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Soziologie in der Presse
Wer erklärt uns die Krise? Das scheint eine - berechtigte - Frage zu sein, die sich unter anderem auch Journalisten heutzutage stellen. Da kann es passieren, dass ein Soziologe eine ganze Seite in der Zeitung kriegt. So Ralf Dahrendorf, der im Tagi vom 30.4.2009 die Krise mit den Mentalitäten der Menschen erklärte. Im Kulturbund zwar, aber immerhin.
Dahrendorf macht etwas, was SoziologInnen grundsätzlich gut machen:

er erklärt das Handeln der Menschen aus den Strukturen. Die Strukturen, auf die er sich beruft, sind die herrschenden Mentalitäten. (Vielleicht wird die eine oder der andere jetzt sagen: Halt! So eine Erklärung ist eben nicht strukturell, sondern kulturell. Aber was sind Strukturen anders als verbreitete, kulturelle Praktiken?)

Dabei macht er etwas anderes, was viele SoziologInnen gern machen: er beruft sich auf Max Weber. Denn dessen Text zum Geist des Protestantismus setzt am gleichen Punkt an: er erklärt die Entstehung des Kapitalismus (unter anderem) durch Mentalitäten. Genauer sagt Weber, dass die protestantische Religion Werte propagierte, die kapitalistisches Handeln - Profitstreben, Re-Investierung etc.- und so eine kapitalistische Entwicklung begünstigten.

Dahrendorf bleibt aber nicht bei Weber stehen, wie auch die Zeit nicht dort stehengeblieben ist. Er zitiert Forschung und Beispiele dafür, wie sich der "Sparkapitalismus" über den "Konsumkapitalismus" schliesslich zum heutigen "Pumpkapitalismus" gewandelt hat, indem die Mentalitäten sich immer mehr Richtung 'Konsum - und zwar sofort!' entwickelten.

Hier sieht Dahrendorf die Ursache der Krise. Den Mentalitätswandel erklärt er, andeutungsweise, mit der kapitalistischen Entwicklung. Der Clou an der Sache ist also: der Kapitalismus erzeugt selber Mentalitäten, die ihn in die Krise stürzen. Das bekannte Wort der Widersprüche des Kapitalismus, etwas anders gewendet.

Dahrendorfs Lösungsvorschläge zum Schluss tönen allerdings etwas zahm. Einerseits sollen sich alle ein "neues Verhältnis zur Zeit" aneignen, andererseits müssten (Arbeitsmarkt?-)Flexibilisierung und Sicherheit miteinander gekoppelt werden. Der Anfang war gut, aber vielleicht müsste jemand über Dahrendorfs Horizont hinausdenken.

Der Artikel hier (der Link ist nur beschränkte Zeit gültig)

Der erwähnte Aufsatz: Weber, Max: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. In: Weber, Max (1988): Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I. Tübingen: Mohr Siebeck.

Kommentare

 
 
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Dahrendorf fordert die Eindämmung der Macht der Shareholder auf Unternehmen und ein vermehrtes Mitsprachrecht der Stakeholder: «Damit sind alle gemeint, die vielleicht keine Anteile an Unternehmen haben, also keine Shareholder, wohl aber am erfolgreichen Fortbestand von Firmen existenziell interessiert sind: Dazu gehören Zulieferer und Kunden, vor allem aber auch die Bewohner der Gemeinden, in denen Unternehmen tätig sind.» Schön und gut, doch wo bitteschön sind die wichtigsten Stakeholder überhaupt? Nämlich die Mitarbeitenden, die Beschäftigten!
 
 
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Das stimmt, dass die Beschäftigten dort fehlen. Allerdings werden die Beschäftigten etwas weiter oben genannt. Und da dies die gekürzte Version eines längeren Artikels ist, müssten wir zumindest dort zuerst nachschauen. Man könnte aber stutzig werden, wenn Dahrendorf schreibt, dass die Stakeholder zwar Interessen haben, aber keine Mitbestimmung brauchen. Auch bei anderen seiner Vorschläge tönt es etwas so, wie wenn sich die Stakeholder - wir - ganz auf die Moral geläuterter Manager verlassen sollten.
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«Soziologie soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.»

Max Weber (1985 [1921]): Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen: J.C.B. Mohr, S. 1.