Die Kultursoziologie der Ware und das Auto
Die Märkte sind gesättigt, die Waren austauschbar, die Qualitäten nivelliert: Was einmal der «Gebrauchswert» der Produkte war, spielt kaum noch eine Rolle. Die Konsumsoziologie geht davon aus, dass sich die Waren in Zeichen verwandelt haben, und angesichts dieser «Semiotisierung des Konsums» scheint sich auch der Gebrauchswert aufgelöst zu haben, der den Marxisten noch als einzige Wahrheit der Ware galt. Ein vorschneller Abschied: Gerade die euphorische Symbolik der Produkte als Zeichen von Luxus, Freiheit und Liebe legitimiert sich immer wieder durch die technisch-praktischen Eigenschaften der Dinge. Zum Schicksal des Gebrauchswerts und zur kulturellen Anatomie der Ware – eine theoretische Recherche mit etwas Praxis an der Hauptsache des Konsums, dem Personenwagen.
SOZ-MAG Beitrag von Daniel Di Falco
Der Horror der Marxisten ist Wirklichkeit geworden. Wo man auch hinsieht in der Warenwelt von heute: Bohnenkaffees versprechen soziales Ansehen, Versicherungen halten Familien zusammen, Waschmittel erlösen uns von der Kümmernis des Alltags. Die Dinge haben sich mit Bedeutung aufgeladen, in den Einkaufskörben liegen Wunder, und wenn man den Konsumsoziologen glaubt, dann werden die Dinge vor allem dieser Bedeutungen wegen gekauft.
Genau das galt den marxistischen Theoretikern als Obszönität des fortgeschrittenen Kapitalismus, als «totale Verkehrung» (Lindner 1977). Sie glaubten zu wissen, was die Konsumenten wünschen. Während es dem Verkäufer ums Verkaufen gehe, um den «Tauschwert» der Dinge, sei der Käufer am «Gebrauchswert» interessiert und an nichts anderem – an den praktischen, technischen, materiellen Eigenschaften der Produkte. Marx (1953) hatte den Gebrauchswert als «stoffliche Seite» der Dinge definiert, die der «Befriedigung irgendeines Systems menschlicher Bedürfnisse» dient; der Gebrauchswert war die Wahrheit der Ware, die Moral des Konsums und auch die Referenz der Theorie. Verpackung hingegen, Gestaltung, Werbung, Image – alles, was über den Gebrauchswert hinausging, war den marxistischen Kritikern nicht Sein, sondern falscher Schein der Ware: «Die Logik des Tauschwertstandpunktes, die absurd anmutet, hat ihren Höhepunkt dann erreicht, wenn die Kapitalfunktionäre und ihre Apologeten den Gebrauchswertschein (...) zum Element eines erweiterten Nutzenbegriffs (...) erheben» (Lindner 1977).
Das Verschwinden des Gebrauchswerts
Image also, das zum Konsumgut wird; Konsumenten, die den «Gebrauchswertstandpunkt» aufgeben und sogar für den Schein der Ware zahlen – ausgerechnet das scheint in der Konsumgesellschaft alltäglich geworden zu sein. «Alle Konsumobjekte werden Konsumzeichen. Der Verbraucher ernährt sich mit Zeichen.» Das hatte Henri Lefebvre, wiewohl Marxist, schon 1968 bemerkt. Er untersuchte das «Alltagsleben in der modernen Welt» und stiess dabei auf das «Doppelleben» des kommerziellen Objekts: Neben den Gebrauchswert war das «Imaginäre» getreten, und diese symbolische Aufladung und Verwandlung war gleichermassen Teil des Konsums geworden.
Was Lefebvre diagnostiziert hat, ist heute Standard in der Theorie. «It has become quite usual for sociologists to suggest that when individuals in contemporary society engage with consumer goods they are principally employing them as ,signs‘ rather than as ,things‘», erklärt etwa Campbell (nach Jäckel 2004). Dasselbe zeigt auch ein Blick in die aktuellen Einführungen in die Konsumsoziologie. So spricht Wiswede (2000) vom «Zurücktreten des Gebrauchswerts von Gütern und deren Aufladung mit symbolischen Gehalten» als Tendenz, die bis heute anhält.
Folgt man manchen Diagnosen, dann scheint sich angesichts dieser «Semiotisierung des Konsums» (Haubl 1992) der Gebrauchswert ganz und gar aufgelöst zu haben. Hellmann (2004) definiert den Konsum als «Veranstaltung, bei der es in erster Linie auf die Erwartungen, Bedeutungen und Botschaften ankommt, die sich auf den Konsum der Produkte richten und nicht auf diese selbst». Das heisst, dass «der Grundnutzen im Vergleich zum Zusatznutzen fast jede Relevanz verloren» hat. Und Schulze erklärt, Waren würden «immer weniger danach beurteilt, was sie objektiv sind, immer mehr jedoch danach, wie sie subjektiv wirken (...). Das Produkt selbst erscheint vielfach geradezu als Nebensache » (nach Jäckel 2004). Die aufgeregtesten Meldungen vom Verschwinden des Gebrauchswerts kommen freilich aus dem kunst-, medien- und kommunikationstheoretischen Diskurs. Da wird von der postmodernen Konsumgesellschaft als einem «Hypersystem» berichtet: Darin könne «eine Ware, ein Produkt – befreit vom inhärenten, profanen Gebrauchswert – eine vollkommen neue, manipulierbare und manipulierende Rolle in Bezug auf seine Inhalte und unsere Erwartungen und Bedürfnisse spielen» (Hollein 2002).
Wozu der Fertigkuchen frische Eier braucht
Zweifellos: Der Gebrauchswert als Kaufkriterium hat an Bedeutung eingebüsst. Welche Rolle er aber behalten oder neu übernommen haben könnte, darüber wurde bis jetzt kaum nachgedacht. Dabei sticht seine anhaltende Präsenz schon auf Anhieb ins Auge: Die «selbstregulierende Hinterachs- Luftfederung», die «exzellente Bildauflösung» oder die «variable Basisverzinsung» – solche Dinge zählen nach wie vor zum Register der Konsumkultur, wie der Blick auf die Werbeseiten jeder beliebigen Illustrierten zeigt.
Zudem unterhält der Gebrauchswert der Ware weiterhin enge Beziehungen zu ihrem Zeichenwert. So gibt es technische Eigenheiten an den Produkten, die nicht etwa technisch funktionieren, sondern symbolisch. Zum Beispiel die Fixfertigkuchenmischung, von der Jäckel (2004) spricht: ein perfektes Produkt, an dem nichts fehlt – und doch wird der Nutzer angewiesen, noch ein frisches Ei in den Teig zu schlagen. Ohne diesen an und für sich überflüssigen Zusatz, so hatten Untersuchungen am Markt gezeigt, liegen die Instantkuchen wie Blei in den Regalen: Die Käufer haben offenbar «keine rechte Bäckerfreude», wenn sie nicht selber Hand anlegen und das Fertig- zum Frischprodukt veredeln können. Ganz offensichtlich sind Gebrauchswerte keine Tatsachen, die durch ihre blosse Materialität ihren Zweck vollständig erfüllen, sondern kulturelle Produktionen, die erst in symbolischer Funktion zu Wirklichkeit und Wirkung kommen. Das heisst aber, dass sich der Gebrauchs- vom Zeichenwert nicht so einfach unterscheiden lässt, wie das manche Theoretiker behaupten. Brewer (1997) beispielsweise erklärt, in der Konsumgesellschaft würden die Waren auf eine Weise mit Bedeutung versehen, «dass die Konsumenten nicht mehr die Objekte und Waren selbst, sondern Bilder (simulacra) von ihnen wahrnehmen und erleben». Da erscheinen die «Objekte und Waren selbst» als reine Medien, die sich beliebig Bedeutungen anverwandeln könnten.
Dagegen sprechen schon die frischen Eier, auf welche die Idee des Kuchens ganz handfest angewiesen ist. Offenbar spielt der Gebrauchswert weiter eine Rolle auf der Bühne des Konsums. Die Konsumsoziologie weiss davon freilich kaum etwas: Sie hat den Gebrauchswert eilfertig verabschiedet, und auch die Objekte, die dem Konsum überhaupt erst die Gegenstände liefern, kommen in der Theorie praktisch nicht vor (eine Ausnahme: Gries 2003). Schon Linde beklagte 1972 die «Sachvergessenheit» der Soziologie. Er sprach im Namen der Stadt- und Techniksoziologie, doch sein Befund gilt auch für die gegenwärtige Konsumsoziologie. Sie geht zwar von der «Semiotisierung» der Dinge aus, hat aber wenig Ahnung von diesen Dingen. Worin besteht die «kulturelle Konsistenz der Konsumgüter» (McCracken 1998)? Was geschieht mit den Waren, wenn sie Zeichen werden? Und wie steht es um den Gebrauchswert, der sich so restlos nicht verflüchtigt hat?
Sahlins und die «praktische Vernunft»
Antworten findet man ausserhalb des Fachs. Marshall Sahlins hat sich, als Ethnologe, auch mit der westlichen Gegenwart beschäftigt. In seiner Studie «Kultur und praktische Vernunft » (1981, zuerst 1976) untersucht er die kulturelle Logik der kapitalistischen Produktion. Er stellt dabei fest, dass sich die ökonomische Rationalität über die Ökonomie hinaus verbreitet hat. Die Prinzipien von Nützlichkeit und Profitmaximierung sind absolut geworden, und das ist die Herrschaft der «praktischen Vernunft», die Sahlins meint: Die Ökonomie erscheint «als das vergegenständlichte Resultat des praktischen Verhaltens und nicht als eine gesellschaftliche Organisation der Dinge». Allerdings können weder Nützlichkeit noch Profitmaximierung die konkrete Produktion erklären. Warum die Amerikaner keine Hunde essen, Rinder aber wohl, warum Männer Hosen tragen und keine Röcke, warum die Dinge also einen bestimmten Gebrauchswert haben und keinen anderen – an solchen Fragen scheitert die «praktische Vernunft» mit ihrem Anspruch, die Welt aus objektiven Bedingungen und natürlichen Bedürfnissen zu verstehen.
Das betrifft auch die gängige Vorstellung vom Gebrauchswert. Sahlins insistiert darauf, «dass die gesellschaftliche Bedeutung eines Gegenstands, die ihn für eine bestimmte Kategorie von Menschen zu einem nützlichen macht, genauso wenig aus seinen physischen Eigenschaften ersichtlich ist wie der Wert, der ihm im Tausch beigemessen werden kann. Der Gebrauchswert ist nicht weniger symbolisch oder beliebig als der Warenwert, denn die ,Nützlichkeit‘ ist keine Qualität des Gegenstands, sondern eine Bezeichnung der objektiven Qualitäten. » Natürlich bestreitet Sahlins nicht, dass die Dinge eine Physis haben. Sie deckt sich aber nicht mit dem, was die «praktische Vernunft» als Gebrauchswert ausgibt. Er ist keine Eigenschaft der Dinge, sondern eine «Bezeichnung» dieser Eigenschaften: Er stellt sie dar.
Barthes und die «Semantik des Objekts»
Dass es sich beim Gebrauchswert um eine Form von Bedeutung handelt, davon spricht auch der Semiotiker Roland Barthes. In seiner Untersuchung über die «Semantik des Objekts» (1988, zuerst 1966) stellt er fest, dass noch der profanste Gegenstand stets auch symbolisch ist: «Alle Objekte, die einer Gesellschaft angehören, besitzen einen Sinn; um sinnfreie Objekte zu finden, müsste man sich vollständig improvisierte Objekte vorstellen; doch in Wirklichkeit gibt es keine (…). Man kann sich zum Beispiel vorstellen, dass ein Clochard, der aus Zeitungspapier Schuhe improvisiert, ein völlig freies Objekt produziert; aber nicht einmal dem ist so; sehr rasch wird dieses Zeitungspapier gerade zum Zeichen des Clochards werden. Im Grunde wird die Funktion eines Objekts immer zumindest zum Zeichen dieser Funktion (…). Zum Beispiel kann ich noch so wirklich auf das Telefonieren angewiesen sein und dazu ein Telefon auf meinem Tisch haben; in den Augen mancher Personen (…) wird dieses Telefon als Zeichen fungieren, als Zeichen dafür, dass ich ein Mensch bin, der in seinem Beruf auf Kontakte angewiesen ist (...).»
Mit Barthes kommt man also zur selben Dekonstruktion des Gebrauchswerts wie Sahlins: Wenn es sinnfreie Objekte überhaupt nicht gibt, dann ist auch die Vorstellung unsinnig, dass es rein materielle, von kulturellen Deutungen und gesellschaftlichen Definitionen unabhängige Eigenschaften der Dinge geben könne. Gebrauchs- und Zeichenwert sind also gleichermassen symbolische Dimensionen der Sachen. Darüber hinaus bemerkt Barthes, dass es eine Hierarchie zwischen diesen beiden Dimensionen gibt: Der Gebrauchswert gilt als das Primäre an den Dingen, der Zeichenwert als das Sekundäre. «Gemeinhin definieren wir das Objekt als ,etwas, das zu etwas dient‘. Das Objekt geht folglich auf den ersten Blick vollständig in seinem Verwendungszweck auf, in dem, was wir als Funktion bezeichnen.»
Gebrauchsding ist der Apparat, wenn er dem Telefonieren dient; Zeichending, wenn er Geschäftigkeit und soziale Vernetztheit symbolisiert. Gegenüber dem Zeichen- scheint das Gebrauchsding aber ursprünglicher, elementarer, substanzieller: «Das Objekt, das uns einen Sinn suggeriert, bleibt (...) in unseren Augen immer ein funktionelles Objekt (…). Wir denken, dass ein Regenmantel zum Schutz gegen den Regen dient, selbst wenn wir ihn als das Zeichen für eine Wetterlage lesen. Der Sinn ist immer ein kulturelles Faktum, ein kulturelles Produkt; doch in unserer Gesellschaft wird dieses kulturelle Faktum ununterbrochen naturalisiert, zurückverwandelt in Natur (…). Ich glaube, gerade diese Umkehrung der Kultur in Pseudonatur kann die Ideologie unserer Gesellschaft definieren.»
Das Symbolische, das als «Schauspiel einer Funktion» erscheint: Barthes beschreibt hier nichts anderes als das Wirken von Sahlins’ «praktischer Vernunft» am Objekt. Entscheidend ist dabei die «Naturalisierung», jener Effekt, der aus der Hierarchie von Zeichen- und Gebrauchswert wächst. Dass das Telefon einen bestimmten Beruf und sozialen Rang bedeutet, ist eine blosse Konvention. Sie erscheint aber umso natürlicher, als diese übertragene Bedeutung des Objekts auf seiner wörtlichen beruht: Die soziale Symbolik erscheint als Verlängerung der technischen Funktionalität. (Barthes erklärt das semiotisch: mit dem Mechanismus von Denotation und Konnotation.)
Der Werkzeugcharakter legitimiert also die Symbolik; er tilgt das Beliebige der Bedeutung, den historisch-politischen Charakter des sozialen Sinns der Sachen. Unter den Bedingungen des semiotisierten Konsums ist er zwar zum entscheidenden Kriterium von Herstellung und Verbrauch geworden – doch die Dinge machen sogleich vergessen, dass dieses «kulturelle Faktum» (Barthes) ein kulturelles ist.
Der soziale Sinn des Autos
So weit die Theorie. Illustrieren lässt sie sich an jenem Ding, das Lefebvre als «totales Objekt» und «Haupt-Sache» der Konsumgesellschaft bezeichnet: am Auto. Wo aber wird die Bedeutung der Dinge manifest? Sie sind, für sich genommen, stumm und asozial. Öffentlich wird ihre Symbolik vor allem in der Werbung. Hier werden die Produkte serienmässig mit Symbolik ausgestattet, hier kondensiert soziale Deutung zu Bedeutung an den Dingen, und erst damit ist die Produktion vollendet. In einer Fachprogrammarbeit habe ich die Autoreklame in deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften der Jahre 2001 bis 2005 untersucht. Ein erster Befund: Entgegen der Diagnose vom Verschwinden des Gebrauchswerts kommt hier auch das reine Gebrauchsding vor. Die Werbung konfektioniert ununterbrochen Bedeutung, die allein die praktischen, technischen, ökonomischen Parameter ihres Gegenstands betrifft. «Testsieger», sagt sie beispielsweise vom Nissan X-Trail, und dann folgen, vor dem Preis, allerhand technische Spezifikationen – Motorenleistung, Vierradantrieb, Sicherheitseinrichtung; ganz im Geist der «praktischen Vernunft». Immer wieder ist das Auto reines Instrument, Fahr-Zeug eben, und geht dabei nicht über das hinaus, was bei Barthes der wörtliche Sinn der Dinge ist.
Daneben existiert das Auto vor allem als Objekt mit beiden Dimensionen von Bedeutung. Zweiter Befund: Wo er kann, beruft sich der Zeichenwert auf Gebrauchswerte. Drei elementare Muster von sozialer Symbolik lassen sich am Auto unterscheiden, und jedes baut auf dessen technisch-praktischer Logik auf.
Freiheit
Die Werbung inszeniert das Auto als Vehikel von Entgrenzung und Befreiung. Am Steuer überwindet der moderne Mensch die Zumutungen des Alltags; das Auto entführt ihn aus dem Gehege seiner regulierten Existenz und lässt ihn zu sich selber kommen. Das gilt vorzugsweise für Sport- und Geländewagen. «Raus aus dem Büro, rein in die Natur» – so funktioniert ein Jeep: weg mit dem krawattierten Dasein, auf zur wilden Fahrt durch einen dichten Forst. Die Ford-Fahrerin hat derweil ihren Wagen auf dem weissen Sand parkiert, das Bürokostüm am Strand gelassen und schreitet nun in ein Türkismeer, das ihr schon bis zum Knöchel reicht: «Am Sonntagnachmittag habe ich entschieden, den Montag abzuschaffen. »
Wenn das Auto Fort- und Wegbewegung bedeutet, Freiheit und Entfaltung, so sind dafür Geschwindigkeit und Motorenleistung elementar. Zum Beispiel «die dynamische Kraft von 210 PS und der unbändige Schub von bis zu 300 Nm Drehmoment» bei einem Saab. Wer hier einsteigt, muss auf nichts verzichten: «Für Kompromisse keinen Platz.» Beim Geländewagen ist es der Vierradantrieb. Er befreit von der Bindung ans Strassennetz – und von sozialen Konventionen: «Sie suchen abseits aller eingefahrenen Wege eine neue Herausforderung, möchten dabei aber auch Fahrkultur pur erleben? » (Volvo).
Wir stehen hier vor einem Moment der «Naturalisierung» (Barthes). Während die Werbung das Auto zunächst durch seine Fahrleistung definiert, verlängert sie diese umgehend über das Technische hinaus: Physische steht für soziale Mobilität. Geländegängigkeit sprengt die Limiten konventioneller Lebenswege, Geschwindigkeit überwindet die Gravitation der gesellschaftlichen Verhältnisse; so macht die technisch-praktische Logik das Freiheitsversprechen evident. Pferdestärken und Tempo, aber auch Geräumigkeit werden zum Ausweis für die Emanzipationsleistung, die dem Auto zugeschrieben wird: «Einen neuen Seat Toledo zu besitzen heisst, sich nicht auf die üblichen Optionen im Leben zu beschränken. Denn er ist erstens eine ausgesprochen sportliche Limousine und verfügt zweitens über ein verblüffendes Platzangebot.»
Intimität
Das Auto bringt die Menschen nicht nur woanders hin: Es bringt und hält sie auch zusammen. Immer wieder steht es im Zentrum persönlicher Verhältnisse; als Mitte kleiner sozialer Universen, als Stifter und Stärker zwischenmenschlicher Beziehungen.
Dazu braucht es gar nicht unbedingt zu fahren. Zum Glück affektiver Nähe genügt schon die Privatsphäre in seinem Innern: Abgekapselt von der Welt, kommen sich die Nächsten näher. Das gilt für Freunde und Liebende, aber auch für die Familie in ihrem Opel: «Kinder brauchen Platz», im Leben wie im Auto, doch «nicht überall hat man so viel Platz wie im Sharan», und optional gibt es dazu ein «Family-Paket», mit «integriertem Kindersitz, Ablagenpaket und Gepäcknetz». So verleiht auch hier die Werbung der technischen Ausstattung einen sozialen Sinn. Sie macht den Wagen zum Familienwagen und rationalisiert dabei den Zeichen- durch den Gebrauchswert: Das Familienglück sitzt eben gern bequem.
Nicht umsonst nennt Berns (2001) Autos «veloursgefütterte Beziehungskisten»: «In diese Menschenfutterale sind die überkommenen Muster unserer sozialen Kernformationen – das Paar und die Kleinfamilie – per Sitzanordnung eingemuldet wie Pralinen in die Schachtel.» Heute ist der Wagen freilich so beschaffen, dass man meinen möchte, er antworte auf die Verflüssigung sozialer Figurationen und biografischer Phasen. So erscheint der Toyota Corolla Verso wie eine fahrende Miniatur der Multioptionsgesellschaft: ein «7-Plätzer mit 5 modularen Sitzen».
Distinktion
Das Auto bedeutet persönliche Freiheit und affektive Intimität, und drittens steht es für soziale Distinktion: Der Wagen hilft seinem Besitzer, sich in der gesellschaftlichen Hierarchie zu verorten und dem angestrebten Lebensstil gerecht zu werden. So gibt es das Distinktionsvehikel zum Beispiel auch als Kleinwagen für Kleinanlegerinnen: «Für die Konkurrenz war es ein schwarzer Freitag», heisst es über den Toyota Yaris. Doch die Werbung produziert Distinktion vorwiegend für jene Kundschaft, die die Konkurrenz bestimmt. «Übernehmen Sie die Führung», rät Mercedes- Benz, gibt seinem Auto den Namen «Challenge» und rüstet es mit weiterem Vokabular und Accessoires der Teppichetage aus: «Am Steuer einer E-Klasse besetzen Sie dank ihrer überdurchschnittlichen technischen Qualifikation (BAS, SBC™, ASR, ESP®, 4MATIC, Dieselpartikelfilter, Natural Gas Technology NGT, Aktives Kurvenlicht, Airmatic, 7G-TRONIC und vieles mehr) ohnehin schon eine verantwortungsvolle Spitzenposition. Im Sondermodell ,Challenge‘ kommen Sie darüber hinaus noch in den Genuss attraktiver, geldwerter Fringe Benefits: Parktronic, Parameterlenkung, grösserer Tank, Durchlademöglichkeit und Metallic-Lackierung.»
So verspricht das Auto, die gesellschaftlichen Ambitionen des Fahrers zu repräsentieren und ihn an die Spitze des Wettbewerbs zu bringen. Und auch dieses Versprechen wird durch Gebrauchswerte garantiert. «Vorsprung durch Technik» heisst ein Slogan von Audi, und genau das ist die Logik des Distinktionsvehikels, bei dem die technische zur sozialen Bedeutung wird. Das zeigen gleich mehrere Sondermodelle von Mittelklassemarken, die «Executive» heissen und sich damit als Dienstwagen für die Durchsetzungskräftigen und Entscheidungskompetenten empfehlen. Der Ford Mondeo Executive bietet ein «sequenzielles Automatikgetriebe Durashift 5-tronic», der Lancia Lybra Executive «satinierte Aluminium-Armaturen», und auch der Seat Toledo Executive ist «prestigeträchtig aufgewertet» mit «elektrisch verstellbaren Alacantara- Ledersitzen». Solche Eigenschaften naturalisieren die Funktion der gesellschaftlichen Positionierung, die dem Auto zugesprochen wird: Im «Schauspiel» (Barthes) der Gebrauchswerte verschwindet der zutiefst soziale Charakter der Distinktion. Genau das ist sie, die «Umkehrung der Kultur in Pseudonatur» – als läge soziale Unterscheidung im Wesen von Alcantara-Leder.
Rationalisieren und romantisieren
In einer bestimmten «Verdopplung von ,Sinn‘» erkennt Fischer (2004) einen Grundzug der kapitalistischen Kultur: Sie steht gleichermassen im Zeichen der Aufklärung wie in jenem der Romantik. «In der Aufklärung wird jeder ,Sinn‘ vernünftig, eindeutig, mit rational geordneten und kritisch nachvollziehbaren Verweisungen; in der romantischen Operation wird der ,Sinn‘ zugleich Medium eines vieldeutigen Begehrens, ein bestrickendes Netzwerk sich verschiebender und verdichtender Verweisungen und Verheissungen.» In der Warenwerbung und im Warentest manifestiert sich diese «Doppelung»: Die Werbung, romantisch, macht die Dinge poetisch; der Test, rational, kontrolliert ihren Gebrauchswert – zwei gegensätzliche Logiken, die eine «schwer zu balancierende », eine «unwahrscheinliche Spannung» erzeugen.
«Unwahrscheinlich» – und doch beständig. Mit Barthes zeigt sich weshalb: Die zwei Formen von Bedeutung, die auf der Ebene der Kultur eine Spannung bilden, sind im Innern der Dinge eng miteinander verzahnt. Kein Wunder, hat sich der Gebrauchswert – entgegen der gängigen Diagnose – nicht verflüchtigt in dem Moment, da die Waren Zeichen wurden. Ganz im Gegenteil: Er ist das Scharnier in der kulturellen Produktion der Waren; er sichert ihre Ausstattung mit Symbolik ab, indem er sie an die scheinbar objektive Dimension der Dinge bindet. Die Autowerbung zeigt, dass an der Fabrikation von Freiheit, Intimität und Distinktion stets auch Dinge beteiligt sind wie der «integrierte Kindersitz» oder das «aktive Kurvenlicht»; Gebrauchswerte eben. So produziert die Werbung den sozialen Sinn der Waren – und löst das Soziale daran umgehend im Technisch-Praktischen der Dinge auf. «Ideologie ist Sprache, die ihren wesenhaft kontingenten, zufälligen Bezug zur Welt vergisst», sagt Eagleton (2000). Das «Schauspiel einer Funktion» (Barthes), das die Waren aufführen, ist eine dieser Sprachen.
Daniel Di Falco (1971) ist Kulturjournalist beim «Bund» und studiert Geschichte in Bern. Der Aufsatz geht auf eine Fachprogrammarbeit in Soziologie bei Prof. Dr. Claudia Honegger zurück.
Literaturauswahl:
Barthes, R. (1988): Semantik des Objekts. In: ders.: Das semiologische Abenteuer. Frankfurt a. M.
Berns, J. J. (2001): Himmelfahrten. In: Bilstein, J./Winzen, M. (Hrsg.): Ich bin mein Auto. Köln.
Brewer, J. (1997): Was können wir aus der Geschichte der frühen Neuzeit für die moderne Konsumgeschichte lernen? In: Siegrist, H./Kaelble, H./Kocka J. (Hrsg.): Europäische Konsumgeschichte. Frankfurt a. M./New York.
Eagleton, T. (2000): Ideologie. Stuttgart/Weimar.
Fischer, J. (2004): Warenwerbung und Warentest oder Poetismus und Rationalismus. In: Hellmann, K.-U./Schrage, D. (Hrsg.): Konsum der Werbung. Wiesbaden.
Gries, R. (2003): Die Medialisierung der Produktkommunikation. In: Knoch, H./Morat, D. (Hrsg.): Kommunikation als Beobachtung. München.
Haubl, R. (1992): «Früher oder später kriegen wir euch». In: Hartmann, H. A./ders. (Hrsg.): Bilderflut und Sprachmagie. Opladen.
Hellmann, K.-U. (2004): Werbung und Konsum: Was ist die Henne, was ist das Ei? In: ders./Schrage, D. (Hrsg.): Konsum der Werbung. Wiesbaden.
Hollein, M. (2002): Shopping. In: ders./Grunenberg, C. (Hrsg.): Shopping. 100 Jahre Kunst und Konsum. Ostfildern-Ruit.
Jäckel, M. (2004): Einführung in die Konsumsoziologie. Wiesbaden.
Lefebvre, H. (1968): Das Alltagsleben in der modernen Welt. Frankfurt a. M.
Linde, H. (1972): Sachdominanz in Sozialstrukturen. Tübingen.
Lindner, R. (1977): «Das Gefühl von Freiheit und Abenteuer». Ideologie und Praxis der Werbung. Frankfurt a. M./New York.
Marx, K. (1953): Grundrisse zur Kritik der politischen Ökonomie. Berlin.
McCracken, G. (1988): Culture and Consumption. Bloomington.
Sahlins, M. (1981): Kultur und praktische Vernunft. Frankfurt a. M.
Wiswede, G. (2000): Konsumsoziologie – eine vergessene Disziplin. In: Rosenkranz, D./Schneider, N. (Hrsg.): Konsum. Opladen.
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