Die Privatisierung der Sicherheit und das staatliche Gewaltmonopol
Zunehmende Aktivitäten von privaten Sicherheitsfirmen werden oft als Verlust des Gewaltmonopols des Staates gedeutet. Im folgenden Artikel wird die These aufgestellt, dass private Sicherheitsfirmen, technische Ueberwachungsgeräte und andere neue Formen der Kontrolle und Disziplinierung in der Regel eher eine ergänzende denn ersetzende Funktion innehaben. Die Macht des Staates wird demnach nicht in Frage gestellt, sondern im Gegenteil ausgeweitet. Zwar ist „Panoptismus“ kein Kerninteresse des Staates mehr, da andere, nichtstaatliche Techniken zur Verfügung stehen, oder private Akteure dafür zuständig sind. Der Staat übernimmt aber die übergeordnete Regelung dieser zunehmend dezentralisierten Kontrollen. Privatisierung der Sicherheit bedeutet nicht , dass die Individuen aus der traditionellen - staatlichen - Sozialkontrolle und der Überwachung befreit werden. Einzig die Mittel unterliegen einem Wandel.
SOZ-MAG Beitrag von Maria Markantonatou
Private Überwachung wird heutzutage als Notwendigkeit der Risikogesellschaft angenommenangesehen. Angetrieben durch das Streben nach Sicherheit wird auf lange Sicht alles getan werden, was an Überwachung technisch möglich ist (Kunz 2001). Das Prinzip “my home is my castle” wird zur alltäglichen Wirklichkeit, zur „postmodernen Realität – zumindest für diejenigen, die über genügend Kaufkraft verfügen“ (Debiel 2001). Und . eEine Mischung von Kontrollideologie, strafrechtlichen Reformen hinsichtlich neuer Kriminalitätserscheinungen und technischen Innovationen konstituiert eine neue Sicherheitskultur und einen neuen Markt der Sicherheit.
Die Privatisierung der Sicherheit
Die Sprache der Werbung von Anbietern von Sicherheits- und Kontrollsystemen zeigt es deutlich. Die Kommerzialisierung und Technisierung der sozialen Kontrolle führt dazu, dass in bestimmten Bereichen der Bagatellkriminalität und der Überwachung die Arbeit des Staates obsolet geworden ist, da Sicherheit und soziale Kontrolle einfach erkauft werden können. Durch den Einsatz von Kontrollsystemen wird die Sozialkontrolle, das „Personalmanagement“ etwa, nicht nur technisiert, sondern auch neutralisiert. Das Kontrollobjekt weiß nicht, von wem und wie es kontrolliert wird. Früher unkontrollierbare Bereiche können jetzt effektiv und billig überwacht werden. Sicherheit bedeutet die ununterbrochene Überwachung und Kontrolle aller Bereiche menschlicher Tätigkeit, die Begrenzung der privaten Sphäre und die Abschaffung der Trennung zwischen Arbeits- und Nichtarbeitsraum. Zusammen mit der technischen Arbeitsüberwachung kommt eine Reihe von neuen Kontrollstrategien zum Einsatz, die nicht nur mit dem „New Public Management“ der Arbeit zu tun haben, sondern auch mit der neoliberalen Organisations- und Arbeitspsychologie. Privatisierung, Digitalisierung und Computerisierung der Sicherheit schaffen Möglichkeiten für neue Kontrollen, die als ein effektiver Ersatz der „mangelhaften“ staatlichen Sozialkontrolle fungieren können. Private Firmen nehmen die Sicherheit in ihre Hand und Sicherheit wird somit käuflich. Die Experten der Sicherheit sind nun Techniker und nicht mehr Idealisten der Rehabilitation oder öffentlich-rechtliche Akteure.
Neue Kontrolltechnologien und der Staat
Neue Kontrolltechnologien bringen auch neue Überwachungssysteme mit sich, die „im allgemeinen auf spezifische Territorien und bestimmte Populationen zielen“ (Nogala 2000). Was (und wer) nicht durch das Strafrecht oder durch die organisierten Behörden des Staates direkt überwacht werden kann, wird nun von einer Fülle von technischen Systemen kontrolliert. Digitalisierung sozialer Kontrolle muss insofern auch als Ergänzung und nicht nur als Ersatz für die traditionelle staatliche Sozialkontrolle angesehen werden.
Elektronische Fußfessel, DNA-Tests, Überwachungskameras, elektronische Bearbeitung von Daten, Kinderüberwachung, Überwachungssatelliten und ähnliches konstituieren ein Überwachungsnetz, das die staatliche Sozialkontrolle ausweitet. Digitale Überwachung ist kein autonomes Phänomen oder eine von staatlicher Sozialkontrolle unabhängige Entwicklung, sondern geht einher mit der staatlichen Macht und verstärkt sie. Die „Überwachungskultur“ breitet sich in privaten und öffentlichen Räumen aus, durchdringt das individuelle sowie gesellschaftliche Leben und führt zur Zunahme des Kontrollpotentials der strafrechtlichen Sozialkontrolle.
Das Ende des staatlichen Gewaltmonopols?
Die Teilprivatisierung verschiedenster Bereiche sozialer Kontrolle (hauptsächlich im Hinblick auf Prävention und Bagatellkriminalität), die Teilung der Sicherheitsaufgaben zwischen privaten und öffentlichen als auch zwischen nationalen und internationalen Akteuren und die privatisierte Digitalisierung mancher Teile der Kontrolle werden in der Regel als das staatliche Sicherheits- und Gewaltmonopol unterminierende Prozesse gedeutet.
Das Monopol auf die Gewährung von Sicherheit („Sicherheitsmonopol“) wird dem Staat offensichtlich nicht mehr zuerkannt. Was allerdings das Gewaltmonopol betrifft, sind die Ansichten nicht so eindeutig. Handelt es sich nur um eine Übertragung bestimmter Aufgaben oder doch tatsächlich um eine Aufgabe des Gewaltmonopols? Kann es in einem Rechtsstaat überhaupt ein staatliches Gewaltmonopol geben?
Die Transformation hin zum postnationalen Staatswesen ist im Bereich der Sozialkontrolle und des politischen Handelns von Widersprüchen gekennzeichnet. Traditionelle Trennungen, wie z.B. öffentliche vs. private oder nationale vs. internationale Gewalt schwinden. Gewalt, in beiden Sprachbedeutungen, als Obermacht und als Zwang, ist gleichzeitig öffentlich und privat, national und transnational, global und lokal geworden. Eine Reihe von individuellen Freiheiten und individualisierten Praktiken werden einerseits gestärkt (die „Demokratie der Gefühle“ oder die „Individualisierungsgesellschaft“), andererseits ist eine Reihe von gewaltmonopolistischen Praktiken zwischen Staaten auf dem Parkett der internationalen Beziehungen zu beobachten.
Bestimmte Machtsymbole des Nationalstaates sind entideologisiert und damit obsolet geworden. Einige Steuerungsbefugnisse der offiziellen Sozialkontrolle werden entweder abgeschafft oder privatisiert, oder auf einer praktischen, oft technokratischen Sphäre neutralisiert. Neoliberale Praktiken übernehmen zunehmend Disziplinierungsfunktionen. Soziale Kontrolle wird in verschiedene politische Entscheidungsprozesse aufgesplittert.
Die Frage des Gewaltmonopols wird in der Soziologie kontrovers diskutiert und ist definitionsabhängig. Eindeutig ist aber, dass der Staat kein politisches Interesse an einer potentiellen Aufgabe seines Gewaltmonopols hat. Das Gewaltmonopol dient einerseits der Bewahrung der politischen Macht und einer staatlich vermittelten Ordnung und der Symbolisierung einer derartigen Herrschaft. Warum sollte der Staat, als der zentralste Akteur des politischen Entscheidungsprozesses, auf das Gewaltmonopol verzichten?
Von „Big Brother“ zu unzähligen „kleinen Schwestern“
Da Überwachung keine ausschließlich staatliche Strategie mehr ist, sondern eine diffuse, multipolare, alltägliche und ganzgesellschaftliche Praktik, spricht Castells nicht mehr von einem „Überwachungsstaat“, sondern von einer „Überwachungsgesellschaft“. Er beschreibt eine technologievermittelte Transformation vom „Großen Bruder zu einer Myriade wohlwollender ‘kleiner Schwestern’, die mit jedem und jeder einzelnen von uns auf persönlichem Fuße stehen“ (Castells 2002).
Was bei der Staatslehre als „Souveränität“ ausgeführt wurde, entspricht in der Kriminologie dem Begriff des „Panoptikums“. Beide Begriffe spielen auf eine zentrale Autorität an, der sich alle Individuen unterwerfen. Dieses Panoptikum wird nun zunehmend durch eine Vielzahl von sozialen Kontrollen ersetzt.
Die Regelung der Koexistenz unterschiedlicher Tendenzen und die Vermeidung sozialer Krisen durch effektives Government und dezentralisierte, rationale Ausübung der sozialen Kontrolle sind heute Prioritäten des Staates. Government statt Panoptismus und Pluralität statt Souveränität sind die Ordnungsprinzipien der modernen staatlichen Sozialkontrolle.
Da unter neoliberalen Bewertungskriterien die ökonomische Entwicklung eine staatliche Planung beansprucht und die Sozialkontrolle eine Staatspolitik – eventuell auch im Zusammenspiel mit privatwirtschaftlichen Akteuren – ist, steht die „Sicherheit“ im Mittelpunkt der Sozial- und Kriminalpolitik der „postmodernen Gesellschaft“. Der private Sicherheitsdienst gewinnt durch politische Kampagnen mehr und mehr an Bedeutung. Die privaten Sicherheitsdienste fungieren in diesem Rahmen als Ersatz und Erweiterung der staatlichen Kontrolle. Es geht aber nicht nur um private Instrumente der öffentlichen Gewalt, sondern auch um private Unternehmen sozialer Kontrolle, die für ihren eigenen Profit sorgen. Sie möchten die Aktivitäten privater Sozialkontrolle genauso wie die der öffentlichen Gewalt gestalten.
Solange sich das Handeln privater Unternehmen im gesetzlichen Rahmen bewegt, wird auch die Ausübung privatunternehmerischer Sozialkontrolle unterstützt. Auf diese Weise werden sie zu einem semiformellen Sozialkontrollträger, zu einer semi-staatlichen Herrschaft.
Sie untergraben aber nicht das Gewaltmonopol des Staats, sondern unterstützen die staatliche Herrschaft. Es gibt zischen den zwei Sicherheitsformen keine Konkurrenz, sondern eine Vereinbarkeit bezüglich der Ziele und eine Austauschbarkeit bezüglich der Mittel.
Gleichzeitig spielt die Individualisierung der Sicherheit, oder, was bei David Garland als „Verantwortungsstrategien“ dargestellt wird, eine wichtige Rolle für die Legitimation privater Sicherheitsdienste. Die „Verantwortungsgesellschaft“ ist eine Konsensgesellschaft.
Die soziale Organisation der Gewalt basiert sowohl auf der grundlegenden öffentlichen Sozialkontrolle, als auch auf der privaten. Auf keinen Fall heißt Privatisierung der Sicherheit, dass die Individuen aus der traditionellen Sozialkontrolle und der Überwachung befreit werden. Die Mittel, aber nicht die Zwecke der Sozialkontrolle werden modernisiert. In diesem Kontext bedeutet die Modernisierung der staatlichen Kontrolle Ökonomisierung und Management. Der Privatisierungsschwung ist viel mehr mit der Finanzpolitik des Staates und seinen Bedürfnissen nach Effizienz verbunden, als mit einer idealistischen Veränderung der staatlichen Sozialkontrolle.
Privates Risikomanagement für den Staat
Risikomanagement und -beratung können als Modernisierungsstrategien der Unternehmen (sowohl auf dem privaten, als auch auf dem öffentlichen Sektor) für das Ausfindigmachen von Verlusten und Funktionsproblemen bezeichnet werden. Ziel des Risikomanagements und des entsprechenden Überwachungsmodells ist die Antizipation und Verminderung von Betriebsrisiken für das Management von Abweichungen und Dysfunktionen. Die Risikokontrolle des postmodernen Strafrechts sind den innerbetrieblichen Bemühungen des Risikomanagements ähnlich. Zur Erfüllung der gesellschaftlichen Sicherheitsansprüche wird im Strafrecht die Etablierung und Ausweitung privater Mechanismen und Verhütungsnetze vorgesehen.
Sowohl in den Massenmedien als auch in politischen Aussagen wird die öffentliche Sicherheit als das wichtigste Gut für das sozialpolitische Gleichgewicht bezeichnet. Dadurch wird auch die Kriminalitätsfurcht erhöht. Die Ansicht, dass die gegenwärtige Gesellschaft durch Unsicherheit, Misstrauen, Angst und verstärkte Isolierung charakterisiert ist, führt wiederum zu einem zunehmendem Bedarf nach Sicherheit. Die privaten Sicherheitsdienste, die digitalisierten Überwachungsmittel, die Verstädterung sozialer Kontrolle und die Privatisierungen von öffentlichen Institutionen arbeiten in der Richtung der offiziellen Staatsaufgaben mit dem Staat zusammen.
Die elektronische Überwachung und die Technisierung der Kontrollmedien impliziert nicht die Entmachtung des Staates in Bezug auf seine gewaltmonopolistische und legitimationsbedürftige Sozialkontrolle. Das Gewaltmonopol koexistiert mit der Entmonopolisierung der Sicherheit, bleibt davon aber unbeeinflusst. Die Teilprivatisierung sozialer Kontrolle kann nicht als Abtragung der staatlichen Kontrollmittel verstanden werden, sondern stellt eine Verdoppelung des Sozialkontrollnetzes dar.
Darüber hinaus schließen Begriffe wie „Selbstkontrolle“, „Responsibilisierung“ und „Selbstdisziplinierung“ die Existenz eines breiteren staatlichen Kontrollgewebes nicht aus, sondern haben eine ergänzende Funktion.
Wie ist eine Reihe von staatlichen Strafinstitutionen mit der „Entstaatlichung“ sozialer Kontrolle zu verknüpfen? Sind die Institutionen der Armee, des Gefängnisses und der Anstalt nicht der eindeutige Beweis dafür, dass immer noch eine rein staatliche, streng formelle Sozialkontrolle besteht? Hat der Staat, als die hoch organisierte Ordnungsmacht, kein Primat über informelle, verstädterte oder individualisierte Kontrollformen? Dass manche Gefängnisse in bestimmten Ländern privatisiert werden, heißt nicht, dass der Staat keine Kontrolle auf das privatunternehmerische Handeln des Gefängnisses ausüben darf oder kann, oder dass die privaten Gefängnisse zu einer „effektiveren“ oder „faireren“ Behandlung der Gefangenen führen. Die Diskussion über die Entstehung einer europäischen Armee hat eben keine Abschaffung der nationalstaatlichen Armeen zur Folge und die Existenz privater militärischer Dienstleistungen ist nicht einmal gänzlich neu.
Auch dass die Politik immer mehr auf kommunaler Ebene durchgeführt wird, impliziert kein „Verschwinden“ der zentralen Staatspolitik und Staatsgewalt, sondern eine Umgestaltung der Staatsaufgaben. Dabei handelt es sich um kompatible Kontrollfunktionen. Das staatliche Gewaltmonopol ist das Gewaltmonopol einer pluralistischen Staatsherrschaft.
Maria Markantonatou hat Soziologie und Politikwissenschaft in Athen studiert. Zur Zeit forscht sie am Department of Criminology der University of Keele.
Literatur
Castells, Manuel, Das Informationszeitalter II: Die Macht der Identität. Teil 2 der Trilogie „Das Informationszeitalter“, Übersetzt von Reinhart Kößler, Leske und Budrich, Opladen, 2002
Debiel, Tobias, Brühl, Tanja, Hamm, Brigitte, Hummel, Hartwig, Martens, Jens, (Hrg.), Die Privatisierung der Weltpolitik: Entstaatlichung und Kommerzialisierung im Globalisierungsprozess, Verlag J.H.W. Dietz Nachfolger, Bonn, 2001
Garland, David, “The Limits of the Sovereign State: Strategies on Crime Control in Contemporary Society”, British Journal of Criminology, Vol. 36, 1996
Peters, Helge (Hrg.), Soziale Kontrolle: Zum Problem der Normkonformität in der Gesellschaft, Leske und Budrich, Opladen 2000
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