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soziologie.ch soz:mag#3 esoterik und antisemitismus

esoterik und antisemitismus

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Eine kritische Analyse von Esoterik-Magazinen

Auf den ersten Blick scheint die Esoterik-Szene eine apolitische und harmlose Bewegung zu sein. Schaut man sich einschlägige Publikationen der Szene, wie z.B.“esotera“, „connection“ oder die Schweizer Produktion „Spuren“ an, dominieren in erster Linie Gesundheitsthemen mit z.T. obskuren Heilmethoden und eine fassettenreiche Suche nach Erleuchtung und dem Übersinnlichen. Bei einer genaueren Analyse der Szene-Inhalte fällt dem kritischen Beobachter/der kritischen Beobachterin aber schnell das irrationale, antimoderne, antisoziale und antiaufklärerische Gedankengut dieser Szene auf. Anhand weniger Punkte soll im Folgenden aufgezeigt werden, auf welche Grundsätze und Ideologien sich das Denken der Esoterik-Szene stützt, aus welchen Gründen sich gerade in dieser Szene antisemitisches Denken wiederfindet und welche ExponentInnen eine herausragende Rolle spielen.

SOZ-MAG Beitrag von Bernhard Piller

Schicksalsgläubigkeit, Karma und esoterischer Antisemitismus

Der Glaube an das Schicksal ist nicht zwingend mit der Philosophie der Esoterik-Szene verknüpft, umgekehrt stellt die Schicksalsgläubigkeit aber ein zentrales Element der Ideologie der Esoterik-Szene dar. Krankheiten z.B. werden in der Esoterik-Szene vorwiegend schicksalhaft gedeutet, sie sind Zeichen kosmischer Gesetze einerseits und selbstverschuldetes Schicksal andererseits. Das Leben ist vorgezeichnet, der Mensch vollzieht nach, er/sie muss sich nur fügen, alles liegt letztlich in Gottes Hand. Verbunden mit der Schicksalsgläubigkeit ist der Glaube an die Widergeburt und die damit verknüpfte Karmagläubigkeit, sozusagen die Karmabedingtheit. In diesem Glauben werden Erinnerungen – wie z.B. Tragödien der Gewalt - die sich dem „Energiekörper“ eingeprägt haben, durch den Wiedergeburtsprozess weitergegeben und werden so unser seelisches Erbe – unser Karma. Beim Glauben an die Wiedergeburt handelt es sich um einen Kernpunkt esoterischen Denkens. Gesellschaftliche Ungleichheit und Ungerechtigkeit oder auch Armut und individuelles Leid wird als Schicksal begriffen. Die Zustände werden als eine unveränderliche Grösse betrachtet. Widerstand oder gar die Veränderung bestehender Verhältnisse ist zwecklos.

Die Schicksalsgläubigkeit hat hier vorwiegend mit dem Prinzip der Esoterik-Szene zu tun, dass alle Dinge im Universum eine ganz bestimmte Funktion im kosmischen Gefüge erfüllen. Alles fügt sich in eine „höhere Ordnung“ ein. Die einzige Aufgabe besteht eigentlich darin, sich dem „göttlichen“ Lauf der Dinge des Universums anzupassen. Da sich alles in den Dienst der kosmischen Gesetze stellen muss, ist auch Gelassenheit angesagt, da der Weg so oder so vorgezeichnet ist. Schlussendlich geht es den EsoterikerInnen darum, sich von jeglicher irdischen Gebundenheit zu lösen und in einer geistigen oder auch astralen Welt aufzugehen. Ganz deutlich äussert sich diesbezüglich Fritjof Capra, indem er den freien menschlichen Willen in Frage stellt. „Der relative Begriff des freien Willens scheint in Übeinstimmung zu stehen mit der Lehre mystischer Überlieferungen, deren Anhänger ermahnt werden, die Vorstellung von einem isolierten Selbst zu transzendieren und sich dessen bewusst zu werden, dass wir untrennbare Teile des Kosmos sind, in den wir eingebettet sind. Ziel dieser Überlieferungen ist es, sich vollständig aller Ich-Empfindungen zu entledigen und in mystischer Erfahrung mit der Totalität des Kosmos zu verschmelzen“ (Capra 1999, S. 298). Und weiter schreibt er, „sobald ein solcher Zustand erreicht ist, scheint die Frage nach dem freien Willen ihre Bedeutung zu verlieren. Wenn ich das ganze Universum bin, dann kann es keine Einflüsse von außen geben“ (Capra 1999, S. 299). Auf diese Weise berauben sich die EsoterikerInnen jeglichen Gestaltungswillen und jeglicher Gestaltungsmacht.

Ganz generell wird auf der Folie der Karmalehre auch immer wieder der Holocaust gerechtfertigt. Z.B. mit der Aussage: soziales Elend sei auf eine Schuld zurückzuführen die der Betroffene in seinem Vorleben auf sich geladen hat. So wird der Holocaust mit der Aussage gerechtfertigt, die Juden hätten lediglich ihr schlechtes Karma abzutragen gehabt, sie hätten durch das Feuer der Reinigung gehen müssen. Die Ermordung der Juden und Jüdinnen im Dritten Reich wird so – und dies im Stillen wohl von vielen EsoterikerInnen – für selbstproduziertes Schicksal gehalten.

Der Law-and-order-Esoteriker Trutz Hardo meint sogar, der Holocaust sei das Bestmögliche was den Juden habe zustossen können, er habe ihr seelisch-spirituelles Wachstum vorangetrieben. Das ist ausdrücklich die Antwort auf die Frage nach dem „Sinn“ von Konzentrationslagern.

Neben dem Schicksals- und dem Karmaglauben gilt das Denken in Analogien als ein weiterer Kernpunkt esoterischer Ideologie.

„Dasjenige, welches Unten ist, ist gleich demjenigen, welches Oben ist: Und dasjenige, welches Oben ist, ist gleich demjenigen, welches Unten ist, um zu vollbringen die Wunderwerke eines einzigen Dinges (Dethlefsen 1979, S. 28-32).

Dieses Denken ist dem uns geläufigen analytisch kausalen Denken diametral entgegengesetzt. Alles wird mit diesem Prinzip gleichgesetzt. Mikrokosmos gleich Makrokosmos, „Leere ist Fülle und Fülle ist Leere“(esotera 2/2000, S.41). Gefährlich wird es, wenn eine TäterInnen-Opfer-Analogie konstruiert wird: „Auch die Täter litten“ (connection 2/2001, S. 49), oder bei Hellingers Familientherapie: „Erst wenn die toten Täter mit den toten Opfern vereint sind, kann Frieden entstehen. Opfer und Täter fühlen sich von einer höheren Macht sowohl gesteuert wie getragen, einer Macht, deren Wirken wir nicht durchschauen“ (spuren 3/2001, S. 55). Mit einer solchen undifferenzierten, konstruierten Gleichsetzung von Opfern und TäterInnen kann die Schuld der Schuldigen schnell entschuldigt werden.

„Würden wir mit den Augen des Ganzen sehen, wäre uns klar, dass alles Gott ist und daher niemand leiden kann, und sollte er gar getötet werden. Denn der Mörder, das Opfer, der Dolch, alles war und ist eins, von Anbeginn“ (Boerner, in: connection 5/2000, S. 38). Fast schon pervers wirkt dieses Prinzip bei sogenannten Rückführungstherapien, bei der gemäss dieser Logik Opfer und TäterInnen – in ihren verschiedenen Leben – als Erscheinungsformen ein und desselben Menschen alle alles einmal durchspielen. TäterInnen können demnach ebenso Opfer sein, wie Opfer TäterInnen und mit einer solchen Argumentation befindet man sich auf direktem Weg zur Verharmlosung des Holocaust. Wird diese Logik konsequent zu Ende gedacht, werden jegliche ethisch-moralischen Regeln, welche vom Zusammenleben zwischen den Menschen innerhalb eines einmaligen Lebens ausgehen, hinfällig. Wird nach diesem Prinzip – wie in der Szene üblich – eine Mensch-Tier-Analogie, sozusagen eine Gleichsetzung von Mensch und Tier konstruiert: „Was der Mensch Tieren antut, das tut er schließlich auch immer Menschen an, die Folterkeller und Konzentrationslager des Planeten zeugen davon“ (connection 2/2001, S. 11), führt das in der Konsequenz ebenso zu einer Verharmlosung des Holocaust.

Der Antisemitismus bei Jung und Steiner

Nicht nur im Denken, in der esoterischen Ideologie, lassen sich antisemitische Denkmuster feststellen. Es wird in der Esoterik-Szene auch ganz hemmungslos und explizit Bezug auf antisemitische Autoren genommen. In den von mir analysierten Esoterik-Magazinen „esotera“, „connection“ und „Spuren“ sind die drei Exponenten Bhagwan/Osho, C.G. Jung und Rudolf Steiner diejenigen, auf welche am häufigsten Bezug genommen wird. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, da diese Autoren einen grossen Teil des esoterischen Fundus ausmachen.

Auf Bhagwans faschistoide Sektenstruktur welche in den 1980er Jahren in Oregon herrschte, will ich hier nicht weiter eingehen (Ausführlicheres zu Bhagwan vgl. Gess 1994, S. 291ff. & Gess 1995, S. 279-322).

C.G. Jung

C.G. Jungs Antisemitismus und seine Kollaboration mit dem deutschen Faschismus lässt sich an folgenden Punkten festmachen:

Erstens durch seine Mitarbeit in psychologischen Institutionen des NS-Staats, der Herausgabe des ,,Zentralblatts für Psychotherapie und ihre Grenzgebiete“ und durch den Vorsitz der ,,Internationalen Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie“, deren deutscher Sektion der hochrangige NS-Aktivist Mathias Göring vorstand.

Zweitens durch seine vielfältigen Aktivitäten gegen die Psychoanalyse Sigmund Freuds und seine Denunziation der Psychoanalyse als ,,jüdisches Machwerk“. Beispielsweise durch die briefliche Korrespondenz mit seinem Schüler W.M. Kranefeldt, in der er die mögliche Denunziation der Psychoanalyse als ,,jüdisch“ erwog oder durch sein Rundfunk-Interview mit dem Psychotherapeuten A. Weizsäcker unmittelbar nach der Bücherverbrennung.

Drittens ist seine Theorie der Archetypen des kollektiven Unbewussten zu nennen. Diese Archetypen gelten als Schlüsselkategorien bei C.G. Jung, sie werden von ihm rassenspezifisch gefasst und sie sind für das Verständ-nis seines Schaffens unabdingbar. Beim kollektiven Unbewusst-sein handelt es sich gemäss Jung um eine überpersönliche Tiefenschicht des Unbewussten, welche als Niederschlag der Erfahrungen der Ahnenreihe gilt, sie kann als uralte, vererbte Grundschicht begriffen werden.

Gemäss dieser Theorie ging Jung von unbewussten kollektiven Vorstellungsmustern aus, die dem menschlichen Geist angeboren sind und als solche eine normative Gewalt ausüben, der kein Mensch entgehen kann. Er differenzierte explizit zwischen einem ,,arischen“ und einem ,,jüdischen“ Unbewussten und dies obwohl seit Beginn des NS-Staats absehbar war, dass eine Regierung, die eine archaische Rassenlehre propagiert, eine rassistische Praxis folgen lässt.

Der Ethnopsychoanalytiker Mario Erdheim äussert sich in einem Interview mit der psychologischen Zeitschrift „Psychologie heute“ über den Zusammenhang von C.G. Jung, Faschismus und Esoterik wie folgt: ,,Am Beispiel von C.G. Jung wird deutlich, wie das Esoterische ins Faschistoide hineinführt. Wenn man die Jungsche Archetypenlehre genauer ansieht, kommt der Rassismus deutlich zum Vorschein. Jung ging davon aus, dass sich auf-grund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse eine ganz bestimmte Kultur, die von eben diesen Archetypen gelenkt wird, entwickelt. Das Jungsche Modell des kollektiven Unbewussten ist somit nichts anderes als Rassismus.“ Nach Erdheim sind Esoterik und Faschismus ganz allgemein Formen der Immunisierung gegenüber den realen Problemen einer Gesellschaft.

Und über C.G. Jungs Archetypenlehre und die Mentalität seiner gegenwärtigen ,,esoterischen“ Anhängerschaft urteilt Erdheim: ,,Es liegt zumindest eine Art Immun-schwäche gegenüber dem Faschismus vor. Die Vorstellung des Archetypus macht einen hilflos gegenüber faschistoiden Entwicklungen, das ist das eine, und das andere - sie ist auch Ausdruck faschistoider Entwicklung, weil sie ein elitäres Denken enthält, das letztlich zu einer Theorie der Apartheid, zur Rassentrennung führt. Und dann landen Sie sehr schnell bei neofaschistischen Konstrukten. [...] Aber sicher ist, Auschwitz, genau wie Hiroshima, können mit dem Theorem des kollektiven Unbewussten, das jede Form gesellschaftlicher Entwicklung als Teil eines kosmischen Geschehens sieht, nicht verstanden werden“ (Psychologie heute, 7/1997, S. 39f.).

Viertens sah Jung in der deutschen faschistischen Bewegung die ideale Voraussetzung zur Überprüfung seiner Individuationslehre. Jene unruhig durch die Lande schweifenden Völkerscharen, die Jung vor seinem geistigen Auge beschwor, schienen für den von mythischen Gestalten faszinierten Jung ein geradezu evidenter Beweis für die Stichhaltigkeit seiner Lehre von den Archetypen des kollektiven Unbewussten zu sein. Der Wotan ist, wenn man denn so will, Jungs Beitrag zur Analyse der Massenpsychologie des Faschismus. Dieser Punkt scheint neben seiner in antisemitischen Stereotypen verhafteten Denkweise der Hauptgrund für sein langjähriges Näheverhältnis zum NS-Staat zu sein. Jung verkörpert in diesem Kontext die Figur des Forschers, der die Schutzdistanz verliert und dem Gegenstand seiner Faszination schließlich erliegt.

Nach dem zweiten Weltkrieg unternimmt Jung diverse vordergründige Versuche, sich vom NS-Faschismus zu distanzieren. An seiner Theorie vom kollektiven Unbewussten hält er aber uneingeschränkt fest.

Heutige esoterische bzw. neofaschistische AutorInnen – wie z.B. Franz Alt, Rudolf Bahro, Eugen Drewermann und Fritjof Capra – beziehen sich in ihren Publikationen alle ausschliesslich positiv auf C.G. Jung. Alts Interpretation von Jesus z.B. ist im übrigen nur eine Neuauflage des Jungschen Antisemitismus, dies ist in einer ausführlichen Analyse bei Heinz Gess (1994) nachzulesen.

Rudolf Steiner

Auch die Ideologie Rudolf Steiners ist von Rassismen und antisemitischen Elementen durchzogen. Der Begründer der Anthroposophie hielt an der Ideologie germanisch-nordischer Vorrangstellung auch nach seiner Trennung von der Theosophie und der Gründung seiner anthroposophischen Gesellschaft unbeirrt fest.

Eine der wichtigsten Grundlagen der Anthroposophie ist die sogenannte „Wurzelrassenlehre“, die eine rassistische Konstruktion darstellt und auf die Theosophin Helena Blavatsky zurückgeht. Demnach sind bestimmte Rassen und Völker die auserwählten und von Geistwesen geführten Träger spiritueller Höherentwicklung. Steiner sieht die blonden europäischen Arier als Höhepunkt einer Entwicklung an, die insbesondere Indianer, Schwarze, Asiaten und Juden nicht erreicht haben. Nach der Wurzelrassenlehre ist die nordisch-germanische Rasse von 1415 bis zum Jahr 3573 die auserwählte Rasse (vgl. Bierl 1999, S. 85). Eine Rolle spielt in diesem evolutionistischen Denken der angeblich versunkene Kontinent Atlantis, aus dem sich die verschiedenen Rassen hochentwickelt hätten, am höchsten demnach die europäisch-arische.

Rudolf Steiner äußerte sich vielfach auch ganz konkret in antisemitischer Weise über den verderblichen Einfluss der Juden in der Medizin oder über ihre angebliche Unfähigkeit, schöpferisch bildhauerisch tätig zu sein. Deutlich wird dies in folgender Aussage: “Das Judentum als solches hat sich aber längst ausgelebt, hat keine Berechtigung des modernen Völkerlebens, und dass es sich dennoch erhalten hat, ist ein Fehler der Weltgeschichte, dessen Folgen nicht ausbleiben konnten. Wir meinen hier nicht die Formen der jüdischen Religion alleine, wir meinen vorzüglich den Geist des Judentums, die jüdische Denkweise.“ (Steiner: Gesammelte Aufsätze der Literatur, Dornach 1971, S. 152 f, GA 32).

Die Anthroposophie wirkt auch im erweiterten Sinne rassistisch, da man ihren kulturellen Führungsanspruch an sich selbst als ein ‚Sich selbst erhöhen’ feststellen kann. Das zeigt sich deutlich aufgrund der Minderbewertung des philosophischen Materialismus und der Abwertung bestimmter Völker. Zudem huldigt die Anthroposophie einem Führerkult, da Steiner unter AnthroposophInnen als Menschheitsführer angesehen wird. Völkisch ist sie im weiteren insofern, als sie von Volksgeistern und Gruppenseelen ausgeht. Letztlich ist die Anthroposophie antiaufklärerisch und im Kern irrational und regressiv. Die meisten AntroposophInnen bestreiten den Antisemitismus und Rassismus Steiners und seiner Anthroposophie. Sie stehen allerdings auf schwankendem Boden, da sie bei Steiner wenig finden, worauf sie sich berufen können. Deshalb werden viele seiner Aussagen mit verschwommenerem Inhalt entsprechend zurechtgebogen. Die beachtliche Fähigkeit mancher AnthroposophInnen, ihnen Unangenehmes im Werk Steiners zu übersehen, sollte nicht unterschätzt werden.

Es gibt, was in den Medien merkwürdigerweise gar nicht thematisiert wird, auch ganz aktuelle Beispiele, wie sich antisemitisches Gedankengut und esoterisches Denken überschneiden und treffen. Jürgen Möllemanns Antisemitismus muss nicht weiter ausgeführt werden, dass er sich aber auch intensiv für einen Geistheiler einsetzte, ist den Wenigsten bekannt.

Die Mainstream Esoterik

Die von mir untersuchten Esoterik-Magazine esotera, connection und spuren können zur Mainstream Esoterik gezählt werden. Charakteristisch für den Mainstream der Szene ist seine Widersprüchlichkeit. Einerseits lassen sich in den Magazinen Artikel finden, in denen Rassismus, Nationalismus und Menschenrechtsverletzungen als Problem perzipiert und entsprechend verurteilt werden. Auf der anderen Seite wird in gewissen Beiträgen eine universalistische oder liberale Werthaltung ausdrücklich als Problem perzipiert. Es lassen sich Stellen finden, in denen eine Volkstradition als bedroht angesehen wird, einmal wird sogar in der bekannten stereotypen, antisemitischen Weise den Freimaurern und den Juden/Jüdinnen die Weltherrschaft unterstellt (spuren 2/2001, S. 44f.).

Ein weiterer Widerspruch lässt sich an den penetranten Rückgriffen auf Vergangenes, alte Kulturen, Mythologien, Heilige Orte usw. festmachen. Im Verlauf der Moderne gab und gibt es zwar immer wieder eine Hinwendung zu archaischen Kulturen, zur „guten alten“ Zeit allgemein, die als positiver Gegenpol zur jeweils herrschenden, zur Mainstreamkultur, propagiert wird. In der Esoterik-Szene trifft die Beschäftigung mit Vergangenem aber auf eine ganz besondere Vorliebe. Das Motiv eines neuen harmonischen Zeitalters ist unter anderem auch mit der Vorstellung eines gewissen Archaismus verbunden: Die durch einen Bewusstseinswandel und ein ganzheitliches Denken herzustellende Harmonie hatte nämlich in den Augen der Esoterik-Szene bestanden, bevor sie von der modernen Zivilisation verdeckt oder überlagert wurde. Es besteht die Meinung, dass nur die inneren Fähigkeiten wieder entdeckt werden müssen. Von den vermittelten Inhalten her ist die Esoterik-Szene im allgemeinen rückwärtsgewandten und traditionalen Ideen und Ideologien verpflichtet. Bezüglich ihrer Form und ihren Methoden – und das ist der Widerspruch – präsentiert sich die Esoterik-Szene hingegen hochmodern und ist mit dem kapitalistischen System hundertprozentig kompatibel.

Explizit rassistische und antisemitische Äusserungen von Jung und Steiner lassen sich heute in den Mainstream-Esoterikmagazinen zwar nicht mehr finden, da sind die Magazine seit Mitte der 1990er Jahre vorsichtiger geworden. Es findet aber eine absolut unkritische Widergabe der Ideologien dieser Autoren satt. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass für die Esoterik-Szene im mindesten ein nicht zu unterschätzendes Mass an Kritiklosigkeit, im besonderen gegenüber antisemitischem Gedankengut, charakteristisch ist.

Ganz im Gegensatz zu dieser Szene möchte ich hier für ein kritisches Denken mit aufklärerischem Charakter als Einspruchinstanz in Bestehendes plädieren. Das antisemitische Gedankengut der Esoterik-ExponentInnen muss schonungslos ans Licht der Öffentlichkeit gebracht werden.

Bernhard Piller studierte an der Universität Zürich Soziologie, Politikwissenschaft und Pädagogik. Das Interesse an einer kritischen Auseinandersetzung mit der Esoterik entstand aus der Erfahrung, dass gerade in politisch links-grünen Kreisen esoterisches Gedankengut immer wieder einen grossen Anklang findet. In Kreisen die sich normativ gewendet eigentlich kritisch aufklärerisch verhalten sollten. Heute arbeitet er im Kampagnenbüro für die am 18. Mai zur Abstimmung kommenden Initiativen „Strom ohne Atom“ und „MoratoriumPlus“. Der Artikel basiert auf seiner Lizentiatsarbeit „Deutungsmuster und Weltbilder in der „Esoterik-Szene“.

Literaturauswahl

Bierl, Peter (1999): Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister - Die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik. Hamburg: Konkret Literatur.
Capra, Fritjof (1999 (1983)): Wendezeit – Bausteine für ein neues Weltbild. München: Knaur.
Erdheim, Mario in Psychologie heute, 7/1997, S. 39f.
Gess, Heinz (1994): Vom Faschismus zum Neuen Denken. C. G. Jungs Theorie im Wandel der Zeit. Lüneburg: zu Klampen.
Gess, Heinz (1995): Der „Neue Mensch“ als Ideologie der Entmenschlichung. Über Bhagwans und Bahros Archetypus. In: Kern, Gerhard / Traynor, Lee: Die esoterische Verführung. Aschaffenburg – Berlin: IBDK. S. 279-322.

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«Die wissenschaftliche Theorie, wie ich sie verstehe, stellt sich als ein Wahrnehmungs- und Handlungsprogramm dar, oder als ein wissenschaftlicher Habitus, wenn Ihnen das lieber ist, der sich nur in der empirischen Arbeit offenbart, in der er realisiert wird.»

Pierre Bourdieu im Gespräch mit Loïc Wacquant, in „Reflexive Anthropologie“ (1996), S. 197.