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boris michel: „global city als projekt“

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Neoliberale Urbanisierung und Politiken der Exklusion in Metro Manila; Transcript Verlag

Die philippinische Hauptstadt Manila ist ein Beispiel für das Management einer Stadt, die vor allem von privater Stadtplanung geprägt wurde. Mit Hilfe von „Beautification Campaigns“ in Verbindung mit einem sozial-polizeilichen Null-Toleranz-Prinzip versuchten private Entwickler („Developers“), für bestimmte Teile der Stadt eine „Global Identity“ aufzubauen, um sie auf diese Weise zu einem Aspiranten für eine sog. „Global City“ zu machen.

Boris Michel beschrieb in seiner Arbeit die Produktion von Landschaften mit „dominanten Akteuren“ für eine urbane Mittel- und Oberschicht und die gleichzeitige Exklusion von bestimmten Gebieten wie die „Shanties“ oder die „Squatter Settlements“ (Ausschluss von Elendsquartieren). Die Mittel- und Oberschicht hat es aufgegeben, Massenarmut in ihre moderne Metropole so zu integrieren, dass die Bewohner von Armutsquartieren auch aus ihrer materiellen Armut geholt werden könnten. Im Begriff „Slum“ sind nicht nur Inhalte wie Armut, Müll, Gewalt und ökologische Elendsursachen wie Überschwemmungen enthalten, sondern vor allem auch die simple Einsicht, dass jedes Elendsquartier eine reale Bedrohung des geordneten Lebens für die Besitzenden darstellt. So wird der Begriff „Slum“ zu einer moralischen Kategorie im Sinne von Krankheit, Schmutz und Unordnung gegenüber der bürgerlichen Stadt und widerspiegelt so einerseits ein exotisches und andererseits zivilisatorisch abstossendes Bild von den Bewohnern dieser Gebiete. Diese moralischen Argumente gebrauchen die Mittelschicht und die Eliten als legitime Begründung, um sich von den städtischen Räumen abzuschotten oder diese Gebiete in Form der „Gentrifizierung“ zu strukturieren. Dabei wird nicht in erster Linie die Armut, sondern die arme Bevölkerung bekämpft und massive politische Interventionen in Form von „Slum Upgrading“ gemacht. So werden beispielsweise Mauern mit Sichtschutz um Slums errichtet oder zu bestimmten Feiertagen die obdachlose Bevölkerung aus der Innenstadt entfernt.

Unterschiedliche Politiken privater Unternehmer versuchen „Imaginaries“  (Vorstellung, Erinnerungen oder Scheinbilder) einer  „Global City“ zu schaffen, um damit ein attraktiver Ort für Investoren und das internationale Kapital zu schaffen.

Dieses „Going global“ hatte seine Wurzeln bereits in der Zeit des amerikanischen Kolonialismus in Manila. Beispielsweise arbeitete die damalige „City-beautiful- Bewegung“  einerseits an einem Vorzeigebild für den amerikanischen Humanismus der Demokraten und andererseits an einer Repräsentation imperialer Macht und kultureller und politischer Überlegenheit für die US-Republikaner. Auch nach der Unabhängigkeit der Philippinen nahmen die Modernisierungsprogramme die letzteren Aspekte wieder auf. Mit dem Begriff „New Society“  versuchten die nationalen oder lokalen Eliten, die eine neokoloniale Bindung zur USA unterhielten,  die städtischen  Räume für ihre Bedürfnisse umzugestalten. Solches „City-in-Nation- Building“ enthielt einerseits die Modernisierung und die Urbanisierung der Stadt und andererseits die Schaffung eines urbanen Lebensstils für die Mittelschicht.  Dieser Stil dokumentierte sich in Form authentischer Architektur, welche auf Prestigeprojekte und nicht auf Massenversorgung setzte und war ein wichtiges Hilfsmittel für das damals vorherrschende Regime. Diese Produktion von Raum, in dem sich die Spaltung zwischen Zentrum und Peripherie immer mehr vergrösserte, fusste auf Politiken der Liberalisierung und Privatisierung in Verbindung mit der Globalisierung.  Benützer dieser neuen Räume war und ist vor allem die Mittelschicht. Solche Oasen und ihr meist privates Management schützen die assoziierten Lebensstile der Mittelschicht in kontrollierten und abgeschotteten Orten innerhalb der eigentlichen Stadt in Form von „Gated Communities“. Diese „Suburbias“ sind ein politisch, sozial und ökonomisch lohnenswertes Projekt. Gewinnbringend ist mit diesen Projekten die Image-Aufwertung der Stadt allgemein, die einerseits eine Homogenisierung der staatstragenden Bevölkerungsschicht und andererseits mit diesen aufbereiteten Bereichen „hochwertigen“ Lebensraum bringt. Diese Entwicklung ist aber nicht nur auf den Wohnraum an sich reduziert, sondern betrifft auch den Freizeitbereich, etwa in Form von Konsumlandschaften („Shoppingmalls“) oder sie richtet sich an externe Devisenbringer mit dem globalisierten Tourismus, an Investoren oder Gäste in repräsentativen Räumen für internationale Konferenzen einer „Global Ruling Class“. Die Sicherheit in diesem synthetischen Raum wird vor allem durch die „Broken-Windows-Theorie“ gewährleistet, bei der bereits bei der kleinsten Abweichung vom vorherrschenden Regime interveniert wird. Dieses Regime der „Gentrifizierung“ und „Revitalisierung“ wird vor allem von privaten „Developers“ geprägt, die in Form von Korruption und „Cronyism“ miteinander verbunden sind. Das führt dazu, dass der Staat in eine zunehmend passivere Rolle gedrängt wird.

Durch Boris Michels Buch Global City als Projekt wurde vor allem klar, dass der Neoliberalismus kein homogenes und geschlossenes System darstellt. Der Neoliberalismus kann zwar als weltumspannendes hegemoniales Projekt mit entsprechend ideologisiertem Diskurs verstanden werden, welche aber geographisch und sozial extrem ungleich entwickelt sind. Es finden sich nationale, regionale und lokale Unterschiede in seiner Ausgestaltung. Damit ist der reale Neoliberalismus wesentlich heterogener und unterschiedlicher, als dies in vielen Theorien beschrieben wird. In Ländern wie etwa den Philippinen wurde der Grundstein für die Liberalisierung und die Privatisierung einerseits aufgrund der Verschuldung des Landes bei internationalen Kreditgebern und andererseits durch die Vergangenheit der Kolonialzeit gesetzt. Jürgen Osterhammel beschrieb die klassisch-koloniale Stadt, die ein Grundmuster für die politisch konstruierte „Segregation“ bildete. Diese Teilung erfolgte oftmals nach sog. rassischen Kriterien in Form einer „White Town und einer „Black Town“. Die Stadtteile der Kolonialverwaltung in Form von Villen- oder Bungalow-Architektur waren weiträumig, oftmals über den übrigen Teil erhöht und an fortschrittliche Versorgungsanlagen angeschlossen. Trotzdem konnte die klassisch-koloniale Stadt nicht nur als „Dual City“ charakterisiert werden. Auch die lokalen Eliten besassen ihre privilegierten Räume und die koloniale Regierung legte auch Wert auf die Separierung der verschiedenen nicht-weissen Bevölkerungsgruppen. So bildete sich auch damals schon eine „Plural Society“, die aus vielen Gruppen bestand, die nebeneinander innerhalb der gleichen politischen Einheit lebten, ohne sich zu vermischen. Diese Gesellschaft wurde nur durch den kolonialen Staat und gewisse ökonomische Interessen zusammengehalten. Neben dieser Segregation des Raumes baute die koloniale Regierung auch einen Apparat aus, der einerseits aus einer Logistik und einer Bürokratie zur Herrschaftssicherung und andererseits aus der (Import- und) Exportwirtschaft bestand. Im Zuge der „Dekolonialisierung“ hinterliessen die USA nach ihrem Abzug nicht nur entsprechende Stadtbilder und Machtpositionen, die sofort durch die nationalen Eliten besetzt wurden, sondern auch die Anlagen zu späteren neokolonialen Abhängigkeiten (Osterhammel 2003:43-97).

Neben dem kolonialen Erbe spielt das globalisierte Konkurrenzverhältnis eine wichtige Rolle, in welchem die grossen Städte als führende Zentren zueinander stehen. Boris Michel hatte den Wettkampf der Städte als bedingungsloses Streben nach Modernisierung beschrieben, um zu einem globalen Kontext gehören zu können. Mit Hilfe von Stadtmarketingforschung wird an der Vermarktung der urbanen Praxis gearbeitet. Diese Bemühungen führen zu dynamischen Entwicklungen, die heterogene und polarisierte Städte schaffen. Der Wettbewerb der Städte entstand, als sich die globale Vernetzung immer mehr aufeinander einspielte und darin die Grossstädte (und nicht die Nationen) als entscheidende Akteure hervortraten (Löw 2009:118-119).

In seinem Werk Stadt und Gouvernementalität beschrieb Boris Michel, wie in den „Global Cities“ sich das Verhältnis zur räumlichen Nähe veränderte und eine neue Form von internationaler Arbeitsteilung entstand. Dadurch bildeten sich wechselseitige Abhängigkeiten, wobei zum Beispiel auch de-industrialisierte Gebiete über hoch arbeitsteilige Industriegebiete in Verbindung mit noch-nicht-industrialisierten Weltregionen stehen. Die Forschungs- und Entwicklungsprozesse für die Massen-Produktion finden in den urbanen Zentrumsregionen statt. Die eigentliche Produktion wird in die industriellen Distrikte der Peripherie ausgelagert,  wobei der Handel mit den Fertigprodukten wiederum vor allem in den Zentren stattfindet. Aber auch trotz dieser internationalen Arbeitsteilung können auch innerhalb eines Zentrums die Entwicklung, die Produktion und der Verkauf eng beieinander liegen. Diese organisieren sich in Form eines Flickenteppichs von „Suburbs“ und „Industrie-Clusters“ um einen Stadtkern oder über mehrere Stadtteile. Die „Gouvernementalität“ des neoliberalen Kontrollregimes verschiebt sich in diesen Situationen von der Gesellschaft zur kleineren Einheit der Gemeinschaft in der Form des urbanen Regierens (Michel 2005:17-38). Diesen Aspekt der Produktion und Arbeitsteilung hatte Michel in Global City als Projekt kaum aufgegriffen. Vielmehr legte er einen Schwerpunkt beim Immobiliensektor, da Landbesitz und die Kontrolle über den Boden als Besonderheit in den Philippinen eine zentrale Säule der Macht und entsprechender ökonomischer Profite darstellt. Auch hatte Boris Michel in seiner Studie zwar die Exklusion der Gebiete der Slums von den Zentren beschrieben. So ging er dabei von einer Kategorie der „Überflüssigen“ aus, die nicht ausgebeutet werden, weil sie ausserhalb des Weltmarktes und des Wertschöpfungskreislaufes der Massenproduktion stehen (Kreckel 2006:27). Die Begriffe Exklusion und Inklusion im weltgesellschaftlichen Zusammenhang hatte Niklas Luhmann stark geprägt. Er beschrieb die Slums in der Situation der Gesamtexklusion aus allen Funktionssystemen. Dieser Ausschluss beinhaltete keinen Zugang zu entsprechender Bildung, minimale medizinische Versorgung oder kaum nennenswerte Lohnarbeit (Luhmann 2000:242 und 303).  In der aktuellen Literatur findet sich jedoch auch die Perspektive, dass das Zentrum und die Peripherie mit den Gebieten des Slums in Form von unsystematischen Ansiedlungen durch vielschichtige ökonomische Abhängigkeiten miteinander verbunden sind. Das urbane Phänomen der Slums ist nicht ohne Grund oftmals zwischen wohlhabenden Vierteln anzutreffen. Zentrum und Peripherie bedingen einander, weil sich aus den entsprechenden Gebieten das Prekariat wie zum Beispiel Handwerker, Handlanger, verschiedene Arten von Dienstboten oder Personen für Sexarbeit rekrutieren lässt (Mann 2006:185).

In Global City als Projekt versuchte Boris Michel in einer Lehrstudie die Prozesse der Exklusion da festzumachen, wo sie sichtbar passieren. Er wählte das Beispiel von Manila aus, weil die Privatisierung und die Fragmentierung des Raumes durch Immobilienfirmen passieren. Die verschiedenen „Developer“ des Immobiliensektors teilten sich den städtischen Raum untereinander auf und versehen die entsprechenden Sektoren mit einem spezifischen Kontrollregime. Diese Aufteilung des Raumes unter privaten Besitzern erinnert mit diesem bestimmten Aspekt an das Modell des Feudalismus und ich würde das Buch aus diesem Grund sehr empfehlen.

Quellen:

  • Kreckel, Reinhard (2006). Soziologie der sozialen Ungleichheit im globalen Kontext. Forschungsbericht. Institut für Soziologie, Martin – Luther- Universität Halle-Wittenberg, Halle Deutschland.
  • Luhmann, Niklas (2000). Die Religion der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.
  • Mann, Michael (2006). Vision und Realität einer werdenden Mega- City. In: Schwentker, Wolfgang (Hg.). Megastädte im 20. Jahrhundert (185-211). Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht GmbH.
  • Michel, Boris (2005). Stadt und Gouvernementalität. Münster: Westfälisches Dampfboot.
  • Michel, Boris (2010). Global City als Projekt. Neoliberale Urbanisierung und Politiken der Exklusion in Metro Manila. Bielefeld: Transcript Verlag.
  • Osterhammel, Jürgen (2003). Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen. München: Verlag C.H. Beck.

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«Das Gesellschaftssystem wird demnach nicht durch ein bestimmtes Wesen, geschweige denn durch eine bestimmte Moral (...) charakterisiert, sondern allein durch die Operation, die Gesellschaft produziert und reproduziert. Das ist Kommunikation.»

Luhmann, Niklas (1998): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 70.