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soziologie.ch soz:mag#6 "avenzio - schöner leben!"

"avenzio - schöner leben!"

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Zu Tragik und Lächerlichkeit einer Fernsehsendung

Der Autor ist fleissiger Fernseher und amüsiert sich regelmässig mit verzogenen spaghettisaucenroten Mundwinkeln ob der telegenen Inszenierung kleinbürgerlicher Normalität. Christian Leder ist nicht verdummungsimmun, doch noch besteht Hoffnung. Zur Selbstvergewisserung macht er sich ein paar - mehr oder minder lächerliche - Gedanken.

SOZ-MAG Beitrag von Christian Leder

Es gehört zum guten Ton, in skeptisch kulturkritischem Gestus über TV zu schreiben. Davon soll auch im Folgenden nicht abgewichen werden. Doch als genuin reflexives Denken prätendiert das soziologische mitunter hinter den Spiegel zu blicken und sich nicht in Verdoppelung und Wiederholung zu erschöpfen. Wenn dieser Text eine Fragestellung hat dann, weshalb "Avenzio - schöner leben!" mich derart amüsiert. Einer der angenehmen Vorzüge des Soziolgiestudiums ist eben: man kann auch scheinbar geistlose Tätigkeiten wie Fernsehen mit dem Hinweis auf das "professionelle Interesse" auf ein höheres Niveau heben. Und die habitualisierte Haltung des Entzauberers lässt mit Sarkasmus, Witz und Ironie auch matt Plattes und tragisch Dunkles im farbenprächtigen Licht der Beobachtung zweiter Ordnung aufgehen. Denn was der soziologische Blick sieht, ringt zunächst ein Lächeln ab. Schliesslich ist Lächerlichkeit die wirkungsvollste Methode des Befremdens. Allerdings, zuweilen trägt das Lächeln Züge von Hilflosigkeit. Der Versuchung zur ironischen Duldung ist mit dem hoffnungsvollen Hinweis auf die Wirkung von Aufklärung, nämlich Autonomie im Umgang mit der vermeintlich als unabänderlich wahrgenommenen Faktizität, zu begegnen. Deshalb: der Fernseher muss nicht ausgeschaltet werden! Stattdessen sehen wir aufmerksam zu, nutzen die Lächerlichkeit, um der Höhle der televisionären Schattenbilder zu entsteigen und anderen zu erzählen...

Vierkantschraube Grösse 6

12:00. Zu einer Sendezeit, wo auf Sat1 mit "Vera am Mittag" die Reihe von Talkshows beginnt - am späteren Nachmittag neuerdings durch die melodramatischen Gerichtssaalsendungen abgelöst - und RTL mit dem peppigen Nachrichtenmagazin "Punkt 12" laut eigenen Angaben "in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen regelmäßig Quoten von weit über 30 Prozent erreicht", programmiert Pro7 mit "Avenzio" ein "Lifestylemagazin" zum Thema Wohnen und Alltag. "Avenzio" dauert inklusive Werbeunterbrechung - auffallend viel Baby- und Frauen-, allerdings kaum Heimwerkerprodukte - wie alle Sendungen im Mittags- und Nachmittagsprogramm der Privaten eine Stunde. Die Sendung hat mehrere Rubriken. Diese werden von der brunetten Moderatorin Daniela Fuß im Studio an- und abmoderiert. Frau Fuß, so ist auf avenzio.de zu erfahren, ist "zwischen romantischen Fachwerkhäusern und riesigen Kohlehochöfen" im "Ennepe-Ruhr-Kreis" aufgewachsen und "nach einer einjährigen Babypause" zu "avenzio" gekommen. Als erstes kommt heute das "Sommer-Spezial", die letzte Episode einer sich über vier Sendungen erstreckenden Reportage über "Mama und Organisatorin Ingeborg" und ihre beiden auffällig regelmässig im Bikini zu sehenden adoleszenten Töchter, die "19-jährige Livian" und "ihre 15-jährige Schwester Jeanette", die zusammen "Omas ehemalige Wohnung in eine schicke Ferienbleibe umwandeln" und sich dabei erwartungsgemäss nicht gerade geschickt anstellen, es letzlich aber doch termingerecht zum Abschluss der Ferien der Töchter schaffen, die diese natürlich - man glaubt es gerne - lieber mit ihren Freunden verbracht hätten, wie im Verlauf jeder Episode im Offtext zu vernehmen ist. Fester Bestandteil und Hauptteil jeder Sendung ist zweitens die Rubrik "besser wohnen". Sie handelt davon, dass die drei Handwerker des "besser wohnen Teams" - auf dem Internet werden sie in einer Fotogallerie als "sexy Handwerker" vorgestellt - einen am Computer modellierten Plan einer ebenfalls von "Avenzio" bestellten Innenarchitektin ausführen und so "neuen Glanz" in eine Wohnung oder einen Garten bringen, wobei die Besitzer selbst mit Hand anlegen und von den "Profis" angeleitet werden. Heute geht es um den Innenausbau eines Wohnbootes - darum, "den Hauptraum des Bootes nach den Plänen von Klaus Dengel in einen multifunktionalen Freizeitraum umzubauen", wie die Moderatorin ankündigt. Ganz im Sinne dieser vorgeblichen Sachlichkeit bekommt man im Beitrag denn auch so blödsinnige Hinweise wie "Jürg benutzt eine Vierkantschraube der Grösse 6", zu hören, ohne dass ein sachhaltiger Grund für die Vewendung gerade dieser Schraube einsichtig wäre - als gäbe es ein Rezept für die Renovation eines Navigationstischchens. In der "Avenzio Reportage", die sich dramaturgisch kaum vom erwähnten "Sommer Spezial" unterscheidet, geht es in der heutigen Sendung drittens um "Bauen mit Bungerts aus Bonn". In der Rubrik "Service" schliesslich gibt es viertens handfeste Tipps. Heute wird am ansehnlichen, in einen knappen Bikini gekleideten Körper der 21-jährigen Studentin Fanny ein aus Strandsand, Honig und Joghurt zusammengemischtes Gesichts- und Hals-Peeling vorgeführt: "Sie können aktiv etwas für ihre Schönheit tun. Ob Sand, Algen oder auch Meerwasser, Kosmetikerin Nadine Bauer zeigt Ihnen, wie Sie tolle Kosmetikprodukte selber herstellen können" ...Wer zum Henker will sich seine Visage freiwillig mit einem Peeling aus verpisstem Sandstrand schrubben? Genug der Kuriositäten!

Für die Bungerts ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Für Papa Mario, den Polizisten mit den zwei linken Händen, für Mama Svenia, einst Berufssoldatin und jetzt Mama, und für die Töchterchen Jona und Jessy. Endlich! Ein eigenes Haus - Bauen mit Bungerts aus Bonn.

"Avenzio - schöner leben!" leiht sich von der Doku-Soap die personenzentrierte Dramaturgie der Reportagenbeiträge und von der Ratgebersendung die Moderation, den Auftritt von Experten und die Vorführung der Tipps. Genremässig hat sich in den letzten Jahren im Mittags-, Nachmittags- und Vorabendprogramm ohnehin ein deutlicher Wandel hin zum Dokumentarischen vollzogen. Bis vor einem Jahr bestand die Realität des Nachmittagprogramms grösstenteils darin, Teilnehmer von Talkshows und ihren Varianten durch Exposition zu wahrhaftigen Gefühlsäusserungen und scheinbar therapeutischen Bekenntnissen zu bringen. Die Narration vollzog sich da in der Logik des Geständnisses, die Geschichte konstituierte sich im Vollzug eines in asymmetrischem Machtverhältnis zwischen Moderator und Talk-Gast gehaltenen Gesprächs. Im Laufe des vergangenen Jahres hat sich die Realität des Nachmittagprogramms gewandelt: Die Talkshow wurde verdrängt durch die Gerichtssaalsendung, durch die dokumentarisch, nämlich mit "richtigen" Kommissaren, inszenierte Polizei-Soap (etwa "Niedrig und Kuhnt" auf Sat1) und deren kleine Schwester, die Privatdetektiv-Soap (z.B. "Lenssen und Partner" auf Sat1) sowie Sendungen wie "Abschlussklasse", "S.O.S Style & Home" und "Avenzio - schöner leben!" auf Pro7. Bleibt bei den Gerichtssaalsendungen der epistemische Modus des Geständnisses bzw. des Verhörs sowie die Inszenierung im Studio erhalten - an die Stelle dümmlicher Talk-Gäste treten allerdings sauber gecastete Laiendarsteller - so ist bei "Avenzio" und den erwähnten Sendungen ein ethnographisches going out festzustellen: Die Kamera - und vermutlich hat das Aufkommen dieser Formate tatsächlich mit der Verkleinerung der Kameras und den digitalen Schnittplätzen zu tun - begleitet die Personen in ihrem gewissermassen natürlichen Lebensbereich. Das Narrativ entfaltet sich nicht allein diskursiv, sondern interaktiv, die Geschichte entfaltet sich szenenhaft an Originalschauplätzen. Was eben ein ganz anderes Erzählen einer Geschichte ist.

Dokumentarische Realitäten

Die Doku-Soap - seien wir mit Genrebezeichnungen gross-zügig - ist en vogue. Doku-Soaps sind für den Zuschauer ein besonderes Amüsement. Es kommt zu Stande durch Identifikation mit der gezeigten Person oder durch das auf Selbstüberhöhung des Zuschauers beruhende Überlegenheitsgefühl. Im Unterschied zu "fiction" bieten Dokus eine Versöhnung mit der Realität: Erzählt wird aus dem wirklichen Leben, vom tückenreichen und nicht immer angenehmen Alltag, von Personen, die keine unerreichbaren, auratischen Stars sind. Die dokumentierten Personen und Lebenswelten sind keine herausgehobenen Idole. In der Dokumentation gewinnt das Aufmerksamkeit, was andauernd stattfindet, aber uns in unserem Alltag gewöhnlich nicht vor die Augen kommt. Alles kann interessant sein, sagt uns die Dokumentation, und es gibt keinen Grund, weshalb nicht auch dein Alltag interessant sein sollte. Insofern haben Dokumentationen zweifellos ein aufklärerisches Potential. Doch was ist jetzt mit dem Lachen? Nicht selten werden auch bei Dokumentationen vermeintlich höheren Niveaus Leute zu Gunsten von Komik und Effekt schlicht in die Pfanne gehauen (siehe zu dieser Thematik etwa den Spielfilm "Storytelling" von Todd Solondz). Dies geschieht bei "Avenzio" nicht! Beim Dokumentarfilm liegt, was heute zum Alltagsbestand an Reflexionswissen gehört, die Macht der Inszenierung beim Regisseur. Die Szenen werden vom Regisseur montiert, die Realität bildet sich nicht unwillkürlich und unverzerrt in der Doku ab. Personen werden zwangsläufig als Figuren inszeniert, d. h. ihre invididuelle Eigenart wird nach der Willkür bzw. dem Blick des Regisseurs schabloniert, in Schemata vereinfacht und stereotypisiert. Ohne diese Figürlichkeit kommt keine Erzählung aus. Durch die dokumentarische Inszenierung von Realität erhält diese eine normierende Wirkung. "Es ist nur Film", lässt sich bei "fiction" beruhigend relativierend sagen. Diese Normierung fällt umso durchsichtiger aus, je weniger die Inszenierung Personen und Situationen in ihrer Widersprüchlichkeit und Vieldeutigkeit zu erfassen sucht. Bei "avenzio" nun ist die Inszenierung derart platt, dass andauernd die "als gegeben und unabänderlich vorausgesetzte Mentalität verdoppelt, befestigt, und verstärkt" (Adorno) wird. Mein Lachen ist bei "avenzio" vermutlich tatsächlich ein selbstüberhöhendes, ein Lachen in Anbetracht von Stereotypie und Erwartungen erfüllender Gleichförmigkeit, ein Lachen des Distanzierens von der Enge der dargestellten Kleinbürgerlichkeit. Hergestellt wird die Kohärenz der Inszenierung bei "avenzio" durch den von einer seriös klingenden Männerstimme vorgetragenen Offtext. Er hält das bunt zusammengeschnipselte Stückwerk von Szenen zusammen. Bereits anhand dieses Offtextes lässt sich die Inszenierungslogik von "avenzio" als ein flattierendes Bestätigen der kleinbürgerlichen Mentalität erkennen:

Ausruhen können die Bungerts heute nicht. Es wartet JEDE MENGE ARBEIT. Marios bester Freund Axel kommt zum Helfen vorbei. Nur weil die Bungerts den Innenausbau in Eigenregie geleistet haben, konnten sie FÜNFZIGTAUSEND Euro sparen. Der gelernte Elektriker Axel hat fast jeden Tag geholfen. Mario und er kennen sich seit dem Kindergarten. Heute steht das Badezimmer auf dem Programm. Die Duschkabine muss aufgestellt werden.

Zu einem Housebeat tritt in kurzen Hosen, bequemen Sandalen und neutral weissem T-Shirt Axel in die Wohnung. Er bleibt unter dem Türrahmen stehen, blickt zur Orientierung wie vor dem Zebrastreifen erst nach links, dann nach rechts, abermals nach links, um dann sogleich loszulegen - es könnte sich um die Eröffnungsszene eines Pornos handeln... Der erfüllte Traum des Eigenheims ist eine Stufe auf dem Weg zur ruhevollen Idylle. Der kleinbürgerliche Telos des Ausruhens: Jegliche Anstrengung ist auf die Erreichung des Ausruhens gerichtet - auch wenn dieses Ausruhen letztlich im phlegmatischen Berieseln-Lassen durchs Mittag- und Nachmittagprogramm von Pro7 besteht. Insofern wird dem Zuschauer hier bestätigt, dass er es geschafft hat, immerhin: Er kann es sich leisten, anderen bei der mühevollen Arbeit zuzusehen... Dass sich Mario und Axel "seit dem Kindergarten" kennen, lässt sich indes auch als Eingeständnis des kleinräumigen Aktionskreises von "Familienpapa Mario" lesen. Tja, Freunde hat man fürs Leben. Und weshalb in die Weite schweifen, wenn man solch loyale Kumpels wie Axel hat.

Bevors an die Arbeit geht, muss Familienpapa Mario seine 2-jährige Tochter Jessy versorgen. [Mario zu Jessy:] Papa macht die Windel zu // mhm.. // doch // mhm.. // ohja .. [durch die offene Tür im Hintergrund, hinter der man den tüchtigen Axel vermutet] was denn, ich komm sofort .. [wieder zur 2-jährigen Jessy] Bitte lass die Hände da! Ich muss die Windel zumachen [Jessy quengelt] Jessy! [Die verständnisvolle Stimme aus dem Off:] Auch für die Kinder war die letzte Woche stressig. Sie müssen sich erst an ihr neues Zuhause gewöhnen und sind knatschig. Eine Geduldsprobe für den 30-jährigen Polizisten.

Stressig, man kennt das aus eigener Erfahrung nur allzu gut, war nicht nur der Umzug, stressig sind auch die Kinder. Dass Kleinkinder die Eltern bisweilen auch ohne Umzug bis an die Belastungsgrenze strapazieren, dass Betreuung und Erziehung oft anstrengend sind und Eltern ganz generell mit der Mehrfachbelastung umgehen lernen müssen, davon lenkt der Offtext ab. Nur weil die Kinder sich ebenfalls an ihr neues Zuhause gewöhnen müssen, sind sie knatschig. Eigentlich sind sie ja ganz lieb. Haben sie sich erst einmal an das Eigenheim "gewöhnt", wird suggeriert, so werden sie -wie ihre Eltern - in ruhevollem Glück aufgehen... Ideologie "pur".

Mario ist mit seinen Kräften am Ende. Doch im Badezimmer wartet schon sein Freund Axel und will endlich die Schiebetüren für die Dusche montieren. Ohne die würde das Bungert-Bad nach dem Duschen unter Wasser stehen. Der einzige Luxus, den sich die Bungerts beim Innenausbau geleistet haben ist die Eckbadewanne. Und die war nur im Budget, weil Marios Frau gut gehandelt hat.

Papa Mario, wir sind mit dir! Bald wirst du dir die lang ersehnte Dusche im Luxusbad gönnen dürfen. Und schau, eigentlich bist du ein Glückspilz.. mit der tollen Frau.. den lieben Kindern und deinem besten Freund Axel... Und.. hmm.. Mario, mit wem und unter Einsatz welcher Waffen hat deine Frau denn eigentlich mit so grossem Erfolg um die Eckbadewanne verhandelt?

Mario ist froh, dass sein bester Freund Axel da ist. Er selbst ist handwerklich nicht begabt und hat schon Schwierigkeiten mit der Bohrmaschine umzugehen. Axel ist gelernter Elektriker und Profi. [15 Sek. unkommentierte Bilder der Männerarbeit] Nach einer guten Stunde steht die Duschkabine im neuen Bad. Mehr aber schaffen die Männer heute nicht, denn schon am Nachmittag soll gefeiert werden. [Szenenwechsel] Zwei Stockwerke tiefer im Keller bereitet Marios Frau Svenia inzwischen die Einweihungsparty vor. Heute wollen die Bungerts mit allen Freunden, die ihnen geholfen haben, feiern. Doch auch die 28-Jährige ist nach dem Umzug noch ziemlich geschafft. Und jetzt muss sie auch noch einhundert Luftballons mit Helium füllen.

Svenia - wiederholt als "Marios Frau" vorgestellt - steht zwischen grauen Betonwänden, und über ihrem Kopf drücken 99 bunte Luftballons gegen die Decke. Wenn ihr die Decke nur mal nicht auf den Kopf fällt. Unfreiwillig wird das Bild der im grauen Keller einer monoton repetitiven Arbeit nachgehenden Svenia zum Sinnbild der drohenden Vereinsamung. An einer anderen Stelle sagt Svenia zur Kamera: "So im Grossen und Ganzen fühl ich mich schon zu Hause. Ich vermisse zwar meine Nachbarin, geb› ich ganz ehrlich zu, weils ja doch so normal ist, das Erste, was du machst, guckst morgens vom Balkon, ›ach ist sie drüben‹, ist der Rolladen schon oben, kannse direkt zum Kaffee hinüber kommen hmm... das ist jetzt natürlich nicht mehr so einfach, ›hei bist du wach, komm rüber, ich bin auch allein‹ - das geht nicht mehr". Doch zum Glück hat Svenia zu tun und kann sich nicht weiter müssiger Reflexion ihrer Situation ergeben:

Svenia kommt nicht zur Ruhe. Auch die Partyvorbereitungen sind zeit- UND arbeitsintensiv. Mit den VIELEN bunten Luftballons will die frisch gebackene Hausbesitzerin davon ablenken, dass rund um ihr neues Heim noch Baustelle pur ist. Für die Kinder setzt sie noch einen drauf. Svenia hat extra ein Mini-Riesenrad besorgt. (Szenenwechsel, im Hintergrund wird gedämpft Musik eingespielt) Mario sticht das erste Fässchen Kölsch an. Wie viele Gäste heute kommen - das wissen die Bungerts noch nicht.

An diese Sequenz fügt Mario - eine der wenigen Szenen, wo die Figuren selber zur Sprache kommen - die Erklärung an: "Hier ist es nicht üblich, dass du die ganzen Leute anrufst und sagst ›Hei ..‹, irgendeiner spricht das immer rum und wer kommt, der kommt. Hier wird nicht grossartig eingeladen, ich lass mich überraschen". Als wüsste Mario nicht mehr, wer ihm geholfen hat. Wär es nicht das Mindeste, die Helfer persönlich einzuladen? Offenbar nicht, denn so viele werden es ausser Axel wohl doch nicht sein, und überhaupt wird man mit den paar anderen derart engen Kontakt pflegen, dass solche Förmlichkeiten unnötig sind. Förmlichkeiten bedrohen die kleinbürgerliche Geselligkeit eher, als dass sie sie befördern. Und Tautologien schützen vor bedrohlichen Irritationen. Trautes Heim, Fest allein.

Lachen hat Methode

"Avenzio - schöner leben!", zumindest so viel muss durch die kursorische Lektüre des Transkripts klar geworden sein, ist nicht auf die möglichst vieldeutige Wahrnehmung von Personen, Lebenswelten und Handlungsproblemen aus. Unklar bleibt mir auch nach wiederholtem Schauen der Sendung und selbst nach Schreiben dieses Textes, was in "avenzio" überhaupt gezeigt wird. Leicht verzweifelt frage ich mich: Wovon handelt die Reportage "Bauen mit Bungerts aus Bonn" denn nun eigentlich? Die Personen fallen als Antwort weg: Sie werden viel zu platt dargestellt. Darüber, wie sie den Hausbau erleben, welche Bedeutung der Hausbau für sie hat, mit welchen Hoffnungen, aber auch Risiken und Ängsten der Hausbau verbunden ist, erfährt der Zuschauer nichts - ausser den von der göttlichen Stimme aus dem Off vorgetragenen Plattitüden natürlich. Die Personen sind auswechselbar. Ihre Individualität interessiert nicht. Sie dienen vielmehr als Staffage. Informationen über den Hausbau selbst erfährt der Zuschauer auch keine. Wie setzten sich etwa die FÜNFZIGTAUSEND EURO zusammen, die Familie Bungert spart, weil sie das Eigenheim "in Eigenregie" ausbaut? Der ernsthaft am Hausbau der Bungerts interessierte Zuschauer würde sich denn auch fragen, wie die Bungerts ihr Haus finanzieren. Was das Haus inklusive Grundstück gekostet hat, ist nicht zu erfahren - weshalb auch die Angabe jener Fünfzigtausend als absolute Zahl stehen bleibt und allein auf den "Ach so viel!"-Effekt aus ist. Naheliegend wäre drittens die These, dass "Bauen mit Bungerts aus Bonn" eine Art televisionärer Ethnographie des Zusammenarbeitens von Heimwerkern ist. Zwar sind in einigen Szenen Mario und Axel heimwerkend und zuweilen schwitzend, mit einmal mehr und einmal weniger abenteuerlichen Apparaten hantierend zu sehen... doch davon, wie sie ihre Arbeit organisieren, davon, weshalb Axel überhaupt so regelmässig helfen kommen kann - ist er arbeitslos? ist er Single, oder was hält seine Partnerin davon? träumt er selbst ebenfalls vom Eigenheim und spekuliert auf Reziprozität? - erfährt der Zuschauer nichts.

Die Frage nach dem informativen Gehalt ist zu prätentiös. "Avenzio - schöner leben!" erzählt schlicht Geschichten. Geschichten, wie wir sie täglich selbst erzählt bekommen und andauernd selbst erzählen. "Avenzio" ist Teil des für ein kulturelles Selbstverständnis konstitutiven Geredes. Kokette Täuschung, das Mischen von Stilen und Genres sind Techniken des Erzählens und Inszenierens. Auch die bei genauerer Betrachtung hanebüchene Plattheit ist eher gewöhnlich als aussergewöhnlich. Mit dieser Einsicht wird Ideologiekritik keinesfalls obsolet - Faktizität bzw. Gewöhnlichkeit darf nie ein Argument gegen sie sein. Wer den Täuschungen erliegt, wer "Avenzio" im Glauben schaut, etwas über Personen oder über Hausbau zu erfahren, wer sich nicht darüber klar wird, dass hier täglich dem gleichen Strickmuster gefolgt wird, dass die autoritative Stimme aus dem Off in endlosen Wiederholungen dahin plätschert und alles nur auf die seichte Unterhaltung durch telegenes Schmeicheln der eigenen Kleinbürgerlichkeit aus ist... dessen Lachen wird kein befreiendes sein.

Mario und Svenia Bungert haben sich ihren GRÖSSTEN WUNSCH erfüllt. Ein EIGENES Haus. Mit den richtigen Freunden und vollem Einsatz können TRÄUME WAHR WERDEN.

Christian Leder studiert Soziologie und Philosophie in Bern. Zusammen mit seinem ein Jahr älteren Kumpel bewohnt der 28-jährige Student eine multifunktional und schick eingerichtete 3-Zimmer Altbauwohnung. Christian Leder ist Heimwerker, als nächstes steht die Renovation des Badezimmers an.

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«Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.»

Ludwig Wittgenstein (1980 [1921]): Tractatus logico-philosophicus. In: Wittgenstein, Ludwig: Schriften. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 83.