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soziologie.ch soz:mag#5 vom müssen zum wollen

vom müssen zum wollen

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Qualitätsmanagement im Dienst individualisierender Disziplinen

Qualitätsmanagement heisst das Zauberwort, das seit geraumer Zeit durch die Unternehmen geistert, für sie Wettbewerbsvorteil und Gewinn verspricht und die Kunden mit Befragungen zur Zufriedenheit eindeckt. Im vorliegenden Beitrag wird der Frage nachgegangen, ob und inwieweit das Phänomen des Qualitätsmanagements in einen grösseren gesellschaftlichen Rahmen gestellt werden kann. Die Fragestellung wird auf der Folie von Foucaults Hypothese zur Disziplinargesellschaft diskutiert. Beachtung findet dabei im Besonderen der Aspekt der Individualisierung im Moment der Unterwerfung und Nutzbarmachung des Subjekts.

SOZ-MAG Beitrag von Chris Frötscher

Foucault und die Disziplinargesellschaft

In „Überwachen und Strafen“ (1994) analysiert Foucault die sich im 18. und 19. Jahrhundert transformierenden Strafmethoden und deren Auswirkungen auf das Subjekt. Er weitet die Ergebnisse der Analyse auf die gesamte Gesellschaft aus, indem er die Transformationsgeschichte einer feudalen zu einer Disziplinargesellschaft aufzeichnet. Die Ausweitung der Disziplinarmechanismen vom klassischen Zeitalter an hat die Seele im Visier und bemächtigt sich dazu des Körpers des Subjekts, indem sich die Disziplinarmacht in die verborgensten Winkel des Körpers einschreibt. Neu daran ist, dass sich die Macht nicht negativ, als einschränkender, unterwerfender oder drückender Zwang bemerkbar macht, sondern positiv, in einer Steigerung der Kräfte zur Erhöhung der ökonomischen Nützlichkeit erscheint und sich aber zugleich mit einer vertieften Unterwerfung im Körper verkettet. Foucault spricht hier von einer politischen Anatomie, die den menschlichen Körper in eine Machtmaschinerie hineingibt, die ihn durchdringt, zergliedert und wieder zusammensetzt. Die „Eleganz der Disziplin“, so Foucault, ist, „dass sie auf ein kostspieliges und gewaltsames Verhältnis verzichtet und dabei mindestens ebenso beachtliche Nützlichkeitseffekte [wie die Sklaverei, das Domestikentum, das Vasallentum] erzielt.“

Die Disziplinen, definiert als „Methoden, welche die peinliche Kontrolle der Körpertätigkeiten und die dauerhafte Unterwerfung ihrer Kräfte ermöglichen und sie gelehrig/nützlich machen“, verfügen zudem über einen Mechanismus, und das ist wohl ihr Erfolgsrezept, der dazu führt, dass, je gefügiger sie einen Körper machen, er umso nützlicher wird und umgekehrt. Ein widersprüchlich scheinender, jedoch sehr ökonomischer Effekt der Etablierung der Disziplinen ist deren sowohl normierende wie auch individualisierende Wirkung. Die Disziplinarmächte sind normierend in dem Sinne, dass sie den Raum, die Zeit, die Tätigkeiten, das Verhalten und die Körper-Objektbeziehung in ihre Bestandteile zerlegen, einander zuweisen und wieder zusammenstellen, und zugleich sind sie individualisierend, da durch diesen Prozess die Körper vermessbar, untereinander vergleichbar und differenzierbar werden. Einerseits wird also eine Ordnung geschaffen, in der alles erfasst und normiert wird und zugleich findet unter den dieser Ordnung unterworfenen Körpern eine Individualisierung statt, die umso stärker betrieben wird, je anonymer und funktioneller die Disziplinarmacht wirkt. Was in Strafanstalten, Militärschulen, Internaten, Irrenhäusern und Manufakturen im 17. und 18. Jahrhundert begann, weitet sich aufgrund des „verallgemeinerungsfähigen Mechanismus des Panoptismus“ innerhalb anderer historischer Prozesse ökonomischer, wissenschaftlicher und rechtlich-politischer Art zur individualisierten Disziplinargesellschaft aus. Panoptismus bezeichnet dabei ein von einem architektonischen Gestaltungsentwurf für Gefängnisse entlehntes Kontrollprinzip, das auf der Schaffung eines permanenten Sichtbarkeitszustandes der zu Kontrollierenden bei gleichzeitiger Uneinsehbarkeit in die Kontrollausführung beruht. Träger der Disziplinierung sind nun nicht mehr nur die grossen Institutionen oder der Staat, die gemeinhin als mit dieser Aufgabe betraut gedacht werden, sondern sämtliche Einrichtungen oder Technologien, die dem Prinzip der politischen Anatomie und damit der Ökonomisierung der Macht zuträglich sind.

Das Verhältnis von Macht und Wissen erscheint in Foucaults Analyse wie ein Perpetuum mobile, „die Ausübung von Macht [bringt] Wissensgegenstände hervor und umgekehrt bringt das Wissen Machtwirkungen mit sich.“ (Foucault 1976). Jede neue Erkenntnis über den Körper ermöglicht den Technologien der Disziplin tiefer und differenzierter in den Körper einzudringen. Ein Aspekt der Ökonomie der Macht besteht darin, laufend solche neuen, verfeinerten und an das neue Wissen angepassten Verfahren der Machteinwirkung zu generieren. Macht funktioniert dabei weniger auf der Basis der Unterdrückung als vielmehr durch Erschaffung von Begehren und Wissen, denn die Macht zwingt, die Wahrheit zu sagen, sie zu suchen, zu erforschen, zu registrieren, zu institutionalisieren. Die Unterwerfung des Individuums unter die Macht bzw. die Durchdringung seines Körpers durch die Macht, die in den Disziplinen, im Diskurs, in der Suche und Herstellung von Wahrheit innewohnt, ist die Geburts- und zugleich die Todesstunde des Subjekts. Subjektivation (franz. assujettissement) bezeichnet zum einen das Werden des Subjekts und zugleich auch dessen Unterwerfung (lat. subicere: unterwerfen). In der vom Geständniszwang verlangten Offenlegung innerer Vorgänge und dem permanenten Sichtbarkeitszustand des Panoptismus, sowie durch andere nicht mehr primär auf den Körper, sondern auf die Seele abzielenden Disziplinartechniken konstituiert sich der Einzelne als Subjekt, um damit gleichzeitig zum Gegenstand der Kontrolle zu werden.

Das Auftauchen von Qualitätsmanagementkonzepten

Dass Menschen in der Auswahl benötigter oder gewünschter Gegenstände oder Leistungen auf deren Beschaffenheit und Gebrauchseigenschaften Wert legen, ist eine Tatsache, die nicht erst seit dem Aufkommen moderner Qualitätsmanagementkonzepte existiert, und dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, dass sich der Mensch zu dem entwickelte, was er heute ist. Das Kriterium der Güte wurde bereits früh sowohl auf den Gegenstand selbst wie auch, zum Beispiel in Form der Einhaltung tradierter Handwerksregeln, auf dessen Herstellungsverfahren bezogen, womit ein erster Kerngedanke des heutigen Qualitätsmanagements schon vorweggenommen wäre: die Sicherung der Qualität im Produktionsprozess anstelle einer ex-post Qualitätsrevision des Produktes. Will man die Qualität eines Produktes erfahren, muss kontrolliert werden; damit kontrolliert werden kann, müssen Bewertungskenngrössen entwickelt werden; um diese sinnvoll einsetzen zu können, müssen sowohl Prozesse als auch Produkte auf ein Minimum standardisiert werden und um diese ganzen Bemühungen um Qualität als Kundenvorteil nach aussen zu kommunizieren, müssen Garantien abgegeben werden. Dies sind drei weitere Grundelemente des Qualitätsmanagements: Standardisierung (Normierung) der Verfahren und Produkte, deren Kontrolle und Garantien bzw. Zertifizierung. Durch die Industrialisierung und damit durch den Einsatz von Maschinen wurde die Standardisierung und Normierung der Verfahren und Produkte vorangetrieben und durch den Einfluss naturwissenschaftlicher Erkenntnisse wurde der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung von Abweichungen im ganzen Produktionsprozess differenzierter zugänglich. Eine Steigerung dieser Entwicklung geschah anfangs des 20. Jahrhunderts durch die Einführung der Fliessarbeit (Fordismus), durch Taylors wissenschaftliche Betriebsführung und durch die gezielte Anwendung von statistischen Verfahren in der Industrie. Zusätzlich, durch die von Taylor angeregte Unterteilung in konzeptionell-strategische und operative Arbeit, fand eine Verschiebung der Zuständigkeit für Qualitätssicherung weg von den ausführenden hin zu den planenden und steuernden Organen des Betriebes statt. Dies wurde in späterer Zukunft als schwerwiegende Fehlentwicklung der Qualitätsphilosophie wahrgenommen. Die modernen Managementkonzepte versuchen dies zu korrigieren, indem sie das Qualitätsbewusstsein wieder zurück zu den Arbeitsausführenden zu verlagern trachten. Die Entwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann als Weg von der Qualitätssicherung zum Qualitätsmanagement bezeichnet werden. Darunter ist einerseits eine Intensivierung und Ausweitung der bereits bestehenden Ansätze zu verstehen, sowie andererseits das Auftauchen neuer Ideen und Denkweisen, zu denen die japanische Industrie einen wesentlichen Beitrag leistete. In der Folge fühlten sich Organisationen dazu veranlasst, ihre Strukturen tiefgreifend zu verändern. Und zusätzlich – und das erklärt den terminologischen Wandel von Qualitätssicherung zum Qualitätsmanagement – wurde Qualität im Unternehmen (wieder) zu „everybody‘s job“ erklärt. Neu besteht die Aufgabe des Managements darin, die dafür erforderliche (Re-)Motivation und Ausstattung der Mitarbeitenden mit entsprechenden Kompetenzen zu gewährleisten. Für den gesamten Verlauf waren Entwicklungen vor allem in Bereichen der elektronischen Datenverarbeitung und neuer Informations- und Kommunikationstechnologien sowie im Bereich der Messtechniken begünstigende Faktoren. Eine verstärkte, länder- und kontinentübergreifende Vernetzung wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und militärischer Beziehungen kamen hinzu, die dem Austausch von Ideen und Anregungen förderlich waren.

Als ein neues Element des Qualitätsmanagements wurde zudem als Grundlage für die Qualitätsplanung, -sicherung und -überprüfung die systematische Definition und Dokumentation von sämtlichen Prozessen in einem Unternehmen eingeführt, was letztlich der 1947 gegründeten International Standardization Organization (ISO) eine immer grösser werdende Bedeutung in der Vereinheitlichung der verschiedenen nationalen und branchenspezifischen Regelwerke zuwies. Dies führte 1979 zur Einrichtung des ISO/TC 176 (Technical Committee „Quality Management and Quality Assurance“) als verantwortliches Organ der ISO für alle das Qualitätsmanagement betreffenden Belange. Das TC 176 ist Verfasserin der 1987 vorgelegten, ersten internationalen Standards für Qualitätsmanagement, den ISO 9000ff Normen. Seit Mitte der 80er Jahre wird nun zunehmend von Total Quality Management: „TQM“ gesprochen, von der ISO definiert als „eine Führungsmethode einer Organisation, bei welcher Qualität in den Mittelpunkt gestellt wird, welche auf der Mitwirkung aller ihrer Mitglieder beruht und welche auf langfristigen Erfolg durch Zufriedenstellung der Abnehmer und durch Nutzen für die Mitglieder der Organisation und für die Gesellschaft zielt.“ Das TQM beruht auf folgenden Bausteinen: Führen mit Zielen (Management by Objectives), Kundenorientierung des gesamten Unternehmens, interne und externe Kunden-Lieferantenbeziehungen, Null-Fehlerprogramme, arbeiten in Prozessen, kontinuierliche Verbesserungen mit Messgrössen (Kaizen), Einbeziehung aller Mitarbeiter, kontinuierliche Schulung und Weiterbildung sowie regelmässige Managementaudits. Als unerlässliche Voraussetzungen für jegliche Art von Qualitätsmanagement gelten die systematische Normierung, Dokumentation und Überprüfung aller Prozesse innerhalb eines Unternehmens.

Subjektivierung von Arbeit

Die Entwicklung des Phänomens Qualitätsmanagement fügt sich in die theoretische Reflexion, die unter dem allgemeinen Ausdruck „Wandel der Arbeit“ geführt wird und welche die sich verändernden Arbeitsbedingungen der letzten ca. dreissig Jahre zum Inhalt hat. Befunde aus der arbeits- und industriesoziologischen Forschung über den Wandel der Arbeit berichten von wachsender Bedeutung immaterieller Arbeit, Heterarchie statt Hierarchie, mehr Selbst- statt personaler Überwachung, Auflösung der Beruflichkeit, höherer räumlicher und zeitlicher Verfügbarkeit von Arbeitskraft, Abbau verbriefter Ansprüche, weniger Normalarbeitstag dafür flexibler Arbeitseinsatz, Desolidarisierung unter Arbeitnehmern und einem grundsätzlichen Wandel der Arbeits-Freizeitrelation. Den mit dem Wandel einhergehenden neuen Managementkonzepten ist gemeinsam, dass sie sich kritisch zu bürokratischen und tayloristischen Strukturen stellen, neu die Organisationsstrukturen verstärkt auf Betriebsprozesse ausrichten, sich auf das Wesentliche konzentrieren, die Leistungspotentiale der Mitarbeiter durch vermehrte Eigenverantwortung ausschöpfen und die damit verbundenen Veränderungen im Betrieb grundsätzlich das ganze Unternehmen betreffen. Der Kerngedanke aller dieser Konzepte bündelt sich im Prinzip der Selbstorganisation der Arbeitenden. Dieser Wandel der Arbeit – weg von tayloristischer Gestaltung, hin zu mehr Selbstorganisation – wird gemeinhin unter dem Begriff der Subjektivierung von Arbeit gefasst. Ganz allgemein wird darunter die Entdeckung der Subjektivität der Arbeitenden, zuvor lediglich als Störfaktor empfunden, als Quelle für mögliche, bisher brachliegende betriebliche Effizienzsteigerungen verstanden. Subjektivität bedeutet in diesem Sinn zunächst einfach das besondere und eigenständige Ensemble von Eigenschaften, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Einstellungen, Motiven etc. einer Person, die es für betriebliche Zwecke zu nutzen gilt.

Das arbeitende Subjekt in Bearbeitung

Was in den neuen Arbeitsbedingungen und unter dem Qualitätsmangement auf den ersten Blick wie eine Befreiung des Arbeitenden von räumlichen und zeitlichen Restriktionen aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als neue Verortung des Subjekts im marktwirtschaftlichen Wettkampf des Unternehmens. TQM bezeichnet eine ganzheitliche Unternehmensphilosophie, die einerseits Entscheidungspartizipation, Einbezug der Mitarbeitenden in Planung und Entwicklung, Förderung der Eigenverantwortung und Selbstorganisation etc. verspricht, zugleich wird das M des TQM, nämlich die Leitung und Steuerung des ganzen TQM-Prozesses in den Führungsgremien des Unternehmens verankert. TQM ist damit eine top down Unternehmensphilosophie, welche die Asymmetrie innerbetrieblicher Machtrelationen in eine scheinbare Win-win-Situation gleich gerichteter Interessen überführt, mit der Unternehmensleitung als „Philosophenkönig“. Der Tausch von hierarchisch bestimmten zeitlichen, räumlichen und handlungsbezogenen Restriktionen gegen fremdbestimmte Selbstorganisation, Autonomie und Win-win-Situationen ist keine Befreiung aus dem von den Disziplinen gezeichneten und unterteilten Raum, vielmehr scheint es, als ob das Verhältnis des Raumes zum Individuum umgestülpt worden wäre und nicht mehr das Individuum im Raum zugeordnet und verteilt, sondern der Raum der Disziplinen sich im Individuum aufteilen und ausbreiten würde. Die Dokumentation aller internen Prozesse und die dazugehörige datengesteuerte Prozessplanung und –überwachung, kombiniert mit der potentiellen Zuweisbarkeit individueller Leistungen und den regelmässig stattfindenden Leistungsbeurteilungen generieren ein Ausmass an Kontrollmöglichkeiten, die das Prinzip des Panoptismus geradezu perfektionieren.

Dem Prinzip der permanenten Sichtbarkeit kann sich unter diesen Bedingungen kaum mehr jemand entziehen, zumal es sich innerhalb der verschleierten Strukturen auch nicht mehr genau ausmachen lässt, wo die Kontrollinstanz zu orten ist. Es ist einer dieser Widersprüche des TQM, dass beispielsweise mit der Führung durch Zielvorgaben (MbO), bei gleichzeitiger potentieller Kontrolle jedes einzelnen Ausführungsschrittes über moderne Kommunikations- und Informationstechnologien, nur ein scheinbarer Freiraum in der Arbeitsgestaltung geschaffen wird. Ein weiterer Aspekt der Steuerung und Kontrolle der Arbeitenden unter TQM-Bedingungen ist der Zwang zur Offenlegung bzw. die Forderung der permanenten und totalen Introspektion über das eigene Handeln und Fühlen. Zum einen findet dies in Form von Mitarbeitergesprächen, Feedbacks und anderen Leistungsbeurteilungen statt, zum andern müssen sich die Arbeitenden mit der Unternehmenskultur, die durch das TQM gezielt gestaltet wird, reflexiv auseinandersetzen und sich positionieren, was ebenfalls eine innere Befragung der eigenen Person bedingt. Ein Paradebeispiel dieser auf das Verhalten der ganzen Person zielenden Steuerungs- und Überprüfungsinstrumente stellt das 360° Feedback dar. Macht funktioniert auf der Basis der Erschaffung von Begehren und Wissen. Beides wird durch das TQM gewährleistet: die Verlagerung des Marktes in die Arbeitenden schafft Begehren, die Überprüfung der Arbeitenden im Interesse der stetigen Qualitätsoptimierung schafft Wissen. Ein interessanter Aspekt des TQM ist auch die Widersprüchlichkeit in den Anforderungen an die Mitarbeitenden. Einerseits wird unternehmerisches und damit konkurrenzorientiertes Denken in allen Belangen verlangt, zugleich aber auch Teamfähigkeit und Kooperation. Diese Widersprüche sind Programm, da durch die Unmöglichkeit der Erfüllung dieser sich widersprechenden Anforderungen die Arbeitenden in einer Daueranspannung gehalten werden. Jeden Schritt, den sie in die eine Richtung tun, müssen sie in eine andere Richtung ausgleichen. Zusammen mit dem proaktiven Charakter aller TQM-Techniken, beispielsweise des KVP (kontinuierlicher Verbesserungsprozess), erzeugt dies einen stetig laufenden Motor zur permanenten Selbststeuerung und –disziplinierung.

Nicht mehr die Norm im Sinne eines festen Sollwertes wird angestrebt, sondern die Abweichung von der Norm, die Individualität, wird selbst zur Norm erklärt. Es geht dabei um die standardisierte Erfassung der Einzigartigkeit eines jeden Mitglieds des Unternehmens, denn darin liegt das brachliegende Potential verborgen, das gefördert, ausgeschöpft und im Sinne des Unternehmens eingesetzt werden soll. Die Produkte der permanenten Introspektion – die Geständnisse sozusagen – und die Offenlegungen der inneren Vorgänge sowie die Leistungen der Arbeitenden, die mit allen möglichen Instrumenten der Mitarbeiterbeurteilung und Leistungserfassung und –kontrolle vermessen und ausgewertet werden, werden quantifiziert und den jeweiligen Mitarbeitenden als Wahrheit über sich selbst und als Quelle stetiger Optimierung dargeboten.

In der von Foucault beschriebenen Disziplinarmacht wird das Subjekt durch die Techniken dieser Macht konstituiert; in der Weiterentwicklung dieses Gedankens konstituiert sich das Subjekt selbst, was für die Betrachtung des Subjekts unter TQM-Bedingungen völlig zutreffend erscheint. Der Zugriff auf das Individuum ist total und führt zugleich zu seiner Vereinzelung.

Chris Frötscher studierte Soziologie sowie Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Bern. Grundlage für den vorliegenden Artikel bildet ihre Fachprogrammarbeit mit dem gleichnamigen Titel.

Literaturauswahl

Foucault, Michel (1976): Mikrophysik der Macht. Michel Foucault über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin. Berlin.
Ders. (1994 [1975]): Überwachen und Strafen. Frankfurt a/M.
Ders. (1999 [1976]): Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit Bd. 1. Frankfurt a/M.
Minssen, Heiner, Hrsg. (2000): Begrenzte Entgrenzungen. Wandlungen von Organisation und Arbeit. Berlin.
Moldaschl, Manfred und G. Günter Voss, Hrsg. (2002): Subjektivierung von Arbeit. München, Mering.
Zollondz, Hans-Dieter (2002): Grundlagen Qualitätsmanagement. Einführung in Geschichte, Begriffe, Systeme und Konzepte. München, Wien.

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« Unemployment does not mean lack of work, it means lack of paid work. Unemployment is an organizational problem, one with severe social consequences. It is a question of the distribution of the entrance ticket to what in these cultures is seen as a major symbol of full membership.»

Nils Christie (1994). Crime control as industry : towards GULAGS, Western style. London, New York: Routledge. S. 60.