Eine Anleitung zu einem systemtheoretischen Blindflug
Organisationen wie Firmen, Unternehmen, Vereine, VerbÀnde, Agenturen usw. lassen sich beraten, um ein Problem zu lösen. Entgegen den klassischen Beratungszielen versteht die systemische Organisationsberatung ihre Aufgabe jedoch nicht darin, das Problem einer Organisation zu lösen. Ihr VerstÀndnis von Beratung ist paradox, denn sie geht davon aus, dass eine Organisation nicht von aussen steuerbar ist, und behauptet dennoch deren Steuerbarkeit. Der folgende Beitrag zeigt, wie die Beratung von Organisationen aus dieser Perspektive beschrieben werden kann.
SOZ-MAG Beitrag von Thomas Stucki
FĂŒr das Thema Organisationsberatung ist der Begriff Kommunikation unumgĂ€nglich. Alltagsweltlich wird mit Kommunikation der Austausch von Informationen zwischen Menschen bezeichnet. In der Systemtheorie wird Kommunikation hingegen als grundlegende Operation sozialer Systeme verstanden. Das bedeutet mit anderen Worten, dass soziale Systeme aus nichts anderem als aus Kommunikation bestehen. Die Systemtheorie trennt Soziales und Psychisches als zwei voneinander verschiedene SphĂ€ren der Systembildung. Diese beiden SphĂ€ren bedingen und berĂŒhren einander, operieren aber immer getrennt. Es ist fĂŒr ein psychisches System beispielsweise nicht möglich, die Inhalte der eigenen Wahrnehmung in ein soziales System wie beispielsweise ein Unternehmen zu ĂŒbertragen; es gibt keinen Zugriff auf die Gedanken eines Menschen.
Die EigenstÀndigkeit von Kommunikation
Die Systemtheorie vertritt die Ansicht, dass Menschen nicht kommunizieren können, und konzipiert Kommunikation entsprechend als rein soziale Operation, die als Letztelement sozialer Systeme fungiert. Kommunikation ist zwar auf Menschen angewiesen, folgt aber ihrer eigenen Dynamik. Die Trennung von sozial und psychisch hat der Systemtheorie manche Kritik eingetragen von der Art, wie es möglich sei, zu vertreten, dass nicht Menschen kommunizieren wĂŒrden, wo doch jeder und jede jederzeit das Gegenteil ĂŒberprĂŒfen könne. Die humanistische Kritik etwa gipfelt in der Frage, wo in der Systemtheorie der Mensch bleibe. Der Begriff System wird dabei oft mit Attributen wie KĂ€lte, TechnizitĂ€t, Unmenschlichkeit und Leere verbunden, wĂ€hrend der Mensch unter der Sonne der AufklĂ€rung als Vernunftwesen erscheint.
Die Trennung von Sozialem und Psychischem ist aber noch nicht alles, was die Systemtheorie uns zumutet, wenn es um Kommunikation geht. Sie verabschiedet sich auch von der Metapher der Ăbertragung von Kommunikation und von der Vorstellung, das Ziel der Kommunikation liege in der VerstĂ€ndigung. Dieser Abschied bedarf einer ErklĂ€rung, denn in der Kommunikationswissenschaft wird Kommunikation als Ăbertragung von Information zwischen Sender und EmpfĂ€nger verstanden. Tritt bei der Ăbertragung ein Problem auf, spricht man von einer Störung. Ziel der Kommunikation ist es demnach, ungestört zu funktionieren. Damit liegt der Fokus auf der Ăbertragung: Kommunikation wird als Paket vorgestellt, welches von A nach B verschoben wird. Wird die Ăbertragung gestört, lĂ€uft etwas nicht gut. Kommunikation kann deshalb normativ gefasst werden, als gute oder als schlechte Kommunikation. Gut ist Kommunikation dann, wenn das Paket so ankommt, wie es auf den Weg gesetzt wird, d.h. wenn der EmpfĂ€nger erhĂ€lt, was der Sender abgeschickt hat. Schlecht ist Kommunikation hingegen dann, wenn etwas nicht so ankommt, wie es gesendet wurde, d.h. wenn etwas falsch verstanden wird. Ziel der Kommunikation ist folglich die VerstĂ€ndigung der Beteiligten. Die Systemtheorie verabschiedet sich radikal von dieser Sichtweise. Sie arbeitet nicht mehr mit der Unterscheidung [gute Kommunikation | schlechte Kommunikation]. Der Grund fĂŒr diese Abkehr liegt darin, dass es fĂŒr die Fortdauer der Kommunikation keine Rolle spielt, ob sie als gute oder als schlechte Kommunikation bezeichnet wird. Die Bezeichnung âgutâ bzw. âschlechtâ ist bildlich gesprochen ein Etikett, welches an die Kommunikation geklebt wird, und kann nicht als Eigenschaft verstanden werden, welche die Kommunikation als Kommunikation konstituiert. Gerade bei Konflikt, Meinungsverschiedenheit, im Streit und sogar im Krieg kann Kommunikation an Kommunikation anschliessen, auch wenn die Beteiligten solche Kommunikation als unangenehm empfinden.
Die Systemtheorie beschreibt die Kommunikation von ihrem Ende her und schlĂ€gt vor, dass Kommunikation sich dann ereignet hat, wenn etwas als Kommunikation verstanden worden ist. Dieses Etwas kann eine Handlung sein, aber genauso gut auch das Ausbleiben einer Handlung. Mein Tischnachbar klopft mit den Fingern auf den Tisch: Kommunikation oder nicht? Systemtheoretisch gesehen ist die Handbewegung meines Nachbars Kommunikation, wenn ich darin eine Mitteilung erkenne. GrundsĂ€tzlich handelt es sich nur um eine Handbewegung, und nichts wird von A nach B gesendet. Dass das Klopfen der Finger etwas mitteilen kann, liegt auf der Hand; ob es das tut, ist jedoch nicht klar. Mein Nachbar tippt vielleicht gedankenverloren auf den Tisch. Eventuell verstehe ich sein Tippen aber auch als Zeichen von Langeweile oder Ărger. Kommunikation realisiert sich mit anderen Worten erst durch das Verstehen. Nur wenn ich dieses Verhalten als Mitteilung interpretiere, ist es Kommunikation, sonst ist es einfach eine Handbewegung. Kommunikation realisiert sich dann, wenn verstanden worden ist, und dabei ist es unerheblich, ob es sich um richtiges oder falsches Verstehen handelt. FĂŒr die Kommunikation zĂ€hlt einzig der Anschluss an Kommunikation, was bedeutet, dass auch bei Falschverstehen, bei Konflikt und Dissens weiter kommuniziert werden kann. Selbst wenn ich das Klopfen meines Nachbars falsch verstehe, kann die Kommunikation weiterlaufen. Bereits dieses Beispiel verdeutlicht die EigenstĂ€ndigkeit der Kommunikation, denn schon bei zwei Personen kann es kompliziert werden, wenn man alle Anschlussmöglichkeiten der Kommunikation erfassen will. Hat man es mit grösseren ZusammenhĂ€ngen, beispielsweise mit Organisationen zu tun, erweitern sich die Möglichkeiten drastisch und die EigenstĂ€ndigkeit von Kommunikation wird augenfĂ€llig.
100 Jahre Organisationsberatung â 3 Richtungen
Die Geschichte der Beratung von Organisationen ist ungefĂ€hr 100-jĂ€hrig und hat bisher drei Richtungen hervorgebracht, welchen drei verschiedene Sichtweisen der Organisation entsprechen. Die Ă€lteste Richtung ist die klassische Management- oder Unternehmensberatung. Sie geht davon aus, dass eine Organisation eine triviale Maschine ist, die man bis ins Letzte verstehen und nach PlĂ€nen warten kann. Der Zweck der Maschine wird von aussen durch einen Konstrukteur vorgegeben, und die Beziehungen der Teile der Maschine sind determiniert. Die Maschine ist zwar kompliziert, prinzipiell aber durchschaubar. Wird eine Organisation als Trivialmaschine gesehen, erfĂŒllt alles in ihr einen festgelegten Zweck. Was keinen Zweck verfolgt, ist unnötig und kann deshalb eliminiert werden. In Abgrenzung zu diesem VerstĂ€ndnis entsteht Ende der 1940er Jahre die Organisationsentwicklung oder Prozessberatung, welche die Organisation als Organismus sieht und ihr eine gewisse Selbstbestimmung zugesteht. Dieser Ansatz berĂŒcksichtigt, dass Organisationen im Austausch mit ihrer Umwelt stehen. VerĂ€nderungen können nicht einfach vollzogen werden, sondern sind das Ergebnis evolutionĂ€rer Prozesse. Eine Organisation ĂŒberlebt nur, wenn sie sich ihrer Umwelt anpassen kann. Die systemische Beratung schliesslich sieht Organisationen als nichttriviale Maschinen. Sie sind fĂŒr sich selbst und fĂŒr andere in hohem Mass undurchschaubar und unberechenbar. Die systemische Beratung folgt dem Konstruktivismus, welcher davon ausgeht, dass jede Erkenntnis abhĂ€ngig von einem Beobachter ist, d.h., dass es keine ObjektivitĂ€t gibt. Weiter geht der Konstruktivismus davon aus, dass die Beobachtungen der Beobachter das Beobachtete beeinflussen. Plakativer formuliert, kann sogar gesagt werden, dass das Beobachtete seine Existenz dem Beobachter verdankt. Ein Beispiel dafĂŒr ist die Ăusserung von Picasso, dass nicht der KĂŒnstler das Bild erschaffe, sondern der Betrachter. FĂŒr die Beratung von Organisationen bedeutet diese Ausrichtung, dass Abschied genommen wird von der Vorstellung eines archimedischen Punktes, der stabil gehalten und von dem aus die Organisation repariert werden kann.
Die systemische Beratung von Organisationen blickt zurĂŒck auf 20 Jahre Praxis. Den einen gilt sie als Kaffeesatzdeuterei und den anderen als Revolution in der Beratungspraxis. Die systemische Beratung wurzelt einerseits in der systemischen Familientherapie und andererseits in der soziologischen Systemtheorie. Der systemischen Familientherapie entnimmt sie ihre Methoden der Intervention, und der soziologischen Systemtheorie ihre Theorie. Die systemische Familientherapie entstand Ende der 1950er Jahre um die Psychologin Selvini Palazzoli. Die als âMailĂ€nder Schuleâ bezeichnete Gruppe versteht Krankheit, Störung oder Abweichung als mögliche Lösung einer unentscheidbaren Situation, als sowohl funktional fĂŒr den Erhalt des Systems und als zugleich dysfunktional fĂŒr die Persönlichkeitsentwicklung der am System beteiligten Personen. So kann beispielsweise die einnĂ€ssende Tochter als SymptomtrĂ€gerin eines Familiensystems gesehen werden, bei welchem die Geburt eines Geschwisters das System verĂ€ndert hat. Die soziologische Systemtheorie ist geprĂ€gt durch den Bielefelder Soziologen Luhmann, der 1984 in seiner Theorie sozialer Systeme vorschlĂ€gt, Soziales als Emergenz in Form von Kommunikation zu verstehen. Was ist damit gemeint? Aus der Selbstorganisationsforschung ist bekannt, dass Systeme mit dem Ăberschreiten einer kritischen Masse an KomplexitĂ€t Eigenschaften hervorbringen, die aus den Eigenschaften ihrer Elemente allein nicht mehr erklĂ€rbar sind. Soziales spielt sich mit anderen Worten auf einer Ebene ab, welche ihrer eigenen Dynamik folgt und deshalb nicht mehr auf die Teilnehmenden, beispielsweise auf die Mitglieder einer Familie, zurĂŒck zu rechnen ist. Nun sind Organisationen aufgrund der Anzahl ihrer Mitglieder in den meisten FĂ€llen ungleich komplexer als Familien, die heute in der Regel aus drei bis vier Personen bestehen. Es stellt sich deshalb die Frage, wie in ein solches System interveniert werden kann, wenn man davon ausgeht, dass es sich selber reguliert.
Damit ist die grundlegende Paradoxie von Organisationsberatung benannt, die darin besteht, dass man es mit der Steuerung nichtsteuerbarer Systeme zu tun hat. Eine Organisation ist ein soziales System und daher autopoietisch, d.h. sie entscheidet eigenlogisch und ausschliesslich auf Grundlage eigener Operationen, welche Ereignisse aus ihrer Umwelt auf welche Weise registriert werden. Autopoiesis bedeutet, dass ein System sich andauernd aus eigener Kraft und ausschliesslich durch eigene Operationen von der Umwelt abgrenzt und sich dadurch andauernd selber schafft (griech. autos | poiein = selbst | machen). Dieser autopoietische Reproduktionsprozess lĂ€sst sich an einem Bild veranschaulichen: Es ist, als ob das System sich an den eigenen Haaren aus dem Wasser zöge. Legt man sich das Konzept der Autopoiesis als PrĂ€misse fĂŒr das Denken ĂŒber Organisationsberatung zugrunde, besteht eine der Paradoxien von Organisationsberatung darin, dass sie in der Umwelt der Organisation stattfindet und ĂŒber keinen Zugriff auf das organisationsinterne Geschehen verfĂŒgt, jedoch genau dies postulieren muss. An welchen Mechanismen kann Organisationsberatung ansetzen, wenn sie keinen Zugriff auf das beratene System hat? Wie kann Organisationsberatung betrieben werden, wenn angenommen wird, dass jede Beobachtung, d.h. jede Beschreibung, jede Diagnose, jeder Text, jede ErzĂ€hlung relativ zum Standpunkt des Beobachters ist und dass es keinen Zugriff von der Umwelt in das System gibt?
Die Besonderheit systemischer Beratung
Worin unterscheidet sich systemische Organisationsberatung von den anderen beiden genannten Beratungsformen? â Bei der systemischen Beratung handelt es sich letztlich um eine Haltung und nicht um ein erlernbares Set an Methoden. Diese Haltung besteht darin, radikal davon auszugehen, dass eine Organisation sich selber steuert. Systemische Beratung von Organisationen ist im Kern Hilfe zur Selbsthilfe. Als Grundsatz systemischer Beratung gilt, dass kein System willentlich in einen bestimmten Zustand gebracht werden kann, sondern dass ein System immer sich selber in einem bestimmten Zustand hĂ€lt und dies immer aufgrund eigener Mechanismen tut. Diese Mechanismen spielen sich auf der sozialen Ebene ab, d.h. auf der Ebene der Kommunikation, und sie folgen nicht dem Willen der beteiligten Personen. Dieser Zustand ist aber verĂ€nderbar, obwohl er immer der Zustand des betreffenden Systems und als solcher hausgemacht bleibt. Gerade an dieser Eigenart sozialer Systeme, sich selber zu regulieren, setzt die systemische Beratung an. Sie bietet an, das System zu stören.
Wie ist eine solche Störung zu verstehen? â Ist Beratung systemisch, geht sie von der Geschlossenheit sozialer Systeme aus. GemĂ€ss dieser Annahme kann ein soziales System nur erreicht werden, wenn es etwas als Störung registriert. Nur ĂŒber Irritation kommt Bewegung ins System. Gerade die Schwierigkeiten gelten der systemischen Beratung als Impulse fĂŒr VerĂ€nderung. Systemische Beratung setzt deshalb an denjenigen Situationen in Organisationen an, welche als problematisch definiert werden und von denen am liebsten niemand redet. NatĂŒrlich stört auch klassische Beratung die Organisation durch ihre Anwesenheit. Das ist genauso unvermeidlich, wie uns der Besuch zuhause in der Routine des Alltags stört, indem er diese durch seine PrĂ€senz durchbricht. Im Unterschied zu klassischer Beratung arbeitet systemische Beratung aber explizit mit der Störung, sie macht Irritation sozusagen zu ihrem KerngeschĂ€ft. Man könnte sagen, dass sie ihre Aufgabe in der qualifizierten Störung sieht. Sie kommt, stört und begleitet das System auf seinem Weg, mit der Störung etwas anzufangen. Systemische Beratung bietet Sicherheit im Umgang mit Unsicherheit. Dabei besteht im Unterschied zur klassischen Beratung nicht die Vorstellung eines idealen Zustands des beratenen Systems. Die Struktur einer Organisation ist nichts Festes, was erst in Bewegung gebracht werden muss. Organisationen sind als soziale Systeme permanent in Bewegung. Selber werden Organisationen aber in der Regel nicht davon ausgehen, dass sie sich in einem stĂ€ndigen Prozess des Werdens und Vergehens befinden, sondern dass sie stabil, stark und sicher sind und aufgrund klarer Leitbilder und Zielvorgaben in eine bestimmte Zukunft hinein operieren. Nur schon die Konfrontation damit, dass die eigene, offizielle Sicht der Dinge von aussen nicht geteilt wird und dass in der Organisation selbst heterogene Sichtweisen beobachtet werden können (z.B. abweichende Sichtweisen von Individuen, Gruppen oder Abteilungen), stellt eine Störung dar, wie sie massiver kaum sein könnte. Beratungskommunikation nimmt besondere Blickwinkel ein, sie ĂŒberrascht und irritiert bestehende Sichtweisen. Organisationsberatung sieht nicht besser oder richtiger, sondern sie beobachtet die beratene Organisation aus einer anderen Perspektive. Das beratene System erhĂ€lt durch diese Konfrontation mit einer abweichenden Sicht Gelegenheit, sich zu verĂ€ndern.
Methoden systemischer Beratung: ZirkulÀres Fragen und Paradoxe Intervention
Die systemische Beratung verfĂŒgt ĂŒber hohe Freiheitsgrade im Einsatz ihrer Methoden. Deshalb kann grundsĂ€tzlich auch klassische Expertenberatung als systemische Beratung verstanden werden, wenn sie ihre Arbeit als Intervention in ein soziales System begreift.
Dieses VerstĂ€ndnis von Intervention bedeutet, dass man die RĂŒckwirkung der Beratung auf das beratene System mitbeachtet. Zu diesem Zweck drĂ€ngt sich die Verwendung geeigneter Methoden auf. Als typisch systemische Methoden gelten das zirkulĂ€re Fragen und die paradoxe Intervention. Beide Methoden konfrontieren das beratene System mit der eigenen KomplexitĂ€t und reizen es zur SelbstverĂ€nderung. Das System wird durch diese Methoden dazu angeregt, sich explizit mit seinen eigenen Mechanismen zu beschĂ€ftigen. Diese Art der Intervention ist vor allem dann sinnvoll, wenn sich repetitive Muster eingespielt haben, die bestehende Probleme erhalten. Man spricht in einem solchen Fall von einer ârigiden Schlaufeâ. Indem nun systemische Beratung versucht, der Organisation ihre eigenen Mechanismen sichtbar zu machen, kann die Organisation ihr Selbstbild verĂ€ndern. Es wird fĂŒr die Organisation möglich, das Problematische am eigenen Zustand zu erkennen. Es findet eine Orientierung im Sinne einer Selbstorientierung statt. Eine rigide Schlaufe kann sich beispielsweise daran zeigen, dass die Marketingleitung eines Unternehmens innerhalb weniger Monate zum dritten Mal neu besetzt wird. Die neue Leitung wird willkommen geheissen und nach einiger Zeit treten Zweifel an ihr auf. Die Anstellung wird aufgelöst und die Stelle wird wieder ausgeschrieben. Die Frage stellt sich, wie es weitergehen soll. Darauf setzen, dass es beim nĂ€chsten Mal klappt? Was wird mit der vierten Besetzung dieser Stelle geschehen? Solche Muster können sichtbar gemacht werden. Die beratene Organisation kann beispielsweise herausfinden, dass sie selber Teil des Problems ist, indem sie die neue Besetzung abstösst, Ă€hnlich wie ein Körper, der nach einer Organtransplantation ein neues Organ abstösst.
Ein Beispiel fĂŒr die Intervention des zirkulĂ€ren Fragens könnte so aussehen: Eine Produktionsfirma fĂŒr KĂ€se im solothurnischen Langendorf hat das Problem stĂ€ndiger, unerklĂ€rbarer Störfaktoren, welche die Produktion unverkĂ€uflich werden lassen. Der bestverkaufte WeichkĂ€se der Firma gelingt nicht mehr. Die GeschĂ€ftsleitung hat den Eindruck, dass die Meister, welche den Prozess der Produktion steuern, dem Prozess nicht genug Aufmerksamkeit widmen. Der Verkauf ist ĂŒberzeugt, das Problem liege bei den Produktionsanlagen. Man investiert in technologische Ăberwachung. Das Problem wird schlimmer. Beratung wird gesucht, und die GeschĂ€ftsleitung will ein Seminar zur Motivation der Meister durchfĂŒhren lassen. Der systemische Ansatz könnte GeschĂ€ftsleitung, Meister und Verkauf gemeinsam in den Prozess fĂŒhren und ein Störungsmanagement aufbauen, welches alle beteiligten Ebenen einbezieht. ZirkulĂ€res Fragen kann beispielsweise bedeuten, dass erarbeitet wird, wie die gegenseitige Sicht aufeinander ist, und dass man dies in Anwesenheit der anderen macht. Auf diese Weise kann zirkulĂ€res Fragen die Struktur der Kommunikation wahrnehmbar machen. Das bedeutet, dass man die Leute vom Verkauf fragt, wie sie denken, dass die GeschĂ€ftsleitung die Meister sieht. Gleichzeitig fragt man die GeschĂ€ftsleitung, wie sie denkt, dass die Meister den Verkauf sehen, etc. Es geht bei einer solchen Intervention um Lernen durch Reflexion, um Lernen durch Distanz zur eigenen Sicht oder der Sicht der eigenen Gruppe.
Die Interventionsform der paradoxen Intervention kommt in verschiedenen Spielarten vor und wird hĂ€ufig mit systemischer Intervention ĂŒberhaupt gleichgesetzt. Paradoxe Interventionen sind kontradiktorische Handlungsanweisungen, welche dem beratenen System signalisieren, dass es sich nur Ă€ndern kann, wenn es so bleibt, wie es ist. Oder umgekehrt ausgedrĂŒckt, dass es nur so bleiben kann, wie es ist, wenn es sich Ă€ndert. Was ist damit gemeint? Die systemische Beratung arbeitet ausdrĂŒcklich mit der Selbstregulierung sozialer Systeme. VerĂ€nderung kommt nicht von aussen, sondern ein System verĂ€ndert sich selbst aufgrund der Sicht, die es sich selber von der Welt macht. Dass ein soziales System sich nur Ă€ndern kann, wenn es so bleibt, wie es ist, meint deshalb, dass VerĂ€nderung im System nur vom betreffenden System ausgelöst werden kann. Es bedeutet, dass jeder Zustand eines sozialen Systems fĂŒr dieses System insofern Sinn macht, als er das System erhĂ€lt. Es bedeutet, dass man nicht von richtigen und falschen ZustĂ€nden sozialer Systeme ausgehen kann, sondern dass man sich an den Ressourcen orientiert, die ein soziales System in einem gegebenen Moment zur VerfĂŒgung hat. Die umgekehrte Formulierung, dass das System nur so bleiben kann, wie es ist, wenn es sich Ă€ndert, bedeutet, dass ein soziales System nie statisch ist. Ein soziales System ist vielmehr in dauernder Bewegung, und das Einzige, was sich an einem sozialen System nicht wandelt, ist, dass es sich dauernd wandelt. Konstant ist einzig der Wandel. Beratung muss das beratene System unterstĂŒtzen, sich selber zu bleiben, indem es VerĂ€nderung zulĂ€sst. In der systemischen Beratung geht es darum, Alternativen sichtbar zu machen und davon auszugehen, dass dieses Sichtbarmachen VerĂ€nderung auslöst. VerĂ€nderung wird dabei, wie gesagt, nicht in eine bestimmte Richtung erwartet. Stattdessen zeigt sich die Haltung systemischer Beratung in der Annahme, dass nur das beratene System selbst bestimmen kann, ob und inwiefern es sich verĂ€ndert. Eine der Spielarten paradoxer Intervention ist die Umdeutung. Diese Intervention gilt als Prinzip systemischer Intervention schlechthin. Deshalb lĂ€sst sich mit ihr die systemische Haltung sehr gut illustrieren. Bei einer Umdeutung wird das Klientensystem zu einer alternativen Interpretation der Wirklichkeit verlockt, indem der bisherige Rahmen der Interpretation gesprengt wird. Die vom Klientensystem formulierte Selbstdiagnose wird in einen anderen Kontext gesetzt. So wird beispielsweise aus der MarktĂ€nderung, die den Absatz gefĂ€hrdet, der Impuls, ĂŒberfĂ€llige VerĂ€nderung endlich anzugehen. Was bisher als Problem definiert wurde, erhĂ€lt durch die Intervention eine ganz andere Note, wodurch sich die Möglichkeit von VerĂ€nderung eröffnet. Ein Problem wird anders gesehen, es wird umgedeutet und kann dadurch eine andere Bedeutung bekommen. Die innere Sicht des Klientensystems kann durch eine Umdeutung in einem anderen Licht erscheinen. Es werden weitere Perspektiven eingefĂŒhrt, welche das bisherige Denken in Frage stellen. Der bisher gĂŒltige Rahmen der Interpretation wird gesprengt, und das fĂŒhrt dazu, dass auf einen Wandel im Klientensystem gehofft werden kann. Ein solcher Wandel ist, wie immer, nicht als Eingriff von aussen in das Klientensystem zu verstehen, sondern strikt als Eigenleistung des Klientensystems.
Organisationsberatung als Blindflug
Die systemtheoretisch orientierte BeratungstĂ€tigkeit vollzieht sich in einem Prozess, welcher VerĂ€nderung im beratenen System ĂŒber Mechanismen der Selbstreflexion des beratenen Systems anreizt. Dieser Prozess ist vergleichbar mit einem Blindflug. Gerade darin liegt die spezifische StĂ€rke dieser Beratungsform, gerade darin liegt ihr VerĂ€nderungspotential. Kommunikation operiert ohne Wahrnehmung, sie fliegt blind. WĂ€hrend in der Fliegerei die Messinstrumente zeigen, ob man auf Kurs ist, zeigen bei der Beratung die Ergebnisse, wo man sich befindet. Das einzige, was der Beratung von Organisationen zur VerfĂŒgung steht, sind die Ergebnisse ihrer kommunikativen Intervention. Die Beratung ist selber Teil des Beratungsprozesses, sie ist Teil des Fluges. Sie kann nicht vorneweg wissen, was sie tun muss, und was sie tut, verĂ€ndert wiederum die Bedingungen ihres Handelns. VerĂ€nderung wird als Normalzustand verstanden und nicht als Ausnahme. Organisationen verĂ€ndern sich andauernd und befinden sich in keinem Moment im Gleichgewicht. Im Grunde genommen geht es bei der systemischen Beratung um die Einsicht, dass keine Beratung in der Lage sein kann, genug ĂŒber die ZusammenhĂ€nge zu wissen, um konkrete RatschlĂ€ge zu erteilen. Diese Beratungsform geht davon aus, dass sie erstens keinen direkten Zugriff auf die Operationen des zu beratenden Systems hat. Zweitens ist sie sich der Tatsache bewusst, dass sie keine âbesserenâ Lösungen anbieten kann, als das Klientensystem selbst formulieren kann. Gerade diese Haltung befĂ€higt die systemische Beratung zur Beratung: Die Aufgabe von Beratung ist in ihrem VerstĂ€ndnis nicht die Aufhebung eines Problems, sondern die Irritation des beratenen Systems zwecks Hilfe zur Selbsthilfe.
Thomas Stucki studierte Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften, Sozialanthropologie und Journalistik an den UniversitĂ€ten Freiburg und Luzern. Vorliegender Artikel basiert auf seiner Bachelorarbeit âVon KrĂ€hen und Landkarten. Zur Paradoxie von Organisationsberatungâ. th.stucki(at)vtxmail.ch
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