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soziologie.ch soz:mag#4 männer zwischen aufbruch und absturz

männer zwischen aufbruch und absturz

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Ein Ausflug in die Sinnwelt der Schweizer Männerbewegung

Männlichkeit hat Konjunktur. Mit dem Wandel der Geschlechterverhältnisse verliert die Männlichkeit zusehends ihren Status einer fraglosen Gegebenheit.Der Mann und sein nunmehr explizit als geschlechtlich verstandenes Sein und Handeln werden sowohl im wissenschaftlichen, wie auch im allgemeinen öffentlichen Diskurs verstärkt thematisiert - und problematisiert: Wann ist der Mann ein Mann? Der folgende Beitrag lädt ein zur Spritztour durch die Sinnwelt desjenigen gesellschaftlichen Mikrokosmos, in dem "die Männlichkeit" jegliche Themenkonkurrenz ausgeschaltet zu haben scheint: das Feld der so genannten Männerbewegung. Wie steht es dort um den Mann? Wie wird Mannsein dort inszeniert, wo es darum gehen soll, jenseits überlieferter Vorstellungen eine neue, bessere Männlichkeit zu (er)finden?

SOZ-MAG Beitrag von Denis Hänzi

Elend der Männlichkeit?

"Seien Sie ein Mann - Arbeiten Sie an sich selbst" oder: "Legen Sie eine Sinnpause ein - im Sinne einer gesunden und ausgewogenen Männlichkeit". Die männerbewegte Szene in der Schweiz kennt vielerlei Ratschläge und Aufforderungen, die allesamt auf eine irgendwie ,bessere' Art und Weise männlichen Seins zielen. Diese Handlungsanweisungen und Heilversprechen können -verknappt ausgedrückt - als eigentümlicher Ausdruck des Wandels der Geschlechterverhältnisse der letzten dreissig Jahre verstanden werden: In dieser Zeit wurde die Männlichkeit diskursiv eingeholt, hat damit Ihren Status einer fraglosen Gegebenheit eingebüsst und bietet sich also an, neu definiert zu werden. Eine "Reformation" der Männlichkeit tut indes nicht für alle Männer Not: Für den Grossteil bleibt die Problematisierung ihres neuerdings explizit als geschlechtlich konnotiert geltenden Handelns ohne Folgen: in traditionellen Rollengefügen fest verankert und vor feministischen Postulaten durch Nihilierungsstrategien hermetisch abgeschirmt, verweilen die meisten Männer im althergebrachten Normalzustand des "unreflektierten Zuhauseseins in der sozialen Welt". Ihr geschlechtlicher Habitus - Garant für ein Mannsein ohne Selbstzweifel - funktioniert nach wie vor ungestört, meist allzu solide untermauert durch eine gleichsam dialektisch hergestellte Komplizenschaft ihrer Partnerinnen.

Bei einem bestimmten Teil der Männer aber - gemäss Michael Meuser (1998) ist es hauptsächlich derjenige aus dem intellektuell-akademischen Milieu, vornehmlich mit geisteswissenschaftlichem Hintergrund - bringt die Thematisierung ihres geschlechtlichen Daseins eine Krise mit sich. Die eigene Männlichkeit wird zum mitunter therapiebedürftigen Problem: Ein eigentliches "Elend" der Männlichkeit existiert nur da, wo diese zur grundlegenden Interpretationsfolie für jedwedes persönliche Problem wird: Hier ist die traditionale Männlichkeit an allem Schuld; der Mann sieht sich als defizitäres Wesen, macht grundsätzlich alles falsch und manövriert sich damit quasi selbst ins gesundheitliche, berufliche und soziale Unheil. Wo jede männliche habituelle Sicherheit vernichtet ist, muss eben eine neue, bessere Männlichkeit her.

Zur Feldanalyse

Ziel meiner Forschungsarbeit war, die spezifische symbolische Sinnwelt der sogenannten Männerbewegung in der Schweiz - verstanden als derjenige Ort im sozialen Gefüge, an dem die traditionale Männlichkeit intentional geleugnet wird - zu erschliessen und kritisch zu beleuchten. Um an das in der Männerbewegung kursierende, kollektiv geteilte Orientierungswissen zu kommen, schien die Feldanalyse ein sinnvoller Weg. Auch im Folgenden soll zunächst das untersuchte Feld grob porträtiert werden. Es können hier allerdings nur exemplarisch einige wenige Akteure und Institutionen der Männerbewegung vorgestellt werden: zwei so genannte Männerbüros, die Männerzeitung, ein Manifest zur "Männergesundheit" sowie einige Kursangebote. Anschliessend wird auf zwei Fallrekonstruktionen eingegangen, die im Rahmen der Arbeit gemacht wurden, um die im Feld vorherrschende Inszenierungslogik von Männlichkeit zu explizieren. Zum Schluss werden die zentralen Einsichten aus der Untersuchung wiedergegeben.

Im Rahmen der Feldanalyse wurden Diskursfragmente aus diversen Materialien (Prospekte, Zeitschriften, Jahresberichte, Webseiten etc.) auf die ihnen inhärenten Orientierungsangebote von Männlichkeit hin befragt. Der hier verwendete Feldbegriff steht dabei für ein Artefakt, gewissermassen einen Mikrokosmos, in welchem ein Orientierungswissen kursiert, das funktional auf eine Systematik von objektiven Handlungsproblemen - im Zusammenhang mit der Erosion männlicher habitueller Sicherheit - zielt. Der Mikrokosmos "Männerbewegung" ist also nicht losgelöst von übergeordneten sozialen Strukturzusammenhängen zu denken. Vielmehr steht das Feld der Männerbewegung in mannigfacher Relation zu anderen gesellschaftlichen Feldern wie demjenigen der Wissenschaft, der Politik, Religion etc. Ein besonderes Augenmerk galt bei der Analyse den verschiedenen Formen von "Arbeit", welche die (mit verschiedensten Kapitalien ausgerüsteten) Experten im Feld verrichten, um über eine bestimmte Form von Diskurs - oder Praxis - auf eine besondere Kategorie von Bedürfnissen der antizipierten "Abnehmer" zu antworten.

Die Männerbüros

Wer - sei es via Internet, durch den Besuch einer männerbewegten Veranstaltung oder die Lektüre der "Schweizer Männerzeitung" - ins Feld der Männerbewegung eintaucht, begegnet bald einmal dem Hinweis auf eines seiner institutionellen Zentren: das so genannte Männerbüro. Männerbüros gibt es in Aarau, Basel, Bern, Luzern, in der Ostschweiz und in Zürich. Exemplarisch seien an dieser Stelle die Männerbüros in Bern und Zürich kurz vorgestellt. Beide existieren seit rund 10 Jahren und für beide gilt: die Aktivmitgliedschaft im entsprechenden Trägerverein steht ausschliesslich Männern zu. Die Passivmitgliedschaft hingegen kann in beiden Fällen auch von Frauen erworben werden.

Träger des Männerbüros Bern ist der Verein MUMM - Männer unterwegs mit Männern. Dieser setzt sich seinem Selbstverständnis nach "für Autonomie und Partnerschaft von Männern und Frauen" ein. Gemäss einem Mitbegründer des Männerbüros Bern - seines Zeichens Psychologe - würde es dieses Büro ohne den Feminismus nicht geben: Der starke Einfluss des Feminismus seit den Siebziger Jahren (den der Psychologe übrigens als den "ersten Einfluss der Frauen auf die Männer überhaupt" bezeichnet) sei für die Entstehung der Männerbewegung von eminenter Wichtigkeit gewesen. Die Männer hätten damals "eine Weichheit entwickeln können, die schon fast weiblich war". Angesichts erstarkender Ehefrauen seien die ersten so genannten Männergruppen sehr wertvoll gewesen, obwohl es, so der Mitbegründer der Männerbüros, "lange Zeit bloss Jammergruppen" gewesen seien. Heute versteht sich das Männerbüro Bern als professionelle Informationsstelle, als Ort für Austausch und Begegnung mit dem Ziel, die "Bewusstseinsbildung in der ganzen Bevölkerung sowie ein partnerschaftliches Zusammenleben und die gesamtgesellschaftliche Verbesserung der Situation beider Geschlechter" zu fördern.

Wie das Büro in Bern, so ist auch das "mannebüro züri" um eine Veränderung der herrschenden Geschlechterordnung bemüht: Hier soll es darum gehen, "die männliche Gewalt gegen Frauen und die patriarchale Rollenteilung auf Männerseite zu thematisieren, sowie entsprechende Angebote für veränderungsbereite Männer auszuarbeiten". Für dieses Unterfangen standen dem Büro in Zürich im Jahr 2002 rund zweihunderttausend Schweizer Franken zur Verfügung. Diese Mittel stammen, um die beiden wichtigsten Geldgeber zu nennen, vom Kanton und der Stadt Zürich, mit einem jährlichen Beitrag von je fünfzigtausend Franken. Im Vorstand und unter den Mitarbeitenden des Büros finden sich mehrere diplomierte Sozialarbeiter und Sozialpädagogen, ein Sozialwissenschaftler, ein diplomierter Sexualtherapeut sowie ein Lehrer und Erwachsenenbildner. "Telefonische und persönliche Beratungsgespräche" sind das Kerngeschäft des Büros. Als Themenschwerpunkte dieser Beratungsdienste werden genannt: Sexualität, Gewalt, sexuelle Gewalt, Paarkonflikte, Scheidung, Trennung, Vaterschaft, persönliche Krisen.

Die Männerzeitung

Im Frühjahr 2001 erstmals erschienen, versteht sich das Männerblatt "männer.be" als "Zeitung für den emanzipierten, wachen Mann". Laut Redaktionsprinzip will sie "Männliche Lebenswirklichkeiten ungeschminkt abbilden". Von staatlicher Seite wird dieses publizistische Programm mit Wohlwollen unterstützt: Das Bundesamt für Gesundheit subventioniert das Männerzeitungsprojekt mit zwanzigtausend Schweizer Franken im Jahr. Die Funktion des Redaktionskoordinators liegt beim Generalsekretär der Föderation der Schweizer PsychologInnen FSP, selber Psychologe und Journalist BR. Unter den Autoren der Männerzeitung finden sich auffallend viele Psychologen - und Psychiater: Arbeitspsychologen, Fachpsychologen für Psychotherapie sowie Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie. Dementsprechend hoch ist auch der Anteil Artikel, die sich mit dem Thema Männlichkeit in einem psychologischen Erklärungsrahmen auseinandersetzen. Zu dieser Gruppe schreibender Seelenklempner kommen als Autoren zahlreiche andere "Berater": Lebensberater in Gefühls- und Körperarbeit, astrologische Berater, Pfarrer, Unternehmensberater und Coaches, freiberuflich tätige therapeutische Begleiter, so genannt sinnzentrierte Einzelberater, ökologische Männerberater und sowie Berater für "innerliche und äussere Kommunikation". Die Schweizer Männerzeitung hat also gewissermassen den Charakter eines Publikationsorgans für in der "Männerarbeit" tätige Psychologen, Psychiater und sonstige, auf unterschiedliche Wissens- und Erfahrungsbestände rekurrierende Berater, die meist über einen oder mehrere formale Bildungstitel verfügen und nicht müde werden, diese wo immer möglich zu erwähnen.

Worüber wird in der Männerzeitung berichtet? Die Frage nach dem Verhältnis von Mann und Mann stellt eines der wiederkehrenden Themen der Zeitung dar: Unter dem Titel "Männerfreundschaft" wird etwa gefragt, ob die für den "neuen" Mann unabdingbare "Entdeckungsreise ins Innere" nur "mit Weggefährten gelingen" könne. Auch die Sexualität ist ein gern beschriebenes Topic: "Was ist gesunder Sex?", wird gefragt, und woher kommt wohl "Die Faszination von käuflichem Sex"? Ein Artikel im Zusammenhang mit der so genannten "Viagra-Debatte" schliesslich wirft die Frage auf, was denn gesünder sei: "chemische Hilfe oder menschlich-männliches Reifen?". Ein weiterer Dauerbrenner ist die Gesundheit: "Braucht es einen Männerarzt?". Die Männerzeitung verfügt zudem über einen beträchtlichen Inseratenteil, der hauptsächlich aus Annoncen für Männerseminare, Beratungsangebote und Männertreffen besteht.

Kurse für die neuen Männer

Den Männern, denen die eigene Geschlechtlichkeit zum Problem geworden ist, werden in diesen Annoncen diverse Rückzugsmöglichkeiten - etwa in die "Spiritualität der Wüstenmönche" oder die "Tradition der Waldbrüder" - nahe gelegt. Dort wollen "Persönlichkeitstrainings" abgehalten werden. Deklariertes Ziel: die "Entwicklung einer inneren Stärke". In speziellen Väterseminaren wiederum werden offenbar "Schritte zu einem erfüllten Vatersein" vermittelt: Der Mann müsse "als Vater greifbarer werden", denn, so meint der betreffende Seminarleiter: "Kinder brauchen Väter". In Kursen im Bereich der so genannten "Männergesundheit" schliesslich soll der "achtsame und sorgfältige Umgang mit dem eigenen Körper" geübt werden. Die "Männergesundheit" ist eines der prominentesten Themen in der Männerbewegung. Einem Dokument mit dem Titel "Männergesundheit - Ein Manifest" etwa kommt im Feld ein besonderer Stellenwert zu. An einer nationalen Männertagung in Winterthur im November 2002 wurde es von den rund 200 Anwesenden einstimmig als "Grundsatzpapier" verabschiedet:

Männergesundheit- Ein Manifest

Was Männergesundheit konkret ist oder was sie sein könnte, wird aus diesem Dokument nicht recht ersichtlich. Vielmehr wird darin aufgelistet, was Männergesundheit nicht ist. Mit Blick auf einige spezifisch männliche "Gesundheitsrisiken" (Herzinfarkt, Lungen- und Leberkrebs, erhöhte Suizidrate u.a.m.) wird im Manifest eine allgemeine Problematisierung des Mannseins und des männlichen (Gesundheits-)Verhaltens vorgenommen. Defizitäre Aspekte der männlichen Normalexistenz werden in schier sämtlichen Lebenslagen entdeckt. Allein schon die möglichst sinnvolle Unterteilung des männlichen Lebens in Lebensabschnitte gilt als potentiell Krankheit erregende Herausforderung. Auch das "Schwanken zwischen sexuellem Verlangen einerseits und Angst vor Impotenz und Homosexualität andererseits" wird als ein die männliche Gesundheit gefährdendes Problem moniert. Als Remedur verschreibt das Manifest in erster Linie reflexive Identitätsarbeit. Männergesundheit müsse vermehrt thematisiert werden. Jeder einzelne Mann müsse sich "vorbehaltlos, aufmerksam und selbstkritisch" fragen, wie gesund - oder eben: ungesund - er sich verhalte.

Zwei Fallanalysen

Bei meiner Arbeit zur Männerbewegung ging ich davon aus, dass jedem Protokoll aus dem Feld eine spezifische Inszenierungslogik von Männlichkeit zu Grunde liegt, die ihrerseits eine konkrete Suggestivität aufweist. Als ein stark ediertes Material ist jedes Dokument einer bestimmten Zielgruppengenauigkeit verpflichtet, ist an einem antizipierten Publikum orientiert. Im Folgenden soll die mit der Interpretationsmethode der Objektiven Hermeneutik rekonstruierte Inszenierungslogik zweier solcher Materialien exemplarisch wiedergegeben werden.

Jürg, Architekt, 42-jährig

Die Postkarte des Männerbüros Zürich zeigt einen nach Feier-abend im dunklen Büro verweilenden, glatzköpfigen Mann. Er heisst Jürg, ist Architekt, 42-jährig. Die Inszenierungslogik der vorliegenden Darstellung besteht im Kern in einer Verschränkung aus Suggestion subjektiver Ohnmacht bei gleichzeitiger Glaubhaftmachung der "Objektivität" des Krisenbefunds: Jürg ist, als Architekt und Angehöriger der technischen Intelligenz quasi ein anerkannter Berufsvirtuose, hier "gefangen", gedankenleer und handlungspraktisch gelähmt. Die Postkarte diagnostiziert für Jürg - und damit für all jene, die sich mehr oder weniger mit ihm identifizieren mögen - eine als fremd verschuldet und unlösbar hypostasierte männliche Selbstentfremdung. Die Situation ist ausweglos. Oder doch nicht? Dreht man die Karte um, prangt links oben der Lösungsvorschlag des Männerbüros Zürich: "FACHLICHE BERATUNG ENTLASTET. MANNEBÜRO ZÜRI".

Mehr vom Leben

Wie im ersten Fall, der Postkarte mit Jürg, kommt auch die Edition des Prospektes zur Männertagung "Mehr vom Leben" bei der Inszenierung eines feldspezifischen Männlichkeitsbildes nicht ohne den Befund einer Problemsituation aus: Der Mann sieht sich hier mit einer als hässlich stilisierten Gegebenheit (die Dreck schleudernde, allerhand Mief und Gift produzierende Moderne) konfrontiert, die es zu überwinden gilt. Im Unterschied zum Architekten jedoch erscheint der Nackte angesichts der Problemlage nicht als paralysiert oder "gefangen". Vielmehr tritt er dem Problem geradezu "offen" gegenüber. Der im ersten Fall rekonstruierten Inszenierungsslogik der Ohnmächtigkeit eines eigentlich anerkannten "Künstlers" bei gleichzeitiger Glaubhaftmachung der "Objektivität" einer als fremd verschuldet stilisierten, den Berufsvirtuosen lähmenden Problematik, entspricht hier die Konfrontation einer betont ästhetischen, homoerotisch aufgeladenen Männlichkeit mit der ebenfalls bildhaft inszenierten Hässlichkeit der Industriemoderne. Und: Während im ersten Fall als "Lösungsansatz" die Aufnahme einer entlastenden Beziehung zu einem Berater nahe gelegt wird, wird die gegen die Fatalität der Moderne sich richtende, kunstvolle Selbstentblössung des athletischen Mannes im zweiten Fall gleichsam als private, von Gesinnungsgenossen geteilte, homoerotische Wunschvorstellung stilisiert: die Tagung richtet sich an alle, die "Mehr vom Leben" haben wollen; Wer will das nicht? Gleichsam programmatisch ruft das Dokument auf zur kollektiven Selbstentblössung aller Männer - im Sinne einer positiven Einflussmöglichkeit angesichts der Fatalität der Moderne. Vor wem die Männer sich entblössen können - oder sollen - wird klar, wenn man den Blick auf den Kasten links im Bild richtet: Mediziner und Berater stehen den "neuen, nackten Männern" offenbar gerne zur Seite.

Schluss

Das Erkenntnisinteresse meiner Arbeit zielte auf die Rekonstruktion der im Feld der Schweizer Männerbewegung vorherrschenden Inszenierungs - und Suggestionslogik von Männlichkeit vor dem Hintergrund der im Zuge des Wandels der Geschlechterbeziehungen als Krise erfahrenen Erosion männlich habitueller Sicherheit. Es ging also wesentlich darum, sich die in demjenigen Feld kursierenden Wissensbestände und Orientierungsangebote genauer anzuschauen, dessen Akteure sich explizit mit der Krise der traditionalen hegemonialen Männlichkeit als einer sozial verbürgten Selbstverständlichkeit auseinandersetzen - und damit zu ihrer weiteren Diskursivierung gleichsam aktiv beitragen.

Ich habe versucht zu zeigen, dass sich dabei eine durchwegs spannende Ambivalenz auftut: die dem männlichen Individuum traditionell zugesprochene Fähigkeit zu einem auf die Zukunft gerichteten Denken und Handeln wird gewissermassen in das männliche Selbst verkehrt: die dem männlichen Subjekt unterstellte Potenz zur Einnahme einer Führungsfunktion wird gleichsam in einen psychologischen Erklärungsrahmen verfrachtet und auf die eigene, neuerdings explizit als geschlechtlich erfahrene Identität gerichtet, wird zur Fähigkeit zur Einnahme einer "Selbstführungsfunktion" verkehrt. Die psychologisch gewendeten Krisendiagnosen einer "unausgewogenen" Männlichkeit etwa, wie sie in der Männerzeitung, den Beratungsseminaren und Männerbüros sehr prononciert angestellt werden, tragen - unterstrichen durch den Anspruch von Wissenschaftlichkeit - das Etikett eines objektiven Befunds. Bei der Fallstrukturrekonstruktion der Inszenierungslogik von Männlichkeit anhand der Postkarte aus dem Männerbüro Zürich stellte sich die so stilisierte "Lähmung" oder "Gefangenschaft" eines Repräsentanten der technischen Intelligenz als implizite Unterstellung einer fremdverschuldeten Selbstentfremdung dar, zu deren Lösung die Aufnahme einer Beziehung mit einem entlastenden Berater nahe gelegt wurde. Ebenso zweischneidig erwies sich die (einem Heilversprechen gleichkommende) Handlungsaufforderung auf dem Prospekt zur Männertagung in Form der Inszenierung der Möglichkeit zur positiven Einflussnahme angesichts der als fatal stilisierten Moderne durch eine kunstvolle, der homoerotischen Ästhetik verpflichteten, kollektiven Selbstentblössung der "bewegten Männer" vor Ärzten, Psychologen und Beratern. Die dem Mann allgemein anempfohlene "Entdeckungsreise ins Innere" kann in der Sinnwelt der Männerbewegung allerdings "nur mit Weggefährten" - also quasi mit Leidensgenossen - gelingen: die Veranstaltungen und Kurse im Feld stellen - so konnte ich beim Besuch der Männertagung in Winterthur in Erfahrung bringen - für manchen Teilnehmenden gewissermassen Oasen oder - um in der Sprache eines Teilnehmenden eben dieser Tagung zu sprechen - "Tankstellen" in einem aus langen, durstigen Strecken bestehenden, modernen, Energie zehrenden Leben dar. Die ambivalente Verknüpfung einer auf das Individuum zielenden "Selbstführungsfunktion" bei gleichzeitiger Suggestion der heilsamen Aufnahme affektiver oder auch homoerotischer Verbindungen mit anderen Männern und/oder Beratern zieht sich durch weite Teile der Männerbewegung. Eine von der Stelle für Gesundheitsförderung des Kantons Luzern herausgegebene Postkarte etwa fordert seinen Betrachter zu einem diese beiden "Heilmittel" integrierenden Verhalten auf: Machen Sie mal gar nichts. Erforschen Sie Ihre Bedürfnisse. Arbeiten Sie an sich selbst. Beweisen Sie Mut; sprechen Sie mit Männern offen über Ihre Gefühle.[...] Seien Sie ein Mann.

Denis Hänzi studiert in Bern Soziologie, Medien- und Theaterwissenschaften. Der Artikel geht auf seine Fachprogrammarbeit "Machen Sie mal gar nichts - Seien Sie ein Mann. Inszenierungslogiken und Männlichkeitsrhetorik im Feld der Schweizer Männerbewegung" zurück.

Literaturauswahl

Bourdieu, Pierre (1997): Die männliche Herrschaft, in: Dölling/ Krais (Hrsg.): Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis, Frankfurt/M., 153-217.
Döge, Peter und Meuser, Michael (2001): Geschlechterverhältnisse und Männlichkeit. Entwicklung und Perspektiven sozialwissenschaftlicher Männlichkeitsforschung, in: Dies. (Hrsg.): Männlichkeit und soziale Ordnung. Leske + Budrich. Opladen, 7-26.
Meuser, Michael (1998): Geschlecht und Männlichkeit: soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster, Opladen: Leske+Budrich.
Oevermann, Ulrich (1997): Thesen zur Methodik der werkimmanenten Interpretation vom Standpunkt der objektiven Hermeneutik. Frankfurt/Main.

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«Soziologie soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.»

Max Weber (1985 [1921]): Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen: J.C.B. Mohr, S. 1.