen, gell, oder!? Die haben leider, muss ich wirklich sagen, keine Ahnung. // Mhm. // Weil Jazz ist so vielfältig.“ Ihrer Meinung nach ist Pop viel simpler und eingeschränkter als Jazz: „Es ist einfach, Pop ist nicht vielfältig… gegenüber Jazz. // Mhm. // Das weiss ich, weil ich unterrichte sehr viel Pop. Habe auch gerne Pop. Aber es ist einfach, das ist pf… // Mhm. // Heute kann mein Schüler kommen mit einem Celine- Dion-Lied und einem Mariah-Carey-Lied, oder wie sie alle heissen, und ich weiss innerhalb von zwei Minuten „Okay, das ist jetzt, eh, Strophe und da, okay, // (lacht) // fangen wir an, in dieser Tonart, und dann kommt die Vorstrecke und macht so, okay, ja genau, ah, kleine Finesse.“ // (Lacht) // Das kannst du nicht mit Jazz.“ In der Abgrenzung zu Pop sind sich Peter und Ella nicht einig und darin liegt wohl auch der Grund für ihre unterschiedliche Betätigung auf dem Feld der Jazzmusik. Beginnt Peters Werdegang im Kontakt mit Popmusik, so startet Ellas Karriere in einer Musikhochschule und im Konservatorium. So gesehen kann der Werdegang und das Umfeld während desselben als prägend für das spätere Musikverständnis angesehen werden: Peter spielt öfters Rock oder Dixieland, also vermarktbare Musikstile, während Ella zwar auch verschiedene Stile spielt, jedoch ihre Begeisterung, wie gezeigt wurde, mehr dem Jazz gilt.

Jazz zwischen Authentizität und Entertainment?

Ella und Peters Deutungsmuster sind über ihre Funktion und Rolle als Jazzmusiker und Sängerin auf objektive Handlungsprobleme bezogen: Jazz bewegt sich für die beiden zwischen den in der Gesellschaft bestehenden Bildern und ihren subjektiven Interpretationen. Sie sprechen über Jazz sowohl als ein Handwerk, eine Tätigkeit und eine Berufung, aber auch von der Bestimmung zur Künstlerin und dem Lebensgefühl des Jazz. Weibliche Groupies, Drogen, Protest gegen bürgerliche Normen, Abgrenzung, Party und Massenbegeisterung gehören dazu, wie auch die besondere Leistung und der einsame Kampf während des Werdegangs zum Musiker. Vermutlich haben sich einige ihrer geteilten Definitionen in der gegenseitigen Auseinandersetzung ergeben: Umso interessanter ist es zu sehen, dass unterschiedliche Künstlerbilder und Kunstverständnisse nebeneinander bestehen bleiben.

Jazz wird von den beiden nicht als Kunstprodukt angesehen, sondern als Ereignis: Das Moment der Improvisation, das vor allem von Ella immer wieder betont wird, heisst nicht, dass man nicht plant oder probt, sondern vielmehr dass man sich seinen Teil selber entwirft und gestaltet und sich von der momentanen Stimmung beeinflussen lässt. Als eine ‚allgemeine Konsistenzregel’, als ein ‚strukturierter Argumentationszusammenhang’ im Sinne Oevermanns kann die Besonderheit des Jazz dadurch ausgemacht werden, „das[s] der Zuhörer und Zuschauer in der Musik die Beziehung zwischen den Musikern miterleben kann“ (Steinert 2003). Man kann demnach insbesondere in der Jazzmusik vorführen, wie gegenseitige Anerkennung durch Musik möglich ist. Es handelt sich um (musikalische) Auseinandersetzungen darüber, wer den Ton angibt, wer Einfluss auf das Gesamtgeschehen gewinnt und das Entstehen von etwas Gemeinsamem.

Abschliessend bleibt zu sagen, dass „Künstler“ heute wohl zu einem „Prototyp“ von individuellen Persönlichkeiten geworden sind: Im Gegensatz zu früher, wo insbesondere Klasse, Politik und Geschlecht als zentral angesehen wurden, haben sich verschiedene Kunstfelder herausgebildet, denen zusätzlich eine identitätsstiftende Wirkung nachgesagt werden kann. Während in der Systemtheorie Kunst im binären Code schön-unschön auftritt, konnten wir zudem herausarbeiten, dass sich die Probleme um die Felder Beruf-Professionalität, Übung-Berufung und um den Themenbereich Wahrhaftigkeit und Authentizität gruppieren.

Manuela Daboussi studiert Soziologie an der Universität Bern und Gender Studies an der Universität Basel; Simone Pulfer Ethnologie, Soziologie und Allgemeine Ökologie an der Universität Bern; Leena Schmitter Geschichte, Soziologie und Philosophie ebenfalls in Bern. Der Artikel beruht auf einer Seminararbeit im Rahmen des Seminars "Die Analyse kultureller Deutungsmuster" an der Universität Bern.

Literaturauswahl:

Honegger, C. (2001): Deutungsmuster reconsidered. In: Burkholz, R., Gärtner, Ch. und Zehenreiter F.: Materialität des Geistes. Zur Sache Kultur – im Diskurs mit Ulrich Oevermann. Weilerswist 2001, S. 107-136.
Oevermann, U. (2001): Zur Analyse der Struktur von sozialen Deutungsmustern, in: Sozialer Sinn, Heft 1, S. 2-33.
Oevermann, U. (2002): Klinische Soziologie auf der Basis der Methodologie der objektiven Hermeneutik – Manifest der objektiv hermeneutischen Sozialforschung. Manuskript, März 2002.
Steinert, H. (2003): Die Entdeckung der Kulturindustrie. Oder: Warum Professor Adorno Jazz-Musik nicht ausstehen konnte. Münster.

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«Deshalb ist er [der Arme] im sozialen Sinn erst arm, wenn er unterstützt wird. (…) Soziologisch angesehen ist nicht die Armut zuerst gegeben und daraufhin erfolgt Unterstützung (…), sondern derjenige, der Unterstützung geniesst (…), dieser heisst der Arme»

Simmel, Georg (1992 [1908]): Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 551.