Die tertiĂ€re Bildung in der Ăra des New Public Management
Seit einigen Jahren nimmt der Spardruck im öffentlichen Sektor zu. Oft gehen Budget-KĂŒrzungen und der Ruf nach mehr Effizienz mit neuen Management-Methoden einher, die unter dem Begriff des New Public Management (NPM) zusammengefasst werden können. Dabei werden Management-Techniken aus dem privaten Sektor auf den öffentlichen Sektor ĂŒbertragen, was einen Wertewandel nach sich zieht: Im Zentrum des neo-liberal inspirierten NPM steht die Effizienzsteigerung, die in der Regel dank stĂ€rkerer Konkurrenz zwischen den verschiedenen Akteuren erreicht werden soll . Dabei geraten qualitative Aspekte oftmals in den Hintergrund. Diese Tendenz betrifft auch das Bildungswesen. Der vorliegende Artikel geht daher den sozio-ökonomischen Auswirkungen der aktuellen Reformen im Bereich der tertiĂ€ren Bildung nach.
SOZ-MAG Beitrag von Beat Estermann
Das NPM ist eine Management-Strömung im öffentlichen Sektor, die seit Ende der siebziger Jahre, ausgehend von Grossbritannien, den USA und Neuseeland, in den meisten IndustrielĂ€ndern in irgendeiner Form Einzug in die öffentlichen Verwaltungen gehalten hat. Im Zentrum des NPM steht das Bestreben nach RationalitĂ€t, Wirksamkeit und Effizienz. Der neo-liberalen Auffassung folgend, werden diese Ziele am ehesten in einem wettbewerborientierten Umfeld mit dezentralen Akteuren erreicht, die sich der Marktlogik entsprechend verhalten. GemĂ€ss den BefĂŒrwortern des NPM liegen dessen hauptsĂ€chliche Vorteile in den Kosteneinsparungen, der Effizienzsteigerung und der AnnĂ€herung der öffentlichen Verwaltung an die BĂŒrger (Steuerzahler).
Je nach politischem System können sich die Reform-Massnahmen auf unterschiedliche Aspekte richten. Mönks (1998) unterscheidet vier Hauptaspekte: Effizienz, FlexibilitĂ€t der Organisation, QualitĂ€t (Kundenorientierung) sowie Dezentralisierung (BĂŒrgerorientierung). Abbildung 1 gibt eine Ăbersicht ĂŒber die verschiedenen Management-Konzepte, welche im Rahmen des NPM eingesetzt werden. In der Regel handelt es sich um Management-Techniken, die aus der Privatwirtschaft ĂŒbernommen werden.
Die tertiÀre Bildung in der Schweiz
In der Schweiz ist die Zahl der Studierenden seit Anfang der achtziger Jahre um rund 80% angestiegen. Ein Teil dieses Anstiegs geht auf die Erhöhung des Frauenanteils unter den Studierenden zurĂŒck, der zu Beginn der achtziger Jahre nur etwa einen Drittel ausmachte, wĂ€hrend er sich mittlerweile bei etwa 50% eingependelt hat. Mit der Studierendenzahl sind auch die Kosten gestiegen, so dass der finanzielle Druck immer grösser wird, auch wenn die Kosten pro Student/in in den letzten Jahren stabil geblieben sind. So besteht allgemein in der Schweiz die Tendenz, die StudiengebĂŒhren zu erhöhen. Parallel zum Anstieg der StudiengebĂŒhren ist eine Verminderung der ausgezahlten StipendienbetrĂ€ge zu beobachten. So wurde laut Bundesamt fĂŒr Statistik die Summe der ausbezahlten Stipendien zwischen 1996 und 2001 von 0.30â° auf 0.26â° des BIP gesenkt. Zudem haben in dieser Zeit sowohl die Lebenshaltungskosten als auch die Zahl der Studierenden zugenommen. Angesichts der steigenden Kosten in der tertiĂ€ren Bildung ist demnach eine zunehmende Verlagerung der finanziellen Last vom Staat auf die Studierenden und ihre Familien auszumachen.
Wirtschaftskreise fordern, die StudiengebĂŒhren auf 5000 Franken jĂ€hrlich zu erhöhen (AKW 2004), um EngpĂ€sse bei der Bildungsfinanzierung zu ĂŒberbrĂŒcken und die Studierenden leistungswilliger zu machen. Ziel ist es, die staatlichen Bildungsausgaben teilweise durch ein individuelles Finanzierungsmodell zu ersetzen. Dieser Paradigmenwechsel entspricht einer Tendenz zahlreicher Staaten, sich von der Finanzierung der tertiĂ€ren Bildung mehr und mehr zurĂŒckzuziehen und die Kosten auf die privaten âNutzniesserâ zu ĂŒberwĂ€lzen.
Seit den neunziger Jahren werden verschiedene Schweizer UniversitĂ€ten mittels Leistungsvereinbarungen und Globalbudgets gelenkt. Diese zunehmende Autonomie der tertiĂ€ren Bildungsinstitutionen zielt auf die bessere Trennung zwischen strategischer und operativer FĂŒhrung ab. Der Autonomiegewinn der UniversitĂ€ten ist allerdings beschrĂ€nkt: Zum einen verfĂŒgen die UniversitĂ€ten dank der akademischen Freiheit traditionell ĂŒber grosse FreirĂ€ume. Zum andern ist parallel zur Dezentralisierung finanzieller Detailentscheide eine zunehmende Zentralisierung zu beobachten: So hat Bundesrat Couchepin letzten Februar in einem Interview in Le Temps (02.02.2004) die Idee lanciert, einen gesamtschweizerischen âHochschulratâ (Conseil de lâenseignement supĂ©rieur) ins Leben zu rufen, der Budgetbefugnisse hĂ€tte und die strategische FĂŒhrung innerhalb der Schweizer Hochschullandschaft wahrnehmen wĂŒrde.
Im Rahmen des Bologna-Prozesses werden zudem die Studien-gĂ€nge europaweit harmonisiert. Ziel der Reformen ist die bessere Vergleichbarkeit der AbschlĂŒsse, eine Verbesserung der MobilitĂ€t sowie eine effizientere QualitĂ€tssicherung innerhalb eines europĂ€ischen Bildungsraums. In der Schweiz hat die Umsetzung der Reformen dazu gefĂŒhrt, dass die Hochschulkantone einen Teil ihrer Kompetenzen an die Schweizer UniversitĂ€tskonferenz (SUK) abgetreten haben. Das gemeinsame Organ von Bund und Kantonen kann im Bereich der Hochschulpolitik nun Entscheide fĂ€llen, welche fĂŒr alle beteiligten Kantone und UniversitĂ€ten bindend sind (SUK 2003). Die Harmonisierung der StudiengĂ€nge ermöglicht zudem den direkten Leistungsvergleich (Benchmarking) zwischen den UniversitĂ€ten. So arbeitet denn die SUK auch an einem entsprechenden Ranking-System (SUK 2004).
Dezentralisierung der operativen FĂŒhrung, strategisches Management auf Vertragsbasis, Marktorientierung und Erhöhung der Konkurrenz zwischen Institutionen, Benchmarking zur QualitĂ€tskontrolle sowie vermehrte private Finanzierung: Dies alles sind Massnahmen, die dem Geist des NPM entsprechen. Oftmals wird ihre EinfĂŒhrung vom Diskurs der Effizienzsteigerung begleitet. Kosteneinsparungen stehen dabei im Vordergrund, da der finanzielle Input am einfachsten zu messen ist. Qualitative Aspekte dagegen sind oftmals schwer fassbar und werden ungenĂŒgend berĂŒcksichtigt. Es besteht zudem das Risiko, dass politische Entscheide im technischen Diskurs der Effizienz-Debatte nicht mehr als solche erkannt werden. Im Folgenden sollen daher anhand von Erfahrungen in verschiedenen Staaten die sozio-ökonomischen Auswirkungen von NPM-inspirierten Massnahmen beleuchtet werden.
Die MĂ€r von der Dezentralisierung
Oftmals wird die Trennung von strategischer FĂŒhrung und operativem Management als Autonomiegewinn fĂŒr die Institutionen dargestellt und mit Dezentralisierung gleichgesetzt. Damit soll besser auf die lokalen BedĂŒrfnisse und nicht zuletzt auch auf die Anliegen der Studierenden eingegangen werden können. Doch der Schein trĂŒgt: Der Dezentralisierung der operativen FĂŒhrung steht hĂ€ufig eine Zentralisierung der strategischen FĂŒhrung gegenĂŒber. Die EinfĂŒhrung von Marktmechanismen bedarf einer verstĂ€rkten Harmonisierung, d.h. der Gleichschaltung aller Institutionen. Die Spielregeln â Zulassungsbedingungen, StudiengebĂŒhren, usw. â sowie hĂ€ufig auch das Gesamtbudget werden vermehrt zentral definiert. In traditionell dezentralen Systemen fĂŒhrt dies zu einer zunehmenden Zentralisierung des Bildungssektors. So beschĂ€ftigen sich an belgischen UniversitĂ€ten die Rektoren zunehmend mit der Umsetzung der strategischen Vorgaben zentraler Instanzen sowie mit der Anpassung ihrer Institution an die neu definierten Standards (Charlier/Mons 2003). Die Managerialisierung der Hochschulleitung kann denn auch eine verstĂ€rkte Zentralisierung der Verwaltung innerhalb der UniversitĂ€ten nach sich ziehen, da der Finanzierungsfluss davon abhĂ€ngt, wie rasch man sich an die strategischen Vorgaben anpasst (Deer 2003). Die vermehrte Einbindung von Studierenden in die Entscheidungsprozesse entpuppt sich als Trugbild.
Globalbudgets erlauben es der zentralen Entscheidungsinstanz, die Sparschraube anzuziehen, ohne ĂŒber die politischen Auswirkungen Rechenschaft ablegen zu mĂŒssen. Die operative Umsetzung erfolgt zeitlich verzögert. Die BudgetkĂŒrzungen werden zum technischen Problem der Institutionen, die um ihr Ăberleben auf dem Markt kĂ€mpfen mĂŒssen und sich eine politische Debatte nicht leisten können. Von diesem Mechanismus hat die britische Regierung profitiert, um das Budget der tertiĂ€ren Bildung drastisch zu kĂŒrzen. Die UniversitĂ€tsleitungen werden so zu simplen Verwaltern des Budgetlochs (cf. Deer 2003). Auch in Frankreich, das traditionell ĂŒber ein zentralisiertes UniversitĂ€tssystem verfĂŒgt, hat die sogenannte Dezentralisierung die Autonomie der UniversitĂ€ten nur auf dem Papier vergrössert. Die Zentralregierung hat nicht nur die operativen Freiheiten der Hochschulen durch den gesetzlichen Rahmen stark eingeschrĂ€nkt, sondern lĂ€sst es sich auch in Zukunft nicht nehmen, mittels Steuerungsmassnahmen und an spezifische Auflagen geknĂŒpfte Budgets direkt in deren FĂŒhrung einzugreifen (Musselin/Mignot-Gerard 2003). Einzige Neuerung: Die planwirtschaftliche Steuerung erfolgt heute mittels Marktmechanismen, welche die politischen Fragen entpolitisieren, denn die Umsetzung ist ja nunmehr Sache der einzelnen Institutionen.
Der Mythos des Marktes
Der Markt ist in unserer Gesellschaft der Archetyp einer dezentralisierten Entscheidungsstruktur. Obwohl die Grenzen des Marktes hinlĂ€nglich bekannt sind, werden Marktmechanismen immer wieder als Patentlösung prĂ€sentiert. Im Zeitalter der Globalisierung soll der Bildungsmarkt und der Markt fĂŒr das sogenannte Humankapital möglichst international sein. Zwar hat der vermehrte internationale Austausch zwischen Studierenden, Dozierenden und ArbeitnehmerInnen sicherlich einen positiven Einfluss auf die BildungsqualitĂ€t und damit auf die Wissensproduktion, doch dĂŒrfen wir nicht die Augen davor verschliessen, dass die Einrichtung eines Bildungsmarktes auch eine Ăffnung ganz anderer Art nach sich zieht: Die Nachfrage auf dem Bildungsmarkt ist finanzieller Natur und wird durch die Vermarktwirtschaftlichung des Bildungssektors vermehrt auch von privater Seite gebildet. Die strategischen Entscheide im Bildungssektor werden daher nicht nur vom Staat oder durch dessen Delegation im Rahmen von âVoucherâ-, Stipendien- und Darlehen-Systemen von Studierenden bestimmt, sondern zunehmend auch von privaten Akteuren, die entweder ein Interesse haben, Studieninhalte nach ihrem Geschmack mitzugestalten, oder ganz einfach die UniversitĂ€t als Marketing-Plattform nutzen möchten. Neben dem Zentralisierungseffekt aufgrund der Kapitalkonzentration in der Gesellschaft trĂ€gt der globale Konkurrenzkampf dazu bei, dass sich die UniversitĂ€ten vermehrt an einigen erfolgreichen Vorbildern, wie Harvard oder Berkeley, ausrichten und sich eine Vereinheitlichung der Bildungslandschaft abzeichnet. Eine Ă€hnliche Wirkung haben globale QualitĂ€tsindikatoren, welche in der Marktlogik als Ersatz fĂŒr strategische Ziele dienen und weder demokratisch legitimiert, noch von unvorhergesehenen strategischen Manövern verschiedener Akteure gefeit sind (Aufpeppen von Zitationslisten, Aufsplitten von Publikationen, einseitige Ausrichtung auf bestimmte Indikatoren, etc.).
WĂ€hrend die AnhĂ€nger einer Marktlösung im Markt den besten Garanten fĂŒr eine effiziente Allokation der Ressourcen sehen, verweisen Skeptiker darauf, dass der Bildungsmarkt alles andere als ein perfekter Markt ist: Erstens sind Investitionen in Humankapital kaum rĂŒckgĂ€ngig zu machen und nur beschrĂ€nkt an neue Gegebenheiten anpassbar. Studierende haben daher wenig Möglichkeiten, ihre Studienwahl nach einigen Jahren ohne grössere Verluste auf neue Rahmenbedingungen auszurichten. Dieses Problem wird dadurch verschĂ€rft, dass die Informationslage in Bezug auf die lĂ€ngerfristige RentabilitĂ€t der einzelnen StudiengĂ€nge unzulĂ€nglich ist. Zweitens sind Investitionen in Humankapital mit positiven ExternalitĂ€ten fĂŒr die Gesellschaft verbunden, welche eine staatliche Teilfinanzierung verlangen. WĂ€hrend die staatliche Finanzierung zur Deckung des kollektiven Nutzens von Bildung theoretisch so gestaltet werden kann, dass sie kaum einen Einfluss auf das Funktionieren des Bildungsmarktes hat, ist dies bei der Verfolgung des Ziels der Chancengleichheit und im Rahmen einer Umverteilungspolitik im Bildungssektor nicht möglich. FĂŒr solche Probleme gibt es keine Marktlösung. Der Staat muss daher steuernd eingreifen. Und drittens orientiert sich weder die Bildungsnachfrage der Studierenden genĂŒgend am kĂŒnftig erwarteten Gehalt, noch reagieren die UniversitĂ€ten ausreichend auf die studentische Nachfrage, um eine durch die Humankapitaltheorie postulierte Ausrichtung des Bildungsangebots auf die Nachfrage am Arbeitsmarkt sicherzustellen (Leroux 2003).
âCost Sharingâ
âCost Sharingâ ist die euphemistische Bezeichnung fĂŒr die ĂberwĂ€lzung von Bildungskosten, die bis anhin vom Staat getragen wurden, auf die privaten Nutzniesser der Bildung: die Studierenden und ihre Familien. Als ideologische Grundlage des âCost Sharingâ dient die Humankapitaltheorie, welche Bildungsausgaben primĂ€r als private Investitionen betrachtet, was deren öffentliche Finanzierung in Frage stellt. Die Rendite dieser Investitionen hĂ€ngt vom erzielten Lohn am Arbeitsmarkt ab. Als rational handelnde Akteure wĂŒrden demnach Studierende Bildungsleistungen nur in Anspruch nehmen, wenn sie davon ausgehen können, dass die Investition langfristig rentabel ist. Durch eine erhöhte Beteiligung der Studierenden an der Bildungsfinanzierung wĂŒrde erreicht, dass sie effizienzbewusster studieren.
Ein weiteres Argument, das von den BefĂŒrwortern des «Cost Sharing» gern vorgebracht wird, ist der Verweis auf die regressive Wirkung des bestehenden Finanzierungssystems aufgrund der ĂŒberdurchschnittlichen Beteiligung von Studierenden aus gut betuchten Familien. Angesichts der mangelnden Chancengleichheit und der schichterhaltenden Wirkung des universitĂ€ren Bildungssystems stellt sich die Frage der LegitimitĂ€t staatlicher Subventionen. Eine elegante Lösung bestĂ€nde darin, die Nutzniesser selbst zur Kasse zu bitten. Ob damit ein gerechteres System erreicht wird, ist allerdings fraglich. Das tertiĂ€re Bildungssystem dĂŒrfte kaum die treibende Kraft der Schichterhaltung darstellen, sondern wird dazu höchstens instrumentalisiert, genauso wie es im Rahmen der Politik der Chancengleichheit dazu benutzt wird, die soziale MobilitĂ€t zu fördern. AllfĂ€llige Reformen mĂŒssen daher daraufhin untersucht werden, ob sie die RegressivitĂ€t des Systems tendenziell erhöhen oder vermindern. Dabei darf sich die Analyse jedoch nicht auf die Ausgabenseite allein beschrĂ€nken. Das universitĂ€re Bildungssystem ist vor allem auch deshalb regressiv, weil die ProgressivitĂ€t der Einkommenssteuer aufgrund von Schlupflöchern im Steuersystem, Steuerflucht und Steuerbetrug limitiert ist. Durch die Erhöhung der StudiengebĂŒhren lĂ€sst sich dieser Missstand nur beschrĂ€nkt beheben, denn die Schwierigkeit besteht darin, dass weniger gut betuchte Studierende oftmals kaum ĂŒber die Mittel verfĂŒgen, neben dem Studium fĂŒr den Lebensunterhalt aufzukommen, geschweige denn, die gesamten Ausbildungskosten zu tragen. Um dieses Problem zu entschĂ€rfen, werden Stipendien und staatlich subventionierte Darlehenssysteme ins Leben gerufen, die natĂŒrlich ihrerseits auch Schlupflöcher und Betrugsmöglichkeiten bieten. Die Existenz breit angelegter UnterstĂŒtzungssysteme steht ĂŒberdies im Gegensatz zum erklĂ€rten Ziel der Effizienzsteigerung. Zudem scheint das zunehmende âCost Sharingâ in der Hochschulfinanzierung einige ungewollte Nebeneffekte zu haben, die umso stĂ€rker ins Gewicht fallen, je mehr sich der Staat aus der Finanzierung der tertiĂ€ren Bildung zurĂŒckzieht.
Erfahrungen aus den USA, Grossbritannien, Neuseeland und Australien zeigen, dass Finanzierungssysteme, bei denen die RĂŒckzahlung der Darlehen unabhĂ€ngig vom tatsĂ€chlichen Lohn erfolgt, zur Diskriminierung von gesellschaftlichen Gruppen fĂŒhren, die im Hinblick auf Chancengleichheit eigentlich gefördert werden mĂŒssten: ethnische und religiöse Minderheiten, sozial schwĂ€chere Bevölkerungsschichten, alleinerziehende Frauen, usw. Zudem ist in den USA die Tendenz zur Segregation auszumachen. Studierende aus reichen Familien besuchen vermehrt private UniversitĂ€ten mit hohem Prestige und ebenso hohen GebĂŒhren, wĂ€hrend Studierende aus Ă€rmeren Schichten in den staatlich finanzierten Community Colleges mit bescheidenerem Ruf zunehmend unter ihresgleichen sind.
Zweifel gibt es auch bezĂŒglich der FĂ€higkeit von Studierenden, die Kosten ihrer Verschuldung und den kĂŒnftig zu erwartenden Lohn richtig einzuschĂ€tzen: GemĂ€ss einer amerikanischen Studie unterschĂ€tzen 78% der Studierenden die Kosten des Studien-Darlehens und besonders die stark verschuldeten Studierenden tendieren dazu, ihr kĂŒnftiges Einkommen ĂŒberzubewerten. Im Durchschnitt liegt der geschĂ€tzte Lohn 30% ĂŒber dem reell zu erwartenden Wert (King/Frishberg 2001), und die Mehrheit der ehemaligen Studierenden wĂŒrde sich im Nachhinein weniger Geld fĂŒrs Studium leihen (Baum/OâMalley 2003). In allen vier erwĂ€hnten Staaten, in denen die Umsetzung der NPM-Reformen im Hochschulbereich besonders fortgeschritten ist, ist die studentische Verschuldung im Steigen begriffen. Zu den Schulden aus dem Studium kommen oftmals auch noch Kreditkartenschulden. Die Kultur der Verschuldung, durch die konsequente Umsetzung der Humankapitaltheorie gefördert, hat nicht nur negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation der StudienabgĂ€nger, sondern erhöht auch die Gefahr, dass Darlehen nicht zurĂŒckbezahlt werden können und der Staat vermehrt in die LĂŒcke springen muss.
In Australien und Neuseeland haben steigende Studien-gebĂŒhren zudem den Emigrationsdruck erhöht: FĂŒr hoch verschuldete StudienabgĂ€nger besteht ein starker Anreiz, in LĂ€nder auszuwandern, in denen sie mit höheren SalĂ€ren rechnen können. So trĂ€gt dieses PhĂ€nomen in Neuseeland massgeblich zum Personalmangel im Pflegebereich bei. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass der Staat im Endeffekt einen Teil der im Bildungsbereich eingesparten Kosten in Form von Personalkosten wird tragen mĂŒssen. Die QualitĂ€t der staatlichen Leistungen steht auf dem Spiel. So hat zum Beispiel die American Bar Association bereits Alarm geschlagen, da die Verschuldung bis zu 66% der Jus-Studierenden davon abhalte, eine staatliche Karriere einzuschlagen, da die SalĂ€re des öffentlichen Dienstes es nicht mehr erlaubten, die Darlehen binnen nĂŒtzlicher Frist zurĂŒckzuzahlen, nachdem die StudiengebĂŒhren sich zwischen 1992 und 2002 mehr als verdoppelt haben. Der Lohndruck dĂŒrfte auch die UniversitĂ€ten treffen, die sehr stark auf Humankapital angewiesen sind. Allerdings ist zu erwarten, dass es eine Generation dauern wird, bis solche Kostenverlagerungen bei den staatlichen Personalkosten vollstĂ€ndig spĂŒrbar werden.
Kommerzialisierung
Die Vermarktwirtschaftlichung der höheren Bildung und der schleichende RĂŒckzug des Staates aus der Hochschulfinanzierung birgt die Gefahr einer zunehmenden Kommerzialisierung. UniversitĂ€ten, die sich allzu sehr kommerziell ausrichten, werden kaum mehr in der Lage sein, ihre gesellschaftliche Funktion wahrzunehmen. WĂ€hrend bestimmte Formen der Kommerzialisierung vor allem darauf abzielen, die UniversitĂ€t als Plattform fĂŒr Marketing und Vertrieb zu nutzen, haben es gewisse Unternehmen auf die Einflussnahme bei der Festlegung von Lehrinhalten abgesehen. Bisweilen sind gar LehrstĂŒhle und Departementleitungen kĂ€uflich (Shaker/Doherty-Delorme 1999). Solche AuswĂŒchse stellen die UnabhĂ€ngigkeit von Forschung und Lehre in Frage und kommen einer Absage an die akademische Freiheit gleich. Es ist zudem mehr als fraglich, ob unsere Gesellschaft UniversitĂ€ten braucht, die, jeglicher Reflexion beraubt, Grosskonzernen und MultimilliardĂ€ren hörig sind. Denn so wenig wie wir eine Gesundheitsforschung brauchen, die von Philip Morris gesponsert wird, brauchen wir einen NestlĂ©-Lehrstuhl fĂŒr ErnĂ€hrungswissenschaft, einen CrĂ©dit-Suisse-Lehrgang fĂŒr Entwicklungszusammenarbeit oder ein Roche-Studium fĂŒr Kartellrecht. Mag ein derartiger Ausverkauf im Bildungsbereich fĂŒr Schweizer VerhĂ€ltnisse unwahrscheinlich erscheinen [1], so sei hier doch der Warnung halber angemerkt, dass in bestimmten angelsĂ€chsischen LĂ€ndern, die auch von Lobbygruppen der Schweizer Wirtschaft in Sachen Bildungspolitik gern als Vorbilder zitiert werden, die zunehmende Kommerzialisierung der UniversitĂ€ten nur mehr Schulterzucken hervorruft.
NatĂŒrlich fĂŒhrt die Anwendung von NPM-Methoden nicht unvermeidlich zur Kommerzialisierung oder gar zur Privatisierung der tertiĂ€ren Bildung. Doch liefert die Idealisierung des Marktes die ideologische Basis dazu und fĂŒhrt zu einem nachhaltigen Wertewandel innerhalb des Bildungssektors, wĂ€hrend die angestrebten Reformen kaum geeignet sind, die Effizienz des Bildungswesens zu steigern oder das System bĂŒrgernĂ€her zu gestalten.
Beat Estermann absolviert an der UniversitĂ€t Genf ein Masters of Public Administration. Der vorliegende Text beruht vorwiegend auf zwei Seminararbeiten. Der Autor hat zudem bei der Erstellung einer LiteraturĂŒbersicht zum Thema der ZustĂ€ndigkeit des Staates im Bereich der Hochschulbildung und der akademischen Forschung mitgewirkt: Schoenenberger, Alain , "Are Higher Education and Academic Research a Public Good or of Public Responsibility?". In: Proceedings of the Conference on Public Responsibility for Higher Education and Resear ch, Europarat (in Vorbereitung).
Anmerkung:
[1] In verdeckter Form scheint die Einflussnahme der Wirtschaft auf die Forschung in der Schweiz bereits heute in kaum vertretbarem Ausmass stattzufinden. So hat Philipp Morris bis vor kurzem die Forschung des ehemaligen Professors der UniversitĂ€t Genf Ragnar Rylander zu den Auswirkungen des Passivrauchens finanziell gefördert. Kleines Detail: Die kommerzielle Bindung hat den Professor offenbar dazu verleitet, im Rahmen seiner Arbeiten zu den Auswirkungen des Passivrauchens auch vor betrĂŒgerischem Vorgehen nicht zurĂŒckzuschrecken. Wie aus den Gerichtsakten zu entnehmen ist, haben sich sowohl die UniversitĂ€t Genf als auch die Genfer Justiz schwer damit getan, den Betrug als solchen zu identifizieren, was die Frage aufwirft, ob das System ĂŒberhaupt in der Lage ist, sich vor unziemlichen Einflussnahmen seitens kommerzieller Interessen zu schĂŒtzen. Siehe: http://www.prevention.ch/ryju151203.pdf
Literaturauswahl:
New Public Management:
Osborne, T. / Gaebler, D. (1992) Reinventing Governement: How the Entrepreneurial Spirit is Transforming the Public Sector. Reading MA : Addisson-Wesley.
Mönks, J. (1998) âLa nouvelle gestion publique: boĂźte Ă outils ou changement paradigmatique?â. In La pensĂ©e comptable, sous la direction de M. Hufty, Les nouveaux cahiers de lâIUED No. 8, Paris : PUF, 1998, pp. 77-90.
Schweizer Hochschulpolitik:
AKW (2004), Neue Wege zur Hochschulfinanzierung, Arbeitskreis Kapital und Wirtschaft. http://www.economiesuisse.ch/d/Studie_Bildung.pdf
BfS (2003) Hochschulindikatoren, Bundesamt fĂŒr Statistik, NeuchĂątel.
SUK (2003) Kommentar zu den Bologna-Richtlinien, Schweizerische UniversitÀtskonferenz, 4. Dezember 2003.
NPM im Hochschulbereich:
Charlier, Jean-Emile/Mons, FĂ©dĂ©ric (2003) âGĂ©rer des universitĂ©s en Belgique francophoneâ. Sciences de la sociĂ©tĂ©, no. 58, fĂ©vrier 2003: Les universitĂ©s Ă lâheure de la gouvernance.
Deer, CĂ©cile (2003) âChangements politiques et Ă©volution des pratiques de gouvernance universitaire en Angleterreâ. Sciences de la sociĂ©tĂ©, no. 58, fĂ©vrier 2003.
Leroux, Jean-Yves (2003) âLa licence professionnelle et lâavenir des universitĂ©sâ. Sciences de la sociĂ©tĂ©, no. 58, fĂ©vrier 2003.
Musselin, Christine / Mignot-GĂ©rard, StĂ©phanie (2003) âLâautonomie, pas Ă pasâ. Sciences de la sociĂ©tĂ©, no. 58, fĂ©vrier 2003.
Studentische Verschuldung:
Baum, S., OâMalley, M. (2003) College on Credit: How Borrowers Perceive their Education Debt. Results of the 2002 National Student Loan Survey. Final Report of the National Student Loan Survey, Nellie Mae Corporation, Braintree MA. http://www.nelliemae.com/library/nasls_2002.pdf
Brown, Eileen/Matthews Rebecca (2003) The Impact of Student Debt on Nurses: An Investigation, New Zealand University Studentsâ Association and New Zealand Nurses Organisation. http://www.nzno.org.nz/SITE_Default/SITE_Current_Issues/x-files/1907.pdf
Callender, C. (2003) Attitudes to Debt: School leavers and further education studentsâ attitudes to debt and their impact on participation in higher education. A report for Universities UK and HEFCE by Professor Claire Callender, South Bank University. http://www.universitiesuk.ac.uk/bookshop/downloads/studentdebt.pdf
King, T./Frishberg, I (2001) Big Loans, Bigger Problems: A Report on the Sticker Shock of Student Loans, Washington DC: The State Pirgs Higher Education Project. http://www.pirg.org/highered/studentdebt/finaldebtreport.pdf
Pearse, H. (2003) The social and economic impact of student debt, Research Paper, Council of Postgraduate Associations Incorporated, March 2003. http://www.uow.edu.au/wupa/impact_of_student_debt.pdf
Kommerzialisierung :
Bok, Derek (2003) Universities in the Marketplace: The Commercialization of Higher Education, Princeton University Press.
Shaker, Erika/Doherty-Delorme, Denise (1999) âPrivate Money, Private Agendasâ. Higher Education Ltd., Vol. 1 N4.
< Préc | Next > |
---|