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kinderlosigkeit in der schweiz

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Bildung und Erwerbsorientierung von Frauen im Prozess der Familienbildung

In der Schweiz zeichnet sich in den letzten Jahren als besonderes Merkmal des allgemeinen Geburtenrückganges ein zunehmender Trend in Richtung Kinderlosigkeit ab. Auch im öffentlichen Diskurs wird diesem Teilaspekt der demografischen Entwicklung zunehmend Beachtung geschenkt. Allerdings wurde bis anhin das Phänomen der Kinderlosigkeit auf empirischer Ebene in der sozialwissenschaftlichen Forschung eher selten behandelt. Demgegenüber ist innerhalb der familiensoziologischen Forschung in der Schweiz eine Vielfalt von Untersuchungen über den Geburtenrückgang zu finden, die im Allgemeinen einen negativen Einfluss von Bildung und Erwerbsorientierung der Frauen auf deren generatives Verhalten belegen. Trotz diesen Befunden bleibt unklar, inwieweit Bildung und Erwerbsorientierung, als persönliche Ressourcen der Frauen, hinsichtlich deren frei gewählten Kinderlosigkeit von Bedeutung sind.

SOZ-MAG Beitrag von Maurizia Masia

Kind oder Karriere?

Die Gründung einer Familie (im eingeschränkten Sinne die Geburt des ersten Kindes) stellt im Leben einer Frau ein zentrales Ereignis dar. Denn eine potenzielle Mutterschaft hat oftmals eine signifikante Veränderung der sozialen Position und der Lebensorganisation zur Folge. Bereits die Einbindung ins Bildungssystem beeinträchtigt wesentlich die Entscheidungsfindung des Timings der Mutterschaft im Lebenslauf von Frauen (Blossfeld & Jaenichen 1993). Dabei stellt nach Becker (1991) sich insbesondere bei erwerbsorientierten Frauen die Frage des Kosten-Nutzen-Verhältnisses der Mutterschaft sowie die Frage der optimalen Zeitallokation von Beruf und Familie, da sich die Geburt eines Kindes - auf Grund der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung innerhalb der Familie - zunächst auf die Kostenseite der Mutter niederschlägt. Ausserdem bedeutet die Geburt des ersten Kindes oftmals auch eine Erwerbsunterbrechung (Lauterbach 1994). Mit der Familiengründung müssen vor allem Frauen vermehrt ihre eigenen Lebenspläne und Lebenschancen in Verbindung mit institutionellen und betrieblichen Rahmenbedingungen überdenken. Denn der Kinderwunsch wird nach von Rosenstiels (1978) sozialpsychologischem Ansatz erst dann realisiert, wenn den Kindern ein instrumenteller Nutzen zum Erreichen der subjektiven Ziele beigemessen wird. Dabei bewerten Frauen den Kinderwunsch in Funktion der jeweiligen situationalen und normativen Bedingungen: Frauen können einen Kinderwunsch haben, der jedoch nicht verwirklicht wird, solange ein Kind das Erreichen beruflicher Ziele beeinträchtigt. Besonders erwerbsorientierte Frauen können so in einen Konflikt geraten: Bei einer Familiengründung müssen sie entweder das Aufziehen eines Kindes zurückstellen oder Einbussen in der Erwerbskarriere in Kauf nehmen (Fux 1992; Huinink 1995; Lauterbach 1994). Ausserdem stehen Frauen in ihrer Planung unter Zeitdruck, denn das Timing der Familiengründung unterliegt biologischen Schranken. Ausgehend von diesen grob skizzierten Erklärungsansätzen lässt sich annehmen, dass im Lebensverlauf einer Frau die Entscheidungsfindung für oder gegen eine Mutterschaft durch einen andauernden Konflikt zwischen ökonomischer Überlegungen und der traditionellenr Familienrolle bestimmt wird. Eine Mutterschaft kann somit je nach Bildungsgrad und Erwerbsorientierung negative Konsequenzen für den Lebensentwurf haben, so dass Frauen möglicherweise ganz auf Kinder verzichten.

Methodisches Vorgehen

Im Rahmen meiner Forschungsarbeit erfolgten sämtliche Auswertungen mittels Sekundäranalysen. Die Grundlage dafür bildete der Datensatz des "Mikrozensus Familie Schweiz 1994/95" (Fertility and Family Survey, Bundesamt für Statistik, Neuenburg, Schweiz). Dabei handelt es sich einerseits um einen retrospektiven Datensatz, in welchem Familiensituation und Lebensverlauf (z.B. Bildungs- und Berufsverlauf) erfasst wurden. Andererseits umfasst diese Datenbasis auch Querschnittdaten zur sozioökonomischen Lage und über Einstellungen, Überzeugungen, Werthaltungen und Normen der Frauen hinsichtlich Beruf und Familienplanung, Familie und Kinder sowie des Kinderwunsches. Es wurden insgesamt 5964 Personen befragt, davon 3881 Frauen, wobei die Grundgesamtheit aus der ständigen Wohnbevölkerung der Schweiz der Geburtsjahrgänge 1945 bis 1975 bestand.

Gestützt auf diese Datenbasis wurde die Wirkung der persönlichen Ressourcen von Frauen unter Einbezug von unterschiedlichen Kultur-, Herkunfts- und Kontextmerkmalen sowohl auf das Timing der Mutterschaft als auch auf den Kinderwunsch empirisch überprüft. Zur Auswertung der Daten diente als statistisches Verfahren einerseits die Methode der Cox-Regression. Dieses ereignisanalytische Verfahren (vgl. z.B. Blossfeld & Jaenichen 1993) eignete sich insbesondere zur Bestimmung der empirischen Beziehung zwischen Bildungs-, Erwerbsverlauf und dem Zeitpunkt der Familiengründung von Frauen. Andererseits wurden aus einer Querschnittbetrachtung mithilfe des AnswerTree-Verfahrens die Wirkungen von Bildung und Erwerbsorientierung der Frauen auf den Kinderwunsch überprüft. AnswerTree ist ein heuristisches, hypothesengenerierendes Verfahren, bei dem die Frauenstichprobe anhand vorgegebener kategorialer Prädiktoren (z.B. Bildung, Erwerbsorientierung usw.) ihrem Kinderwunsch entsprechend in verschiedene Teilpopulationen eingeteilt und in einer übersichtlicher Baumstruktur erfasst werden.

Das "perfekte" Timing

Ausgehend von den Ergebnissen der Ereignisanalyse führen im Allgemeinen ein zunehmendes Bildungsniveau sowie eine zunehmende Beteiligung der Frauen am Bildungssystem zu einem erheblichen Aufschub der Familiengründung. Neben dem Einfluss der Bildung spielt jedoch auch das Berufsprestige der Frauen eine wesentliche Rolle: Ein höheres Berufsprestige verzögert das Timing der Mutterschaft deutlich. Zudem erzeugen die unterschiedlichen Einflüsse der Bildung und des Berufsprestiges auch signifikante Kohorteneffekte: Der Zeitpunkt der Familiengründung wird von der ältesten Kohorte zur jüngsten Kohorte vermehrt aufgeschoben. Im Kohortenvergleich deutet dieser Befund auf eine Divergenz hin, die möglicherweise auf den Anstieg der Bildungs- und Erwerbsbeteiligung der Frauen zurückzuführen ist. Die damit verbundenen verbesserten Bildungs- und Berufschancen für die Frauen öffnen zunehmend den Zugang zu prestigeträchtigeren Berufen. Dadurch gewinnt die Erwerbstätigkeit selbst mit dem damit verknüpften beruflichen Status, vermittelt durch das Bildungsniveau, im Familienbildungsprozess der Frauen vermehrt an Bedeutung. Entsprechend bekommt die Bildung und die Erwerbsorientierung der Frauen im Prozess der Familienbildung einen zentralen Stellenwert.

Allerdings zeigt sich, dass neben den bildungs- und berufsspezifischen Errungenschaften auch weitere Einfluss-faktoren den Familiengründungsprozess entscheidend beeinflussen. Als herkunftsabhängiges Merkmal der Frauen verzögert insbesondere eine höhere Bildung des Vaters die Familiengründung. Dies kann möglicherweise dadurch erklärt werden, dass die bildungsspezifischen Ressourcen von Vätern eng mit der beruflichen und sozialen Position verknüpft sind und das Bildungs-, Berufs- und Fertilitätsverhalten der Kinder prägen. Ferner ergeben sich bedeutende Effekte des Stadt/Land- und des sprachregionalen Kontextes. Dabei lässt sich die verzögernde Wirkung des städtischen Kontextes auf den Zeitpunkt der Familiengründung teilweise durch die differente erwerbs-, bildungs- und kulturspezifische Angebots- und Bevölkerungsstruktur der Stadt gegenüber dem Land erklären. Die bedeutenden unterschiedlichen Einflüsse des sprachregionalen Kontextes - Frauen aus der Deutschschweiz zögern die Familiengründung länger hinaus - können wahrscheinlich auf verschiedene kulturelle Werthaltungen in der deutschen und lateinischen Schweiz gegenüber der Mutterschaft und der Familie zurückgeführt werden. Darüber hinaus beschleunigt die Heirat die Verwirklichung des Kinderwunsches erheblich. Dieser Befund legt den Schluss nahe, dass in der Schweiz die Heirat für die Frauen immer noch eine wichtige Voraussetzung für eine Elternschaft darstellt. Darin spiegelt sich eine eher traditionelle Gesinnung der Frauen bezüglich der Familienplanung. Allerdings ist im Kohortenvergleich bemerkenswert, dass sich ein Trend abzeichnet, wonach trotz Heirat eine Elternschaft vermehrt aufgeschoben wird und Paare folglich länger kinderlos bleiben.

Der Kinderwunsch kinderloser Frauen

Die Ergebnisse der AnswerTree-Analyse verdeutlichen, dass der Kinderwunsch von kinderlosen Frauen in erster Linie durch die im Bildungs- oder Erwerbssystem verbrachte Zeit bestimmt wird. Mit zunehmender ausserhäuslicher Erwerbstätigkeit steigt der Anteil an kinderlosen Frauen ohne Kinderwunsch an: 92% der kinderlosen Frauen, die einer Ausbildung nachgehen, 77% der Vollzeiterwerbstätigen, 62% der Teilzeiterwerbstätigen und 36% der Hausfrauen haben keinen aktuellen Kinderwunsch. Darüber hinaus scheint der Bildungsgrad von erwerbstätigen kinderlosen Frauen insgesamt keine direkte signifikante Wirkung auf den Kinderwunsch zu haben. Ausserdem erweist sich das Alter der kinderlosen Frauen für die Erfassung des Kinderwunsches als ein wichtiges Kriterium: Vier Fünftel der 19- bis 30- und zwei Drittel der 31- bis 43-jährigen möchten kein Kind. Diese Differenzen zwischen der jüngsten und der älteren Alterskohorte deuten darauf hin, dass bei vollzeiterwerbstätigen Frauen altersbedingte Einflüsse den Kinderwunsch oder die Bereitschaft zur Mutterschaft entscheidend prägen. Dies lässt sich vermutlich auf die unterschiedlichen Lebensphasen von Frauen der jüngeren im Vergleich zur älteren Alterskohorte zurückführen, welche im Hinblick auf eine Mutterschaft auch mit anderen gesellschaftlichen Erwartungen verknüpft sind.

Interessanterweise spielen Wertvorstellungen über die Mutterschaft oder über Familie und Partnerschaft im Hinblick auf die Bewertung des Kinderwunsches eine bedeutende Rolle: Von den vollzeitorientierten kinderlosen Frauen über dreissig Jahren mit einem eher traditionellen Mutterbild haben 60% keinen Kinderwunsch, währenddem dieser Anteil bei den Frauen mit einem modernen Mutterbild auf 75% steigt. Dieser Befund lässt sich vermutlich auf vorherrschende normative individuelle und gesellschaftliche Leitbilder über die Mutterschaft deuten, wonach insbesondere bei vollzeiterwerbsorientierten kinderlosen Frauen, die eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf anstreben, die Mutterschaft keine Selbstverständlichkeit darstellt. Ausserdem wird der Kinderwunsch von teilzeiterwerbstätigen Frauen je nach Wertvorstellungen über Partnerschaft und Familie unterschiedlich wahrgenommen: 81% der kinderlosen Frauen ohne Kinderwunsch vertreten eher moderne Werthaltungen, während dieser Anteil bei eher traditionell gesinnten Frauen auf 54% fällt. Dieser Unterschied lässt sich wahrscheinlich vor allem auf die kulturellen Leitbilder und Geschlechterarrangements kinderloser Frauen zurückgeführt werden. Traditionalistische Rollenvorstellungen scheinen die Familiengründung zu begünstigen. Allerdings variiert dieser Befund auf der Stadt-Land-Achse: Eine ländlich geprägte Wohnsituation bei traditionell gesinnten kinderlosen Frauen erhöht die Bereitschaft zur Mutterschaft eher respektive scheint kinderlosen Frauen zur Mutterschaft zu motivieren.

Das Timing verpassen

Auf der Grundlage der empirischen Erkenntnisse ist somit ersichtlich, dass sowohl die Bildung als auch die Erwerbsorientierung der Frauen im Familienbildungsprozess eine bedeutende Rolle spielen, wobei die Wirkung von alters-, herkunfts-, zivilstands- und kontextbezogenen Merkmalen von Frauen nicht zu vernachlässigen sind. Ferner verweisen die Befunde auf eine Unvereinbarkeit von Erwerbs- und Familienorientierung der Frauen hin. Zum einen haben hohe persönliche Ressourcen der Frauen eine erheblich verzögernde Wirkung auf den Zeitpunkt der Familienbildung, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Frauen das Timing verpassen und kinderlos bleiben. Zum anderen trägt eine verstärkte Erwerbsorientierung der Frauen in Verbindung mit einem modernen Rollen- und Mutterschaftsverständnis zum negativen Kinderwunsch bei. Es gibt somit Indizien dafür, dass die Ausbildungs- und Erwerbsstrukturen in der Schweiz eher auf ein Nur-Mutterdasein ausgerichtet sind. Frauen, die sowohl eine Familien- als auch eine Berufsorientierung anstreben, sehen sich mit ungünstigen Rahmenbedingungen konfrontiert. Faktisch können erwerbsorientierte Frauen eine potenzielle Mutterschaft dann als ein Risiko wahrnehmen, wenn sie einen Ausschluss vom Berufsleben befürchten. Es entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen Familie und Beruf, das sich möglicherweise als Quelle von Konflikten entpuppt. Die Auswirkungen solcher Konflikte führen letztlich entweder zum Verzicht auf eigene Kinder oder zur Einbusse von Chancen, familiale mit beruflichen Orientierungen zu vereinbaren. Unter diesen Gesichtspunkten kann mit Blick auf die Kinderlosigkeit abschliessend erkannt werden, dass die Konstellation von hohen persönlichen Ressourcen und verstärkter Erwerbsbezogenheit, verknüpft mit einer modernen Wertorientierung, die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Frauen im Lebenslauf gänzlich auf Kinder verzichten.

Maurizia Masia studiert seit dem WS 1998/99 Soziologie, Politikwissenschaft und Betriebswirtschaft an der Universität Zürich. Grundlage für den Artikel bildet ihre Forschungsarbeit mit dem Titel "Kinderlosigkeit in der Schweiz: Eine empirische Untersuchung über den Einfluss von Bildung und Erwerbsorientierung von Frauen auf die Kinderlosigkeit", die sie im Rahmen ihres Hauptstudiums der Soziologie verfasst hat.

Literaturauswahl

Baumgartner, Doris / Fux, Beat (1998): Wandel der Lebensformen: Lebensverläufe, Lebensentwürfe. Zürich: Uni Verlag.
Becker, Gary S. (1991): A treatise on the Family. Cambridge: Harvard University Press.
Blossfeld, Hans-Peter / Jaenichen, Ursula (1993): Bildungsexpansion und Familienbildung. In: DIEKMANN, Andreas / WEICK, Stefan (Hrsg.): Der Familienzyklus als sozialer Prozess - Bevölkerungssoziologische Untersuchungen mit den Methoden der Ereignisanalyse. Berlin: Duncker und Humblot. S. 165-193.
Fux, Beat (1992): Familie contra Beruf: divergierende Orientierungen. In: HOFFMANN-NOWOTNY, Hans-Joachim; HÖHN, Charlotte; FUX, Beat (Hrsg.): Kinderzahl und Familienpolitik im Drei-Länder-Vergleich. Boppard am Rhein: Harald Boldt-Verlag. S. 120-149
>Höpflinger, François (1997): Bevölkerungssoziologie: Eine Einführung in bevölkerungssoziologische Ansätze und demographische Prozesse. Weinheim und München: Juventa Verlag.
Huinink, Johannes (1995): Warum noch Familie? Zur Attraktivität von Partnerschaft und Elternschaft in unserer Gesellschaft. Frankfurt und New York: Campus Verlag.
Lauterbach, Wolfgang (1994): Berufsverläufe von Frauen: Erwerbstätigkeit, Unterbrechung und Wiedereintritt. Frankfurt und New York: Campus Verlag.
Rosenstiel von, Lutz (1978): Zur Motivation des generativen Verhaltens. Theoretische Konzepte und Untersuchungsansätze. In: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft 4, 2, S. 161-173.

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«Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.»

Ludwig Wittgenstein (1980 [1921]): Tractatus logico-philosophicus. In: Wittgenstein, Ludwig: Schriften. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 83.