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Alternativen - WIDERSPRUCH 50

Passend zur Jubiläumsausgabe des soz:mag hat auch die Zeitschrift WIDERSPRUCH allen Grund zum Feiern: Die Redaktion kann auf 25 Jahre Zeitschriftenarbeit zurückblicken und hat nun das 50. Themenheft unter der Aufbruchsparole „Alternativen!“ herausgebracht. WIDERSPRUCH antwortet auf die Losung neoliberaler Politik „There is no alternative“ (Thatcher) mit kritischen Analysen, Gegenentwürfen und Alternativkonzepten im wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Bereich.

Von Barbara Meili

Den Einstieg in die neuste Ausgabe des Widerspruch macht Elmar Altvater, ehemaliger Professor für politische Ökonomie an der FU Berlin und Autor zahlreicher globalisierungsund kapitalismuskritischer Schriften. Als Gegenvorschlag zur vorherrschenden Wirtschaftspolitik skizziert Altvater Konturen einer solidarischen Ökonomie, deren Grundlage ein sich aktiv einbringender Staat ist. Altvater bescheinigt den vielfältigen Ansätzen solidarischen Wirtschaftens zwar noch kein sehr grosses Gewicht – immerhin zeigen sie aber auf, dass Prinzipien wie Solidarität und Fairness praktisch umsetzbar sind und neben dem neoliberalen Credo durchaus Handlungsalternativen bestehen. Die gemeinsame Stossrichtung dieser Alternativen liegt für Altvater im Ersatz fossiler durch erneuerbare Energien: „Lebens- und Arbeitsweise der Menschen“ sind ihm zufolge stets „im Kontext des Energiesystems“ zu sehen.

Wie Elmar Altvater weist auch Arnold Künzli auf die Einengung des wirtschaftlichen Diskurses hin, der auf die Unwiderruflichkeit des neoliberalen Weges pocht, und entlarvt den Glauben daran als durch unterschwellige Interessen beeinflusst: „Was als überpersönlicher Wert oder als eine Allgemeingültigkeit beanspruchende Wahrheit proklamiert wird, ist oft recht profanen Ursprungs“. Seine einleitende Feststellung der Auswirkungen unbewusster Motive auf unser Denken verknüpft Künzli in der Folge mit einer aufschlussreichen Abhandlung über Adam Smiths Konzept der Unsichtbaren Hand. In einer psychographischen Analyse will der Autor ergründen, wie die Vorstellung der Existenz eines Mechanismus, der automatisch alles zum Besten wendet, in Smiths Denken Eingang gefunden hat – ein eigenwilliger Artikel, der dem Geheimnis der Unsichtbaren Hand auf ungewöhnliche Art und Weise auf die Spur zu kommen versucht.

Frigga Haug und Claudia von Werlhof stellen die Frage nach Alternativen nicht nur im Hinblick auf die Wirtschaft, sondern auch auf die Geschlechterfrage. Ausgehend von einer Darlegung der Konfliktlinien zwischen der Frauenbewegung und linken Organisationen formuliert Haug in ihrem Artikel die Zielsetzungen feministischer Kapitalismuskritik. Sie fragt, wie ein linkes Projekt unter Einschluss eines feministischen Erbes aussehen könnte, das flexibel auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren und der Unterdrückung von Frauen praktisch entgegen wirken könnte. Haug führt an, dass Geschlechterverhältnisse Produktionsverhältnisse sind und als solche in den Blick genommen werden müssen. Feministische Kapitalismuskritik soll ihr zufolge nicht länger isoliert werden, sondern als ein Beitrag zur Veränderung der Gesamtgesellschaft verstanden und so wieder stärker in den linken Diskurs eingebunden werden.

Von Werlhof verfolgt in ihrem Beitrag eine ähnliche Stossrichtung: Sie fragt, ob überhaupt Alternativen zum herrschenden System bestehen können, solange sich diese nicht entschieden kritisch gegen das Patriarchat wenden. Auch sie problematisiert also das Verhältnis zwischen feministischen Forderungen und linker Politik und kritisiert dabei insbesondere, dass die Linke dem Patriarchat – verstanden als die Tiefenstruktur des Kapitalismus – bislang verhaftet geblieben sei. Weshalb „die Linken“ der Utopie des kapitalistischen Patriarchats nachhängen, geht aus von Werlhofs Artikel indes nicht hervor.

Neben weiteren Beiträgen, die sich mit Wirtschaft, Politik und Feminismus befassen, steht Marc Rufers Artikel „Neuromythologie und die Macht der Psychiatrie“ thematisch relativ im Abseits. Seine durch Foucault inspirierte Analyse problematisiert die Deutungsmacht des neurobiologischen Denkstils. Er fordert eine Entmedizinalisierung der Psychiatrie – ohne aber die Existenz physiologischer Grundlagen psychischer Vorgänge in Abrede zu stellen. Ziel der Forderung ist, von Zwang und Gewalt befreite, dem Individuum gerecht werdende Hilfe leisten zu können, ohne Probleme durch psychiatrische Diagnosen vorschnell zu schubladisieren oder durch die Verabreichung von Psychopharmaka zu übertünchen.

Im Diskussionsteil wird die Neuformierung der Linken thematisiert, wobei die Beiträge ähnliche Stossrichtungen verfolgen wie die vorangehenden Artikel, die Problemstellungen und Perspektiven sich aber teilweise konkret auf die Schweiz und Deutschland beziehen. Trotz vieler spannender, facettenreicher Artikel stellt WIDERSPRUCH 50 ein etwas enges Spektrum von Alternativen vor, die sich grösstenteils auf die Wirtschaftspolitik bzw. die herrschende neoliberale Ideologie beziehen. Angesichts der Dominanz des wirtschaftlichen Diskurses und dessen Übergreifen auf andere Bereiche mag dies zwar gerechtfertigt erscheinen – es trägt aber wiederum dazu bei, recht einseitig die Ökonomie als das wichtigste gesellschaftliche System zu sehen.

WIDERSPRUCH 50: Alternativen!

228 Seiten, Fr. 25.–, Euro 16.–

Im Buchhandel oder bei WIDERSPRUCH, Postfach, CH- 8026 Zürich, Tel./Fax 00 41 (0)44 273 03 02, » Email

www.widerspruch.ch

 

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«Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.»

Ludwig Wittgenstein (1980 [1921]): Tractatus logico-philosophicus. In: Wittgenstein, Ludwig: Schriften. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 83.