soziologie.ch

 
  • Increase font size
  • Default font size
  • Decrease font size
soziologie.ch soz:mag#7 leben in zwei welten

leben in zwei welten

E-Mail

Die Doppelwelt der Hooligans und die Auswirkungen auf ihr Frauenbild

Wie stellt sich ein Hooligan seine Lebensgefährtin vor? Und wie geht er mit Bezugspersonen um, die nicht im Hooliganismus verankert sind und seiner Zugehörigkeit zu einer gewalttätigen Männergruppe meist wenig Verständnis entgegenbringen? Vom Leben in zwei Welten.

SOZ-MAG Beitrag von Renate Gutmann und Myriam Rutschmann

Die meisten Hooligans führen unter der Woche ein gesellschaftlich integriertes Leben. Sie gehen einer geregelten Arbeit nach, treffen sich mit Freunden ausserhalb der Hooliganszene, und einige von ihnen haben eine Freundin, welche nicht in Hooligankreisen verkehrt. Lediglich am Wochenende werden die jungen Männer als Hooligans auffällig.

Die gewalttätigen Ausschreitungen der Hooligans werden in unserer Gesellschaft grösstenteils abgelehnt. Die Hooligans selbst jedoch möchten trotzdem gesellschaftlich integriert sein. Es ist den Hooligans durchaus bewusst, dass ihre nicht im Hooliganismus verankerten Bezugspersonen ihrer Freizeitbeschäftigung wenig Verständnis entgegenbringen. Dies nötigt die Hooligans dazu, innerhalb zweier Welten zu leben – in der bürgerlichen Welt und der ‚Hooliganwelt‘.

Die bürgerliche Welt der Hooligans

Solange sich die Hooligans auf das Normen- und Wertesystem der bürgerlichen Welt beziehen, versuchen sie ihre Aktivitäten zu rechtfertigen und zu verharmlosen. Hooliganismus wird als Spiel mit fairen Spielregeln dargestellt. Sie betonen, dass keine unbeteiligten Menschen verletzt werden, sondern dass es sich um eine Art Vereinbarung zwischen den Hooligans unterschiedlicher Clubs handelt, die sich lediglich in einem bestimmten Rahmen zu einer bestimmten Zeit gegenüber treten, nämlich während und nach gewissen Sportveranstaltungen. Es ist ihnen wichtig, ihre Gewalt von „sinnloser“ Gewalt zu unterscheiden. Als „sinnlose“ Gewalt bezeichnen sie Gewaltanwendung ausserhalb eines regelgeleiteten Rahmens. Die Gewalt innerhalb des Hooliganismus wird damit als ritualisierte Gewalt in bürgerliche Normen und Werte eingebettet.

Die Hooliganwelt

Innerhalb der Hooliganwelt muss die Gewalt nicht gerechtfertigt oder mit bürgerlichen Normen und Werten erklärt werden. Es hat sich gezeigt, dass die Gewalt hier unter anderem als Mittel dient, sich bei anderen Gruppenmitgliedern Anerkennung zu verschaffen.

Nach Aussagen der Hooligans darf ein ‚richtiger Mann‘ sich nicht beleidigen lassen, sondern muss sich dagegen wehren. Wer sich nicht auf körperliche Auseinandersetzungen einlassen will, wird als ‚Weichei‘ betitelt. Dementsprechend hat ein Mann also alleine durch sein Mannsein die Legitimation oder sogar die Pflicht, sich durch gewalttätiges Verhalten zu verteidigen. Andere Lösungen der Problembewältigung fehlen oder werden für einen Mann als inadäquat betrachtet. Die Gruppenmitglieder sind davon überzeugt, dass sich die meisten Männer eigentlich danach sehnen, Gewalt auszuleben, obwohl sie dies in ihrem bürgerlich angepassten Leben nicht so formulieren würden. Sie beschreiben Situationen, in denen ihnen andere Männer bei ihren Ausschreitungen zusehen, sich aber nicht trauen mitzumachen. Die Hooligans streben demnach innerhalb der Hooliganwelt durch das Ausleben von Gewalt eine traditionelle Form von Männlichkeit an. Ihrer Meinung nach wird diese Form von Männlichkeit durch die heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse unterdrückt. Die Hooligans sehen sich damit auch als diejenigen, die es in der heutigen Zeit wagen, eine ursprüngliche und damit echte und naturgegebene Männlichkeit zu leben.

Grundsätzlich wird aber trotzdem die bürgerliche Welt höher bewertet. Begründung dafür sind Zukunftsperspektiven, welche die Männer eher in der gesellschaftlich angepassten, bürgerlichen Welt als in der Hooliganwelt erwarten .

Das Frauenbild der Hooligans

Eng mit der Rezeption der Männlichkeit ist auch ein bestimmtes Frauenbild verknüpft, welches ebenfalls durch die zwei unterschiedlichen Welten geprägt ist. Die Spaltung des Frauenbilds erinnert an die altbekannte Zuordnung von Frauen in die Kategorien ‚Heilige’ und ‚Hure‘.

Als Lebenspartnerinnen beziehungsweise langfristige Freundinnen kommen nur Frauen aus der bürgerlichen Welt in Frage. Sie werden moralisch überhöht und es wird versucht, sie von allem, was in irgendeiner Form schmutzig oder gefährlich sein könnte, fern zu halten. Oft wird die Mitgliedschaft bei einer Hooligangruppe vor ihnen verschwiegen. Die meisten Männer planen mit einer Heirat oder einer Familiengründung aus der Männergruppierung auszusteigen. Die Frauen aus der bürgerlichen Welt haben damit eine zukunftsorientierte Funktion.

Die Frauen aus der Hooliganwelt gehören zwar nicht der Hooligangruppe an, da diese rein männlich organisiert ist, sie halten sich aber an ähnlichen Orten auf wie die jungen Männer. Sie gehen an gemeinsame Anlässe und feiern und trinken mit ihnen. Sie kommen als Lebenspartnerinnen nicht in Frage, sondern sind eher Sexualpartnerinnen in kurzfristigen Beziehungen. Oft sind sie in kurzer zeitlicher Abfolge Partnerinnen von verschiedenen Männern aus der gleichen Gruppe. Dadurch werden sie von diesen abgewertet und fallen in die Kategorie ‚Hure‘. Einige der Frauen hegen eigentlich die Hoffnung, entweder als gleichwertiges Mitglied der Hooligangruppe akzeptiert zu werden oder mit einem der ‚starken Männer‘ eine längerfristige Beziehung eingehen zu können. Dieser Wunsch bleibt durch die strikte Trennung der bürgerlichen und der Hooliganwelt jedoch in fast allen Fällen verwehrt.

Umgang mit der Doppelwelt

Hooligans müssen einen Umgang mit dem Spannungsverhältnis zwischen der Hooliganwelt und der bürgerlichen Welt finden. Je stärker eine Person in der Hooliganwelt verhaftet ist und je grösser die Abweichung vom gesellschaftlich Akzeptierten ausfällt, umso grösser wird das Spannungsverhältnis zwischen den beiden Welten. Je nach individueller Gewichtung der beiden Welten, greifen die Mitglieder der Gruppe zu unterschiedlichen Bewältigungsstrategien.

Mitgliedern mit einer bedeutenden Verankerung in der bürgerlichen Welt und einer hohen Vertrautheit mit gesellschaftlichen Normen und Werten gelingt es oft in Sekundenschnelle, von einer Argumentationsweise in die andere zu wechseln und sich dadurch in beiden Welten regelkonform zu verhalten. Anderen Mitgliedern mit weniger Bezugspersonen in der bürgerlichen Welt und damit schlechterer Einbettung in deren Normen und Werten bleibt oft nur die Möglichkeit, die beiden Welten voneinander zu trennen und ihre Zugehörigkeit zur Hooligangruppe in ihrem gesellschaftlich angepassten Umfeld zu verschweigen. Auf diese Weise vermeiden sie, ihre Mitgliedschaft rechtfertigen zu müssen. Dadurch wird das Spannungsverhältnis aber nicht gelöst, sondern bloss eine Auseinandersetzung damit vermieden.

Renate Gutmann und Myriam Rutschmann studierten Pädagogik (Hauptschwerpunkt Sozialpädagogik) an der Uni Zürich. Grundlage für den Artikel bildet ihre Lizentiatsarbeit "Das Frauenbild der Hooligans. Eine exemplarische Fallstudie." (Gutmann und Rutschmann, 2001). Die Erhebungen zur Studie fanden im Zeitraum zwischen Winter 1999 und Sommer 2000 in Form von Experteninterviews, teilnehmender Beobachtung, Gruppeninterviews und Einzelinterviews mit Mitgliedern einer Schweizer Hooligangruppe statt.

Attachments:
FileFile size
Download this file (sozmag_07_gutmann.pdf)sozmag_07_gutmann.pdf194 Kb
 

«Das Gesellschaftssystem wird demnach nicht durch ein bestimmtes Wesen, geschweige denn durch eine bestimmte Moral (...) charakterisiert, sondern allein durch die Operation, die Gesellschaft produziert und reproduziert. Das ist Kommunikation.»

Luhmann, Niklas (1998): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 70.