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Europa sozial? - WIDERSPRUCH 48 fragt nach

Die neuste Ausgabe des WIDERSPRUCH hat sich der Europäischen Union und ihrer Sozialpolitik verschrieben. Die gescheiterte EU-Verfassung, die Lissaboner-Verträge und die daraus resultierenden Wachstumsstrategien werden genauso intensiv diskutiert wie die EU-Osterweiterung und die Militarisierung der EU im Zusammenhang mit Schengen/Dublin. Vor dem Hintergrund dieses breiten Themenspektrums und unter dem Titel "Europa sozial" bespricht, kritisiert und hinterfragt WIDERSPRUCH immer wieder die Positionierung der europäischen sowie der schweizerischen Linken.

Von Christina Maag

Den Einstieg ins Heft Nr. 48 macht Herbert Shui mit einem Artikel, der den europäischen Verfassungsvertrag unter die Lupe nimmt. Das ernüchternde Fazit schliesst er mit der Aussage, dass der objektive Zweck der europäischen Verfassung darin besteht, „die wieder erreichte Autonomie der Unternehmerschaft zu sichern“ und die institutionellen Voraussetzungen für den „Zugewinn von Macht“ zu schaffen.

Klaus Dräger seinerseits befasst sich intensiv mit den Lissaboner-Verträgen und zeigt auf, wie diese an ihren Zielkonflikten gescheitert sind. Das Ziel, mehr und bessere Arbeitsplätze zu schaffen, steht im Widerspruch mit dem Ziel der Arbeitsmarktflexibilisierung, die unter anderem die Stärkung der Niedriglohnsektoren vorsieht. „Bildung, Qualifikation und lebensbegleitendes Lernen sollen einerseits gefördert werden, durch die geforderte Kürzung öffentlicher Ausgaben und eine Politik niedriger Steuern fehlt dann aber andererseits das Geld“, so Dräger weiter in seinem Artikel.

Wettbewerb, Wirtschaft und Sozialstaat sind die Themen, die den ersten Block der neuen WIDERSPRUCH Ausgabe prägen, bevor in einem zweiten Block „Europa sozial“ aus der Gleichstellungsperspektive diskutiert wird. Petra Beckmann, Stephanie Steinmetz, Natalie Imboden und Encarnación Gutiérrez Rodríguez bringen mit ihrem Perspektivenwechsel frischen Wind in die Diskussion. 1997 verpflichteten sich die EU-Mitgliedstaaten, die Beschäftigungsquote von Frauen und Männern zu erhöhen und Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt zu verwirklichen. Petra Beckmann untersucht anhand der Beschäftigungsentwicklung bei Frauen und Männern in Deutschland, welche Aussagekraft die Beschäftigungsquote in der geschlechterspezifischen Betrachtung von Beschäftigungsstand und -entwicklung hat. Im Laufe des Artikels zeigt Beckmann deutlich auf, dass die Bemühungen der EU in diesen Bereichen nicht ausreichen und eine positive Deutung der steigenden Beschäftigungsquoten daran krankt, dass Beschäftigungsqualität und Beschäftigungsstruktur nicht in die Analyse einbezogen werden. So steht heute eine steigende Zahl Teilzeit oder geringfügig beschäftigter Frauen einer zunehmend kleineren Zahl Vollzeit erwerbstätiger Männer gegenüber. Mit den Teilzeitstellen im Billiglohnsegment kann jedoch gemäss Beckmann kein Einkommen erzielt werden, das gleichberechtigte wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht.

Das europäische Sozialmodell ist Diskussionsmittelpunkt der Artikel von Michael R. Krätke und André Brie, die zur Verteidigung des europäischen Sozialmodells Gegenmodelle vorschlagen. Krätke fordert radikale Brüche mit den vorherrschenden Ideen von Reichtum, Investition oder Innovation und ruft mit seinem Artikel in Erinnerung, dass der Wert eines Menschen nicht mit seinem Marktwert gleichzusetzen ist.

Hannes Hofbauer greift im Weiteren die EU-Ostererweiterung auf, und sucht nach ihren Gewinnern und Verlieren. Die Osterweiterung scheint für Brüssel das politische Mittel zu sein, die ökonomische Verwertung der neuen EU-Länder rechtlich abzusichern. Osteuropas Reformjahrzehnt entpuppt sich so als grosse Umverteilungsmaschine von Ost nach West.

Den Einstieg in den obligaten Diskussionsteil macht Mascha Madörin mit ihrem Beitrag zur SPS Wirtschaftstagung. Unter dem Titel „Feministische Ökonomiekritik und Wirtschaftspolitik“ fordert Madörin ein Umdenken bei der Schweizer Linken und „neue Lösungen für neue Probleme“. Die unbezahlte Arbeit der Frauen sowie die Geschlechterverhältnisse sollen in wirtschaftpolitischen Entscheidungen und in der ökonomischen Theorie mitberücksichtigt werden.

Das bisherige Scheitern der EU-Verfassung, die Abstimmung der Schweiz zu Schengen/Dublin, die Geschlechterpolitik der EU und die EU-Osterweiterung sind hochaktuelle Themen, die des kritischen und anderen Blickes des WIDERSPRUCH würdig sind. Neue Fragen werden gestellt, alte Selbstverständlichkeiten hinterfragt und dies alles in der gewohnt kritischen und professionell widersprechenden Art und Weise.

WIDERSPRUCH 48: Europa sozial

264 Seiten, Fr. 25.-, Euro 16.-

Im Buchhandel oder bei WIDERSPRUCH, Postfach, 8026 Zürich, Tel./Fax 0041 (0)44 273 03 02, Cette adresse email est protégée contre les robots des spammeurs, vous devez activer Javascript pour la voir. ; www.widerspruch.ch

 

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«‹Soziales› Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinem vom [...] Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.»

Max Weber (1985 [1921]): Wirtschaft und Gesellschaft TĂĽbingen: J.C.B. Mohr, S. 1.