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"soziale ausgrenzung"

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Der neue Armutsbegriff unter der Gender-Lupe

Die "soziale Ausgrenzung" hat sich in der Sozial- und Entwicklungspolitik als einflussreiches Konzept etabliert. Nach seiner ‚Entdeckung' in Europa (genauer in Frankreich) wird das Phänomen der sozialen Ausgrenzung nun in aller Welt diagnostiziert, wobei der ursprünglich westliche Diskurs auf die unterschiedlichsten nicht-westlichen Kontexte übertragen wird. Immer öfter wird in der Forschung, in der Politik und im Alltag der Begriff der Armut durch das Konzept der sozialen Ausgrenzung ersetzt. So formuliert auch die internationale Entwicklungsgemeinschaft heute ihre Strategien zur Armutsreduktion im Rahmen der sozialen Integration. Dieser Ansatz bringt jedoch Probleme mit sich, nicht zuletzt auch deshalb, weil er Gender-Aspekten zu wenig Beachtung schenkt.

SOZ-MAG Beitrag von Rahel Kunz

KritikerInnen betrachten die Ausbreitung des Diskurses der "sozialen Ausgrenzung" mit Skepsis und weisen auf problematische Konsequenzen hin. Dabei stehen jedoch Gender-Aspekte selten im Vordergrund. Im Folgenden soll daher der Diskurs der sozialen Ausgrenzung - und die darauf basierenden Strategien zur Integration - auf seine Gender-Dimensionen hin untersucht werden. Illustriert wird die Analyse am Beispiel einer Rede des Präsidenten der Weltbank James Wolfensohn "The Challenge of Inclusion", die er 1997 anlässlich der Jahreskonferenz der Weltbank und des IWF gehalten hat.

Diskurs und Macht

Diskurs und Macht sind eng miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. So manifestiert sich zum Beispiel das Nord-Süd-Machtgefälle im Diskurs der sozialen Ausgrenzung. Gleichzeitig trägt der Diskurs aber auch zur Aufrechterhaltung dieses Machtgefälles bei. Dies kommt in der Wissensproduktion zum Ausdruck: Wissen wird vornehmlich von westlichen Institutionen (Forschungsinstituten, internationale Organisationen, usw.) produziert und kontrolliert. Es wird allgemein angenommen, dieses Wissen sei neutral und habe universale Gültigkeit. Diese Annahme wird jedoch den historischen, kulturellen und sozialen Besonderheiten dieses Wissens in keiner Weise gerecht. Westliches Wissen ist nicht universell, sondern basiert auf typisch westlichen Werten, die in der westlichen Tradition verwurzelt sind (wie z.B. Marktlogik oder instrumentelle Rationalität). Die Gender-Forschung hat sich überdies mit den Gender-Dimensionen dieses sogenannten neutralen, universellen Wissens beschäftigt. Dabei ist klar geworden, dass vermeintlich neutrale Annahmen oftmals auf typisch maskulinen Lebenserfahrungen beruhen.

Die Reproduktion der ungleichen Machtverhältnisse zwischen Nord und Süd durch die Expansion des Diskurses geschieht auf verschiedenen Ebenen. Einerseits durch die Übernahme von westlichen Werte- und Denk-Systemen. Dabei werden Definitionen und Lösungen des Armutsproblems durch den Diskurs der sozialen Ausgrenzung bestimmt, was alternative Denkweisen erschwert. Andererseits tragen Integrationsstrategien - basierend auf dem Diskurs der sozialen Ausgrenzung - zur Erhaltung der mächtigen Positionen von westlichen Unternehmen, Entwicklungs- und Finanzinstitutionen bei, die zum Beispiel dank Mikrokredit-Programmen neue Kunden gewinnen.

Die Macht des dominanten Diskurses sollte allerdings weder unter- noch überschätzt werden: Der Diskurs der sozialen Ausgrenzung ist zwar sehr einflussreich und hat weitreichende Auswirkungen auf die betroffenen Bevölkerungsgruppen. Er ist jedoch nicht allmächtig oder allumfassend, so dass stets Raum bleibt für alternative Diskurse und Widerstand. Diskurse müssen immer wieder von neuem geschaffen werden und können deshalb auch verhandelt und verändert werden.

Entstehungsgeschichte des Konzepts der "sozialen Ausgrenzung"

Der Diskurs der sozialen Ausgrenzung wurde ursprünglich von Max Weber und Emile Durkheim geprägt. Sein Wiederauftauchen in den 60er Jahren in Frankreich wird allgemein einer Rede zugeschrieben, die der französische Minister René Lenoir 1974 hielt - im Kontext eines Europas, das mit der Ölkrise, wachsender Arbeitslosigkeit, zunehmender Migration und sozialen Aufständen konfrontiert war. In den 80er Jahren breitete sich der Diskurs der sozialen Ausgrenzung in ganz Europa aus und führte zur Schaffung von Institutionen, die soziale Ausgrenzung bekämpfen sollten, wie zum Beispiel das Ministère de l'intégration et de la lutte contre l'exclusion in Frankreich. Auch die Europäische Union übernahm den Diskurs, was in einer 1989 vom Ministerrat verabschiedeten Resolution zum Ausdruck kommt, die sich mit dem Problem der sozialen Ausgrenzung auseinandersetzt. In der Schweiz zählt soziale Ausgrenzung ebenfalls zum geläufigen Vokabular. Mit den Vorbereitungen für den Weltgipfel für Soziale Entwicklung, der 1995 in Kopenhagen stattfand, breitete sich der Diskurs auf internationaler Ebene weiter aus. Seither haben sich zahlreiche internationale Organisationen (ILO, UNESCO, UNDP) wie auch die Bretton-Woods Institutionen den Diskurs angeeignet.

Wolfensohns Rede "The Challenge of Inclusion" gilt allgemein als Ausdruck der Institutionalisierung des Diskurses der sozialen Ausgrenzung in der Weltbank und somit auch in der internationalen Entwicklungsgemeinschaft. Zunehmende Kritik, die von den verheerenden sozialen Auswirkungen der Strukturanpassungsprogramme der 80er Jahre und dem wachsenden Graben zwischen Arm und Reich hervorgerufen wurde, führte in den 90er Jahren zu einem Paradigmenwechsel. Zahlreiche KritikerInnen - vor allem auch Frauenorganisationen - verlangten eine Revision der wirtschaftslastigen Perspektive und Strategie der Bank. Die Bank reagierte darauf, indem sie dem sozialen Aspekt der Armutsbekämpfung vermehrt Gewicht verlieh, was unter anderem im Diskurs der sozialen Ausgrenzung zum Ausdruck kommt. In seiner Rede präsentiert Wolfensohn den aktuellen Stand des Kampfes gegen die weltweite Armut und zeigt die Ziele der Weltbank und der internationalen Entwicklungsgemeinschaft in der Armutsbekämpfung auf: Als Hauptpfeiler zur Umsetzung des "Traumes der integrativen Entwicklung" sollen Wirtschaftswachstum und Partnerschaften zwischen öffentlichen und privaten Akteuren dienen (Wolfensohn 1997:9).

Feministinnen sind geteilter Meinung über die Gender-Dimensionen des Diskurses der sozialen Ausgrenzung. Die einen sind begeistert von diesem Diskurs, weil er im Gegensatz zu früheren Diskursen die Frauen in die Analyse der Armut mit einbeziehen und weil Strategien sozialer Integration ein starkes Empowerment-Potential hätten. Dem kann jedoch entgegengehalten werden, dass der Diskurs der sozialen Ausgrenzung auf Annahmen basiert, die Gender-Stereotypen und Gender-Rollen reproduzieren, und dass Integrationsstrategien für Frauen oft negative Auswirkungen haben.

Anhand Wolfensohns Rede kann aufgezeigt werden, wie der Diskurs der sozialen Ausgrenzung Strategien zur sozialen Integration legitimiert, die oftmals negative Auswirkungen für die Betroffenen haben. Integrationsstrategien wurden lange Zeit vor allem im Zusammenhang mit der Integration in den Arbeitsmarkt betrieben. Zahlreiche Studien haben aufgezeigt, dass diese Strategien negative Auswirkungen für Frauen haben können (siehe z.B. Jackson 1999). Seit den 90er Jahren steht sowohl auf nationaler wie auch auf inter-nationaler Ebene vor allem die finanzielle Integration im Mittelpunkt. Dabei konzentrieren sich die Massnahmen gegen die Armut auf die Integration ‚armer Menschen' (grösstenteils Frauen) in das Finanz-System, was vor allem mit Mikrokredit-Strategien erreicht wird. Es ist jedoch fraglich, ob solche Integrationsstrategien das Problem der Armut und der sozialen Ausgrenzung lösen können.

Integration als Patentrezept?

Betrachtet man den Diskurs der sozialen Ausgrenzung aus der Gender-Perspektive, können drei Hauptkritikpunkte identifiziert werden. Die erste Kritik betrifft die Dichotomie Ausgrenzung/Integration, die dem Diskurs der sozialen Ausgrenzung zu Grunde liegt. Solche Dualismen sind problematisch, weil sie auf einem restriktiven Begriff der Macht basieren, wobei die Ausgegrenzten machtlos und die Integrierten machtvoll sind. Es wird angenommen, dass das Problem der sozialen Ausgrenzung gelöst werden kann, indem die Ausgegrenzten in die Gesellschaft integriert werden. Das Problem dabei ist, dass die Komplexität des Phänomens der Armut und der sozialen Ausgrenzung sowie Kombinationen von Ausgrenzung und Integration nicht erfasst werden können. So können zum Beispiel Gender-Stereotypen dazu führen, dass für viele Frauen die Integration in Familienstrukturen Hand in Hand geht mit ihrer Ausgrenzung vom öffentlichen Leben und vom Arbeitsmarkt. Weiter ist die automatische Assoziation von Ausgrenzung als negativ und Integration als positiv problematisch, weil die Armut dabei mit ungenügender Integration gleichgesetzt wird. Studien aus Lateinamerika zum Beispiel haben gezeigt, dass das Problem der Armut nicht fehlende, sondern fehlgeschlagene Integration in den Weltmarkt ist (Faria 1995). Zudem wird vollständig ignoriert, dass Ausgegrenzte und Aussenstehende ein Widerstandspotential besitzen. Schliesslich hat Integration immer auch einen Preis und bringt zusätzliche Disziplinierung und Regulierung mit sich. So richten sich Integrationsstrategien oft nicht auf die Wurzeln der Probleme, die soziale Ausgrenzung und Armut herbeiführen. Indem sich die Lösung des Armutsproblems auf soziale Integration beschränkt, werden Strategien vernachlässigt, die zu strukturellen Veränderungen führen könnten.

So wird zum Beispiel in Wolfensohns Rede die Armut als "Tragödie der sozialen Ausgrenzung" beschrieben, während die Entwicklungsarbeit als "Kampf gegen soziale Ausgrenzung" und "Aufgabe der Integration in den wirtschaftlichen Mainstream" definiert wird (Wolfensohn 1997:3). Der Begriff der sozialen Ausgrenzung und die Dichotomie Ausgrenzung/Integration halten damit Eintritt in den Diskurs der Weltbank und der internationalen Entwicklungsgemeinschaft. Die Art und Weise wie das Problem formuliert wird - d.h. als soziale Ausgrenzung - beinhaltet gleichzeitig schon die Lösung: Integration.

Kredite machen Leute

Zweitens kann kritisiert werden, dass der Diskurs der sozialen Ausgrenzung auf einem äusserst limitierten Konzept der Gesellschaft basiert, das Gesellschaft mit kapitalistischer Gesellschaft gleichsetzt. Zur Gesellschaft gehören nur diejenigen, die ein Bankkonto besitzen, kreditfähig sind und sich am kapitalistischen Marktsystem beteiligen. Unter der Gender-Lupe erscheint dies als problematisch, da angenommen wird, dass kapitalistische Gesellschaften gender-neutral sind und zum Empowerment von Frauen führen. Dabei werden alle Gender-Aspekte der kapitalistischen Gesellschaft und des kapitalistischen Weltmarkts sowie die Möglichkeit, dass die kapitalistische Gesellschaftsordnung zur Armut von Frauen beiträgt, ausser Acht gelassen. So etwa das kapitalistische Kreditsystem, das Kredite nur an Personen mit Eigentumsbesitz genehmigt. Frauen sind grundsätzlich benachteiligt, da weltweit weniger als 1% des Eigentums in Frauenhänden ist (World Bank 1997). Für Frauen hat ein solches Kreditsystem also konkrete negative Auswirkungen. Ein derart limitierter Begriff von Gesellschaft führt zu Integrationsstrategien, deren Hauptziel es ist, Menschen (vor allem Frauen) in Märkte (Arbeits-, Finanzmarkt, etc.), und damit in den kapitalistischen Weltmarkt zu integrieren. Dabei interessiert es nicht, warum gewisse Leute, eine Vielzahl davon Frauen, nur beschränkt oder gar keinen Zugang zu Eigentum, Kredit und Arbeitsmarkt haben.

In Wolfensohns Rede kommt dieser limitierte Begriff von Gesellschaft in einer Anekdote zum Ausdruck. Er erzählt von seinem Besuch einer Favela in Brasilien, wo die Weltbank ein Wasserversorgungsprojekt unterstützt: Als er mit dem Vizegouverneur von Rio de Janeiro durch die Favela spaziert, führen ihm die Frauen das fliessende Wasser vor. Viel wichtiger ist für Wolfensohn jedoch, dass die Frauen ihm stolz ihre Wasserrechnungen zeigen. Damit wollen sie jedoch nicht etwa gegen die Privatisierung oder die hohen Preise der Wasserversorgung protestieren; in Wolfensohns Rede wird ihr Verhalten damit erklärt, dass "ihre Existenz mit dieser Rechnung erstmals offiziell anerkannt wird" und dass sie damit "in die Gesellschaft integriert sind", da sie nun Kredite beziehen können und somit "Anerkennung und neue Hoffnung" erfahren (ibid:2). Wolfensohn schliesst die Anekdote mit der folgenden Bemerkung: "Dies ist die Herausforderung der Entwicklungsarbeit: Integration. Es geht darum, Menschen in die Gesellschaft hineinzubringen, die noch nie integriert waren" (ibid). Laut Wolfensohn können arme Frauen also nur durch eine offizielle Anerkennung und Kreditfähigkeit Teil der Gesellschaft werden. Eine solche Aussage hat natürlich nur vor dem Hintergrund der Integration der Entwicklungsländer in den kapitalistischen Weltmarkt einen Sinn und basiert auf der Annahme, dass nur eine kapitalistische Gesellschaft eine gute Gesellschaft ist.

Frauen als Ausgegrenzte

Die dritte Kritik betrifft die Art und Weise wie Frauen dargestellt werden: nämlich als eine homogene Gruppe. Eine solche Darstellung ignoriert Gender als Beziehung und Machtverhältnis. Die Gender-Forschung hat mit ihrer Dekonstruktion der Kategorien ‚Mann' und ‚Frau' aufgezeigt, dass dies problematisch ist, und hat auf die Bedeutung von Gender-Stereotypen und Gender-Rollen hingewiesen (Jackson 1999). Eine Kategorisierung der Frauen als sozial ausgegrenzte Gruppe trägt überdies den unterschiedlichen Armuts-Erfahrungen von Frauen in keiner Weise Rechnung, da Faktoren wie ethnische Zugehörigkeit oder gesellschaftliche Klasse nicht berücksichtigt werden. Weiter ist eine solche Kategorisierung auf der Annahme gewisser typisch femininer Charakteristiken konstruiert, wobei die Frau als machtlos und hilfsbedürftig dargestellt wird.

In Wolfensohns Rede werden Frauen und Frauenhaushalte als sozial ausgegrenzte Gruppe dargestellt. Diese Kategorisierung hat zur Folge, dass Integrationsstrategien Frauen als Gruppe anvisieren und in die Gesellschaft integrieren wollen, was zu Empowerment führen soll. Solche Strategien reproduzieren Gender-Stereotypen, tragen nichts zur Änderung von Gender-Strukturen und bestehenden Machtverhältnissen bei und haben negative Auswirkungen für Frauen.

Vergessene Gender-Dimension des Mikrokredits

Ein Beispiel für explizit auf Frauen ausgerichtete Integrationsstrategien sind Mikrokredit-Programme, die auch in der Rede von Wolfensohn erwähnt werden. Mikrokredit-Programme werden zurzeit als die Strategie zur Bekämpfung der Armut und zum Empowerment der Frauen verkauft. Der erste globale Mikrokredit-Gipfel im Jahre 1997 versammelte verschiedene Akteure der Weltpolitik und setzte sich zum Ziel, Aufmerksamkeit für das Potential von Mikrokredit als Armutsbekämpfungsstrategie zu wecken (Microcredit Summit Declaration 1997). Seither ist Mikrokredit zum beliebtesten Instrument im Kampf gegen die Armut geworden. Nach dem Modell der Grameen Bank in Bangladesch versorgen Mikrokredit-Programme Arme, und speziell arme Frauen, mit kleinen Geldsummen für Investitionen in Projekte, die Einkommen schaffen sollen. Dabei beruht die Kreditfähigkeit nicht wie im traditionellen Kreditwesen auf Eigentum, sondern auf einem Garantiesystem von gegenseitigem Vertrauen und sozialem Druck (Weber 2002:540).

Mikrokredit-Programme sollen zum Empowerment der Frauen führen. Unter der Gender-Lupe betrachtet erscheint es jedoch fraglich, ob solche Programme dieses Versprechen erfüllen können. Mikrokredit-Programme basieren auf Gender-Stereotypen und tragen zu ihrer Reproduktion bei. Auf der Website des Mikrokredit-Gipfels heisst es etwa: "Frauen sind bessere Sparerinnen und kreative Unternehmerinnen" und "ein gutes Kreditrisiko, weil sie ihr Einkommen für das Wohlergehen der Familie einsetzen" (Microcredit Summit Website: Get Involved). Zudem haben zahlreiche Studien aufgezeigt, dass die Erfahrungen von Frauen vor Ort oft von den erwarteten Ergebnissen der Mikrokredit-Programme abweichen (Siehe z.B. Weber 2002). Weiter beleuchten diese Studien auch die negativen Konsequenzen solcher Programme für die Beteiligten: Erhöhte Gewalt, vor allem gegen Frauen; mehr Kinderarbeit; sozialer Druck und Schulden-Teufelskreise sind nur einige Beispiele.

Diese Einsichten über Mikrokredit-Programme unter der Gender-Lupe sollten uns zur Vorsicht mahnen und zur kritischen Auseinandersetzung mit den Programmen auffordern, die Armutsbekämpfung und Empowerment versprechen. Die Fehlannahmen des Diskurses, auf welchem solche Integrationsstrategien aufbauen, werden klar: Erstens wird angenommen, dass eine Ausweitung des (ursprünglich männerdominierten) Kreditsystems auf Frauen automatisch Armut verringern und zum Empowerment beitragen wird. Die Gender-Dimensionen des Kreditsystems gehen dabei allerdings völlig vergessen. Zweitens wird erwartet, dass Integration für Frauen stets positiv ist, wobei die Gender-Dimensionen der Gesellschaft nicht miteinbezogen werden. Die Analyse der Gender-Dimensionen könnten jedoch eine Antwort geben auf die Frage, weshalb Frauen als Ausgegrenzte erscheinen oder dargestellt werden, und in welcher Art und Weise Frauen in der Gesellschaft integriert sind. Die Wurzeln des Problems werden also nicht miteinbezogen und die Gender-Dimensionen der sozialen Strukturen werden nicht verändert, sondern es handelt sich lediglich um eine Add-Women-Strategie. Die vorherrschende Rolle der Mikrokredit-Strategien illustrieren die Macht des Diskurses der sozialen Ausgrenzung und seine konkreten Auswirkungen auf zahlreiche Menschen im Rahmen von Integrationsstrategien. Sie sind ein gutes Beispiel für die Notwendigkeit, auch Gender-Aspekte bei der Analyse und Bekämpfung von Armut zu berücksichtigen.

Rahel Kunz schreibt zurzeit ihre Doktorarbeit an der politologischen Fakultät der Universität Genf zum Thema Armut und Gender. Dieser Artikel beruht auf einem Vortrag, den sie im Juni 2004 an der "Students for Development" Konferenz in Oxford gehalten hat.

Literaturauswahl:

Faria, Vilmar (1995): Social Exclusion and Latin American Analyses of Poverty and Deprivation. In Gerry Rodgers et al. (Hg.): Social Exclusion: Rhetoric, Reality, Responses. Geneva: IILS, pp. 117-128.
Gore, C. (1995): Introduction: Markets, Citizenship and Social Exclusion. In Rodgers, G., Gore, C. & Figueiredo, J.B. (Hg.): Social Exclusion: Rhetoric, Reality, Responses. Geneva: IILS.
Jackson, Cecile (1999): Social Exclusion and Gender: Does One Size Fit All? The European Journal of Development Research 11(1): 125-146.
The Microcredit Summit (1997): Declaration and Plan of Action. URL: http://www.microcreditsummit.org/declaration.htm. The Microcredit Summit Report. 2-4 February 1997, Washington, DC. RESULTS Educational Fund, 1997.
Microcredit Website (2004): Get Involved. URL: http://www.microcreditsummit.org/involve/page1.htm.
Weber, Heloise (2002): The Imposition of a Global Development Architecture: the Example of Microcredit. Review of International Studies 28: 537-555.
Wolfensohn, James, D. (1997): The Challenge of Inclusion. Annual Meetings Address, World Bank. URL: http://www.worldbank.org/html/extdr/am97/jdw_sp/jwsp97e.htm.
World Bank (1997): World Development Indicators.

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Karl Marx (1845) 11. These über Feuerbach