Soziologieprofessor Kurt Imhof über seinen langen Weg zur Soziologie, die Erfolgsgeschichte seines Unternehmens fög und seine stetige Medienpräsenz.
Kurt Imhof ist seit 2000 Inhaber einer ordentlichen Professur für Publizistik und Soziologie an der Universität Zürich. Seit 1997 schon ist er zudem Leiter des fög – "Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft", der sich hauptsächlich aus dem Verkauf von Forschungsresultaten finanziert. Zu seinen Kunden zählen unter anderem die UBS, das VBS und die Tamedia AG. Der fög beschäftigt sich mit der Analyse öffentlicher Kommunikation und verfolgt die Entstehung und Entwicklung von Kommunikationsereignissen sowie deren Wirkungen auf politische Organisationen und privatwirtschaftliche Unternehmen. Dahinter steckt das Interesse, den Strukturwandel der Öffentlichkeit zu beschreiben und mögliche Folgen abzuschätzen. Dank seinem Ruf als "Skandalexperte" ist Imhof ein begehrter Interviewpartner für Fernsehen und Zeitungen bei jeder Art von Skandalen und Krisen.
SOZ:MAG Interview: Marcus Habermann und Marc Höglinger
Herr Imhof, Sie sind ja auf Umwegen zur Akademikerlaufbahn gekommen. Nachdem Sie als Hochbauzeichner und BaufĂĽhrer gearbeitet haben, begannen Sie mit einem Studium der Geschichte, der Philosophie und der Soziologie. Was war damals Ihre Motivation noch mit einem Studium zu beginnen?
Ich wurde während den 70ern als knapp 14-Jähriger politisiert und entwickelte da mein Interesse für die moderne Gesellschaft. Ich dachte damals, für die Analyse der Moderne sei das Fach Geschichte am geeignetsten. Es handelte sich also um eine frühe Absicht, eher eigentlich eine träumerische Hoffnung in diesem zarten Alter, weil meine schulischen Leistungen bei weitem nicht ausreichten, um das Gymnasium zu besuchen.
Sie haben aber nach der Lehre dann doch angefangen, auf Ihrem Beruf zu arbeiten.
Ja, allerdings wurde ich zunächst arbeitslos, weil ich direkt auf die erste grosse Baukrise seit den 30er Jahren, nämlich 1976, aus der Lehre kam. Später habe ich dann als Hochbauzeichner und auch als Bauführer gearbeitet. Während der einjährigen Arbeitslosigkeit habe ich begonnen, im Fernstudium die Matura nachzuholen.
Dann haben Sie mit dem Studium der Geschichte begonnen...
Nachdem ich dann mehr oder weniger glĂĽcklich diese Matur bestanden hatte, begann ich mit dem Studium der Geschichte und der Philosophie und - erst im zweiten Nebenfach - mit der Soziologie.
Wie kam es, dass Sie nach Abschluss Ihres Studiums trotzdem am Soziologischen Institut zu arbeiten anfingen?
Das war sozusagen eine Nische. Ich wollte unbedingt in die Forschung, in diesen "Wissenschaftstempel" Universität. Da ich damals auf der schwarzen Liste von Gilgen (zu der Zeit Erziehungsdirektor des Kantons Zürich, Anm. d. Redaktion) figurierte, war ich mit einem Anstellungsverbot belegt und musste die bereits erhaltene Anstellung als Semesterassistent bei der Geschichte aufgeben. Die einzige Möglichkeit war nun die Soziologie. Zum einen war hier eine Stelle frei und zum anderen war ironischerweise ausgerechnet die Soziologie in Zürich bekannt dafür, dass sie die Leute "zähmt". Ich bekam da also eine 25%-Stelle, weil man der Soziologie zutraute, aus diesem sogenannten "linken Aktivisten" einen Staatsbürger zu machen.
Sie wurden dann ja auch gebändigt. Sie sind ja kein linker Aktivist mehr...
Wo kann man dies heute noch sein? Abgesehen davon: das war damals die Aussensicht von mir, das Stigma der schwarzen Liste. Mein Interesse war immer stark theoretisch orientiert, mit durchaus kritischer Absicht. Man kann Gesellschaftstheorie nicht betreiben, wenn man nicht einen kritischen Bezug zur Gesellschaft selbst hat. Diese Form der Reflexion über Gesellschaft war für mich das eigentlich Politische, schon vor, vor allem aber während dem Studium.
Was ist fĂĽr Sie die Aufgabe der Soziologie?
Die Sozialwissenschaften müssen analytische Beschreibungen und kritisches Orientierungswissen anbieten. Die Reflexion sozialer Ordnung kann ja nur geschehen vor dem Hintergrund normativer Massstäbe. Man greift ja etwas bestimmtes heraus und nicht etwas anderes. Diese normativen Massstäbe müssen begründet werden, sonst haben wir es nicht mit einer ernsthaften sozialwissenschaftlichen Tätigkeit zu tun. Und durch diese Begründung hat die Soziologie auch eine orientierende Wirkung. Freilich: Nicht immer, aber im besten Fall.
Ihre universitäre Laufbahn ging ziemlich zielstrebig aufwärts. Wie erklären Sie sich diesen rasanten Aufstieg?
Das ist halt die Eigenschaft von Lebensläufen, zielstrebige Aufwärtsbewegungen abzubilden. Insbesondere natürlich von Lebensläufen, die für die universitäre Karriere aufbereitet werden müssen. Da wird man wohl kaum Gefängnisaufenthalte oder vergleichbare Dinge erwähnen. Aber um ihre Frage trotzdem zu beantworten: Entscheidend ist sicher, dass man nicht im Mittelbau bleiben kann, alles sind Zeitstellen. Dieser Durchlauferhitzerstand "Mittelbau" lässt einem nur schwer eine langfristige wissenschaftliche Existenz zu. Diejenigen, die in der Forschung bleiben wollen, müssen durch die Flaschenhälse Habilitation und Lehrstuhl durch. Für mich war das damals sehr viel stressiger als für andere, weil ich ja einen erheblichen "Altersnachteil" hatte. Der Jugendlichkeitsfetischismus begann damals auch in der Wissenschaft zu greifen. Ich musste mich also beeilen mit Dissertation und Habilitation, um einigermassen wieder diejenigen einzuholen, die auf dem ersten Bildungsweg trabten. Das war entbehrungsreich. Ich würde das kaum noch einmal wiederholen.
Sie waren als Leiter des fög schon recht bald neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit auch Unternehmer. Sie kümmerten sich um organisationelle Aspekte, holten potente Geldgeber herein. Hat Ihnen das bei Ihrer wissenschaftlichen Karriere sehr geholfen?
Ja und Nein. Nein, weil das soziale Feld Wissenschaft auch durch Reinheitsnormen geprägt ist. Ökonomisch relevante Kontakte zu Unternehmen und Behörden gelten deshalb tendenziell als unsittlich. Ja, aber indirekt: Ich glaubte, dass es möglich sein musste, bessere Dinge zu tun denn als Einzelforscher in einer Einzelklause innerhalb der Sozialwissenschaften. Forschung braucht funktionale Differenzierung. Einer allein kann nicht mehr alles. Es braucht Forschungsteams, die einfach leistungsfähiger und kreativer sind als Einzelfiguren. Und am wichtigsten: Ich hatte und habe die Chance mit ausgezeichneten Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten: mit meinen Mitarbeitern. Und nur schon dafür lohnt es sich Geld zu scheffeln.
Vor 3 Jahren nannten Sie in einem Cash-Interview 3 Gründe um in die Wissenschaft zu gehen: Selbstbestätigung, Status und eine interessante Arbeit. Bleiben das die Hauptgründe für Ihre Arbeit als Professor?
Um in der Wissenschaft zu sein, sind das wesentliche Gründe. Aber mein eigentlicher "Triebsatz" war dieser juvenile Berufstraum, das Interesse am Tempel der Wissenschaft. Wissenschaft ist zudem seit der Aufklärung ganz besonders stark mit Status versehen. Dieser Anreiz muss auch mangelnde monetäre Anreize überdecken, weil die wissenschaftliche Laufbahn diesbezüglich nicht attraktiv ist.
Persönliche Befriedigung kann aber Geld ersetzen. Die Forschung bietet Privilegien, die ich nicht mehr missen möchte: sich Gedanken machen zu dürfen, diese zu diskutieren, scheinbar selber über seine Zeit verfügen zu können und vor allem mit guten Leuten für einen selbstgesetzten Zweck zusammen arbeiten zu können.
Freude an der Arbeit mit den Studierenden war leider nicht darunter. Im selben Interview sagten Sie, die Studenten seien "eine Belastung" fĂĽr Sie.
Nicht eine Belastung im Sinne von etwas Lästigem, sondern etwas das mich psychisch umtreibt. Ich bin gerne Lehrender. Allerdings ist die Zahl der Studierenden und derjenigen, die bei mir abschliessen, zu gross. Die Betreuung der Studenten nimmt viel Zeit in Anspruch, aber man hat unter diesen Umständen nicht das Gefühl, seinem Beruf überhaupt genügen zu können. Das liegt selbstverständlich auch am Thema Öffentlichkeitssoziologie, das nicht nur mich interessiert, sondern auch viele andere, und das ist auch eine gute Sache.
Die Lehre hat also eine untergeordnete Rolle gegenüber Ihrer Forschungstätigkeit?
Überhaupt nicht, nein! Die Lehre ist im genannten Sinn belastender als die Forschungstätigkeit. Das macht sie nicht untergeordnet, im Gegenteil. Nochmals: Das Problem ist die Zahl der Leute, und das hat sich auch noch verschärft durch die Doppelprofessur Publizistikwissenschaft / Soziologie. Im Grunde genommen kann man bei diesen Betreuungsrelationen keine gute Arbeit mehr leisten, man versagt zwangsläufig vor den eigenen ethischen Standards. Ich kann nicht mit all den vielen spannenden Leuten sprechen, mit denen ich in Kontakt komme. Man fühlt sich so immer suboptimal. Ich hatte letztes Semester eine Einführungsvorlesung mit 550 Leuten in zwei Sälen - da ringt man um Aufmerksamkeit im Wettbewerb mit Talkshows im Fernsehen und versucht, die Leute für die Wissenschaft zu begeistern. Wenn sie dann nach zwei Stunden verschwitzt und hundemüde wieder draussen stehen, dann meinen Sie eine Ahnung von den Anforderungen zu haben, denen ein Holzhacker ausgesetzt ist. Der Kampf um Aufmerksamkeit ist auch körperliche Arbeit.
Die aktuelle Ausrichtung der staatlichen Forschungsförderung zeigt eine deutliche Tendenz weg von den Sozialwissenschaften. Werden die Sozialwissenschaften einfach nicht angemessen geschätzt, oder besteht Handlungsbedarf bei den Sozialwissenschaften selbst?
"Weg" ist etwas übertrieben, aber die Ungleichrelationen zwischen Natur- und Sozial- bzw. Geisteswissenschaften sind viel zu gross. Ganz unschuldig sind aber die Geistes- und Sozialwissenschaften nicht: Beide sind noch viel zu stark verwurzelt im klassischen wissenschaftlichen Geniekult, der geisteswissenschaftlich orientiert ist: Der Einzelwissenschaftler erkennt die Welt. Sie orientieren sich zu wenig an den Naturwissenschaften, wo Forschung viel stärker teamorientiert ist. Insofern ist naturwissenschaftliche Forschung bezüglich der Forschungsorganisation moderner und effizienter. Auch von der Lobbyorganisation her. Entsprechend kriegen sie viel mehr Geld.
Die Sozialwissenschaften in ihrer unendlichen Vielfalt wären ja eine Bereicherung, aber sie leiden gleichzeitig an ihrer Vereinzelung, an den einzelnen Forscherfiguren, die mehr oder weniger partikuläre Forschung machen und haben so viel weniger Durchsetzungschancen in der Gesellschaft.
Der fög – eine Erfolgsgeschichte
Ist der fög da ein Stück weit ein "Musterbeispiel"? Bei Ihnen stimmen die Finanzen ja.
Am Anfang des fög stand die Idee, eine Art "Kommunikations-CERN" einzurichten, um zu untersuchen, wie neue Kommunikationsereignisse in Medienarenen entstehen und welche Karriere sie haben. Wenn man Gesellschaft als Kommunikation versteht und untersuchen will, dann ist das vornehmste Ziel, die Genese neuer Kommunikationsereignisse, deren Abfolge und ihre Zusammenstösse und Halbwertszeiten untersuchen zu können – ähnlich wie Physiker ihre Elementarteilchen, mit dem nicht unerheblichen Unterschied allerdings, dass "unsere" Elementarteilchen im Sinne des Wortes eigensinnig sind. Dazu braucht es ein Kommunikations-CERN, wo man in der Lage ist, diese Kommunikationsereignisse als einzelne Teilchen zu beobachten, wie sie beschleunigen, wie sie entstehen, wie sie sich verdichten, wie sie andere Kommunikationsereignisse auffressen. So gelangt man zur Struktur und zur Bedingung öffentlicher Kommunikation und nur in dieser lebt das, was wir Gesellschaft nennen.
Um so etwas einzurichten, braucht es viel Geld. Wir haben uns überlegt woher wir das Geld kriegen und sind schnell darauf gestossen, dass die moralische Aufladung der öffentlichen Kommunikation – im übrigen eines der deutlichsten Merkmale im jüngsten Strukturwandel der Öffentlichkeit – die Wahrscheinlichkeit für politische oder wirtschaftliche Organisationen viel grösser macht, öffentlich skandalisiert zu werden. Über ein Früherkennungsinstrumentarium für Behörden und Unternehmen finanzieren wir nun unser Kommunikations-CERN. Wir haben ein Instrument für die Grundlagenforschung, das sich gleichzeitig ökonomisch verwerten lässt. Insofern ist der fög gewissermassen ein Krisengewinnler. In dem Masse wie Organisationen im Rahmen der gegenwärtigen Dynamik der öffentlichen Kommunikation rasche Reputationsgewinne oder –verluste erleiden können, muss die Selbstreflexionsfähigkeit in Wirtschaft und Politik zunehmen. Und hierzu braucht es zwingend neue Beobachtungsinstrumente.
Was genau bieten Sie denn an?
Wir untersuchen, wie Kommunikationsereignisse die Reputation einer prinzipiell beliebigen Organisation beeinflussen. Die Umweltbeobachtung wie die Selbstbeobachtung von diesen Organisationen wird so sehr viel reflexiver. Sie sind viel besser in der Lage, sich im gesellschaftlichen Umfeld wahrzunehmen und dadurch natĂĽrlich richtig und rechtzeitig zu reagieren.
Konnten Sie denn mit solchen Skandalprognosen schon konkrete Erfolge verbuchen?
Ja klar. Sonst würde der fög ja nicht mehr existieren. Aber was sind konkrete Erfolge: der konkrete Erfolg ist die Steigerung des Reflexionsniveaus von Organisationen. In der Wissens- und Mediengesellschaft ist das der entscheidende Faktor. Sie können damit nicht nur gröbere Fehler vermeiden, sie können ihren Raum und ihre Funktionen in der Gesellschaft besser ausfüllen.
Schildern Sie uns doch mal die neuste Skandalprognose fĂĽr die UBS.
Dies würde das Interview sprengen. Aber trotzdem: Eine Grossbank ist ein äusserst interessanter Fall. Reputationsgefährdung oder Reputationserfolg entscheidet über das Schicksal einer Organisation. Bei einer Grossbank haben wir es mit verschiedensten Ebenen zu tun, zunächst einmal die Ebene "Finanzplatz Schweiz". Man kann erklären, warum der Finanzplatz Schweiz weltweit skandalisiert wird und zeigen, warum das Bankgeheimnis unter den seit längerem geltenden Rahmenbedingungen langfristig nicht aufrecht erhalten werden kann. Dann muss die Expertenkultur dieses Finanzplatzes als Ersatz neue kompetitive Vorteile haben. Das ist jetzt eine langfristige Perspektive. Zum Thema Finanzplatz Schweiz gehören natürlich auch die Potentatengelder, Mafiagelder, Drogengelder, ökonomische Infrastruktur von Terrororganisationen etc. Durch den Umstand, dass der Finanzplatz Schweiz, obwohl er zu den "offshore" Finanzplätzen gezählt wird, die höchste Regelungsdichte hat, ist die Aufdeckungsrate ausserordentlich hoch und illuminiert ironischerweise weltweit diesen Finanzplatz immer wieder auf negative Weise. Hinzu kommen die "Schatten" der Vergangenheit: Im Zuge der moralischen Aufladung öffentlicher Kommunikation wird vergangenes Handeln immer mehr an gegenwärtigen moralischen Massstäben bemessen. Das erhöht die Kontingenz ökonomischen Handelns ausserordentlich.
Dann gibt es bei einer Grossbank natürlich auch Reputationsprobleme auf dem Binnenmarkt. Zum grossen Teil selbst verursacht, wie zum Beispiel die Vernachlässigung des retail banking zugunsten des private banking in der Boomphase der 90er Jahre. Oder weil das Faktum aus dem Blick geriet, dass alle Märkte sozial verfasst sind, dass also Marktlogik – wie etwa der Fall Swissair zeigte – durch soziale Logik ummantelt wird. Heute versuchen die Grossbanken, Vernachlässigtes aufzuarbeiten – eben ihre Reflexionsfähigkeit zu erhöhen – und die eingetretenen Reputationsschäden zu beheben. Dies sind Dinge, die man lange früher hätte sehen können.
Das grösste Risikopotential ist, dass sich auf Seite der Kunden der Konsum moralisch immer mehr auflädt. Moralische Korrektheit von Unternehmen wird zu einem immer wichtigeren Wettbewerbsargument.
Kommt es vor, dass Sie Aufträge abweisen?
Ja klar. Sicher würden wir keine politische oder auch religiöse Organisation, die in irgendeiner Weise den demokratischen Rechtsstaat in Frage stellt mit Reflexionswissen unterstützen. Aber bei uns läuft alles umgekehrt. Wir wählen die Organisationen aus, die für uns interessant sind und versuchen sie dann als Forschungspartner zu gewinnen.
Das VBS scheint fĂĽr Sie kein Problem zu sein?
Nein. Die Landesverteidigung ist Verfassungsauftrag, das VBS ist Departement des Bundes und die Sicherheitspolitik ist derjenige Politikbereich, der sich am meisten bewegt. Daneben ist natürlich beim VBS interessant, dass hier wie überall ein Teil der Sicherheitspolitik zur Staatsraison gehört. Bereiche geheimer Sicherheitspolitik – eben Zonen der Staatsraison – widersprechen dem Öffentlichkeitsprinzip moderner demokratischer Staaten. Dieser Grundwiderspruch, den alle modernen Staaten haben, ist für die Analyse moderner Gesellschaften ausserordentlich spannend.
Ist es für Sie nicht problematisch, dass für diesen Dienst bezahlt werden muss? Dass sich dieses Wissen nicht alle Organisationen leisten können?
Nein. Dass wir Geld für die Forschung kriegen ist gut und wir sind ja frei in der Selbstausbeutung, d.h. wir können Analysen machen, tun dies auch, die weit unter dem Gestehungspreis sind. Zum Beispiel für Gewerkschaften.
FĂĽr die ist es dann billiger?
Für die ist es dann wesentlich billiger. Wir haben auch schon Forschung ganz gratis gemacht. Ich mache auch viele Gratis-Auftritte. Das ist etwas, dass wir uns "erlauben müssen". Das Problem ist einfach, dass man sich um Geld zu beschaffen, den Marktprinzipien stellen muss. Und die Politik des fög ist es, möglichst hohe, maximale Preise zu verlangen - da sind wir beliebig schamlos. Das wird ja nicht privat abgeschöpft, sondern läuft alles wieder in die Forschung rein. Wo wir Interesse haben, die Notwendigkeit einsehen und es spannend ist, da gehen wir auch beliebig runter mit dem Preis.
Wir müssen und wollen uns dem Leistungsprinzip beugen, um Forschungspläne zu verwirklichen. Hierfür kann ich mich nicht im Elfenbeinturm einmauern, nur um mich nicht zu beschmutzen. Das ist keine attraktive Alternative. Denn Erkenntnis entsteht an den Schnittstellen zwischen Elfenbeinturm und den wesentlichen Teilsystemen moderner Gesellschaften.
Ihre finanzielle Abhängigkeit von der Privatwirtschaft ist aber sehr hoch...
Das stimmt. Der fög insgesamt ist zu rund 80% von Drittmitteln abhängig. 20% davon decken wir aus Forschungsförderungsgeldern. Der Rest - 60% - hängt ab von ökonomischen Partnerschaften. Abhängigkeit ist aber immer relativ. Wir müssen einfach unsere Forschungspartnerschaften so aufbauen, dass wir nicht von einer Beziehung abhängig werden.
Wie verträgt sich der Verkauf von Forschungsresultaten mit dem Prinzip, dass Forschungsergebnisse für alle frei zugänglich sein sollten? Veröffentlichen Sie Ihre Ergebnisse aus der Auftragsforschung?
Doch, klar. Es wird immer vertraglich abgesichert, dass wir die Forschungsresultate für die Lehre und für die Wissenschaftsöffentlichkeit brauchen können, dass wir also selbst keine Geheimnisse produzieren. Wir gehen nicht in die Medien mit diesem Wissen, aber für die Forschung muss dieses Wissen zugänglich sein. Wir sind keine private Beratungsfirma, sondern eine Forschungsinstitution.
Sie bezeichnen sich als Gegner der Privatisierungen. Betreiben Sie mit dem fög eine Art offensive Strategie der Wirtschaft gegenüber? Sponsern lassen Sie sich ja nicht.
Ich bin kein Gegner der Privatisierung. Aber ich bin ein Anhänger des Service Public und des smarten Staates der regulieren kann und will und hierfür auch demokratisch legitimiert ist. Nein, einen Sponsor haben wir bis jetzt nicht gefunden, wir arbeiten mit Forschungspartnern. Das heisst, die finanzieren die Forschung, bieten das Forschungsfeld und das entsprechende "Binnen-know-how" und erhalten Reflexionswissen auf systematischer Basis. Ich bin der schlichten Meinung dass wir für die Forschung das Geld holen müssen, wo es ist. Im Sinne einer erweiterten Berthold-Brecht-Fassung von 'Was ist schlimmer, eine Bank zu gründen oder eine Bank zu berauben?' Das Schönste ist natürlich eine Bank in eine Forschungspartnerschaft zu überführen. (lacht) Man muss keine Bank gründen, man muss keine berauben, es ist alles schön legal und man kann dadurch die sozialwissenschaftliche Forschung fördern. Das ist eine sehr funktionale Beziehung.
Besteht nicht die Gefahr, dass Ihre eigene Forschung neben der Auftragsforschung zu kurz kommt?
Nein, denn das, was Sie Auftragsforschung nennen, ist für uns das Mittel zum Zweck für die Grundlagenforschung. Wenn wir unsere Erkenntnisse gewinnträchtig verwerten, dann nutzen wir das, was ohnehin dem Grundlagenforschungsinteresse entspricht. Nämlich die Möglichkeit, Regularitäten öffentlicher Kommunikation präzise zu erfassen.
Aber wird die Forschung nicht in eine bestimmte Richtung gelenkt?
Nein, eigentlich nicht. Unser Grundinteresse gehört dem Strukturwandel der Öffentlichkeit und dem sozialen Wandel moderner Gesellschaften. Wir wollen den Strukturwandel dechiffrieren, wir wollen aufzeigen, wie die Verhältnisse zwischen politischem System, Mediensystem und Wirtschaftssystem sich verändern, wie Normen und Werte sich verändern. Davon lassen wir uns nicht abbringen, hierfür haben wir den fög aufgebaut und hier "pocht" das Herzblut der Forscherinnen und Forscher des fög.
Geht bei diesen zahlreichen intensiven Beziehungen zu wichtigen Akteuren innerhalb Ihres Forschungsfeldes (u. a. UBS, Tamedia AG, VBS) nicht die Unabhängigkeit verloren? Die Gefahr eines Interessenkonfliktes bei der ausgedehnten Beratungstätigkeit des fög ist ja nicht abzustreiten.
Es gibt dieses Problem. Wir können nicht naiv sein und sagen, wir fressen über den Haag, aber eigentlich bleiben wir piekfein. Man braucht eine forschungsethische Grundposition - gewisse Dinge macht man nicht. Wir machen keine Kommunikationsberatungspapers, wir sagen den Unternehmen oder auch den Behörden nicht, wie sie kommunizieren sollen. Wir machen sie nur auf die veränderte Umwelt aufmerksam, auf das, was auf sie zukommt, wo sie Chancen haben und wo sie mit Risiken rechnen müssen. Wir wollen das Reflexionswissen in diesen Organisationen selbst anheben – insofern unterscheiden wir uns grundsätzlich von der Unternehmensberatung, die zu einem guten Teil vom Outsourcen von Reflexionswissen seitens der "betreuten" Organisationen lebt.
Sie geben also keinerlei Handlungsanweisungen?
Nein, aber die ergeben sich natürlich aus der Analyse. Wenn wir zum Beispiel frühzeitig sagen, wir haben es mit einem erheblichen Problem zu tun in Südafrika in Bezug auf das Apartheidgold und die etwas speziellen Beziehungen zwischen dem schweizerischen und südafrikanischen Militär im Kalten Krieg, dann erwarten wir schon, dass dies das aktuelle Handeln beeinflusst. Sonst wäre ja die Organisation nicht lernfähig und für uns uninteressant. Aber wir sagen nicht, stellt euch so und so und so an, sondern wir sagen, es gibt ein hohes und gut begründetes Skandalisierungspotential gegenüber der Schweiz und den Schweizer Banken.
Die Medienperson Imhof
Die Aargauer Zeitung schreibt, Sie seien aus keiner politischen Kommission und Podiumsdiskussion mehr wegzudenken. Die Weltwoche bezeichnet Sie gar als "Allzweckexperten". Was bezwecken Sie mit ihrer Omnipräsenz in den Medien?
Das sind typische mediale Übertreibungen. Der primäre Grund ist zunächst einfach: das ist die beste Werbung, die wir haben. Wir können ja kein konventionelles Marketing betreiben. Also muss man sich die "Expertisierung" der öffentlichen Kommunikation zunutze machen. Die Medien zerschleissen und brauchen einfach Experten am Laufmeter für alle möglichen Dinge. Uns bot sich dadurch die Chance, den Forschungsbereich bekannt zu machen und unser spezifisches Potential so umzusetzen, dass wir Forschungspartnerschaften gewinnen können.
Werbung ist der einzige Zweck?
Nein, aber das ist der Grundzweck. Ich mache sozusagen die Litfasssäule für den fög. Das macht natürlich derjenige, der den höchsten Status hat, denn Medien reagieren auf Status. Nebenher gibt es natürlich auch ein intellektuelles Interesse. Ich bin ja auch Staatsbürger und mische mich ein. Die Sozialwissenschaft hat einen kritischen Auftrag, d.h. sie muss auch Reflexionswissen für die Gesellschaft anbieten.
Sie kritisieren ja immer wieder die verstärkte Personalisierung und Skandalisierung in und durch die Medien. Unterdessen sind Sie aber längst selbst ein Akteur innerhalb dieser Prozesse.
Ja klar, aber Sie können unbefleckt kein Kind empfangen oder zeugen. Ich kann natürlich nur im Rahmen des Medienformats sogenannt intellektuell tätig sein, eben im Rahmen dieser Expertisierung. Daneben gibt es andere Erscheinungsräume, es gibt Vorträge, wissenschaftliche Publikationen, die Universität selbst, wo man andere Formate hat, die wichtiger und effizienter sein können. Aber nichts schlägt die elektronischen Medien in Bezug auf die gesellschaftsweite Abdeckung durch Kommunikation. Wenn man etwas tun will, und sich auch als Vertreter einer Aufklärungswissenschaft versteht, dann darf man nicht pikiert von diesen "vulgären" Medien zurückweichen, sondern man muss es mit ihnen aufnehmen, muss mit ihnen arbeiten.
Politische Position beziehen Sie aber nicht.
Doch, doch, tu ich schon. Aber das sind natürlich reflexive Positionen. Wenn ich beispielsweise darlege, wie stark der Patriotismus in der Schweiz rechtskonservativ verankert ist, bzw. dass die SVP zusammen mit der AUNS den Patriotismus pachten konnte und die entscheidenden Reizbegriffe wie Neutralität und geistige Landesverteidigung, Sonderfall und direkte Demokratie für sich in Anspruch genommen haben. Die Mitte und die Linke haben kampflos diese Nuggets, diese wichtigen Begriffe den Rechtskonservativen preisgegeben. Jetzt gibt es überall eine Renaissance der Swissness, der Patriotismus bricht aus diesem rechtskonservativen Ghetto aus und wird mehrheitsfähig. Auch andere staatstragende Parteien besinnen sich wieder auf eine republikanische Form des Patriotismus. Die expo02 wird dabei zum Katalysator.
Weiterführende Informationen zu Kurt Imhof und zum fög auf www.foeg.unizh.ch
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