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luhmanscher liebeskummer

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Luhmann, der Verwaltungsjurist, der Fremdwörterstapler, der Individuenfeind, nimmt sich in Liebe als Passion - ausgerechnet - der Liebe und den Individuen an. Wer nun aber von der Hitze der Themen auf feurige Analysen schliesst, wird bei der Lektüre arg enttäuscht. Luhmann interessiert sich nämlich nicht für persönliche Phantasien und heisse Affären, sondern untersucht, wie man wann über Liebe geredet und geschrieben hat.

Nein, gerade einfach liest Luhmann sich nicht. Oft sind seine Sätze störrisch, geben ihren Sinn nicht freiwillig her; erzwingen, immer wieder gelesen zu werden. Immer wieder ein Kampf gegen die Liebe als Passion, und es ist völlig unklar: Gewinnen die widerspenstigen Sätze oder die Lesende. Nur gelegentliche glitzernde, schillernde Sätze und die passenden Worte aus Einführungsbüchern - "Bei kaum einer anderen Theorie scheinen die Startschwierigkeiten derart zu sein" - halten einen davon ab, das Buch buchstäblich in die Ecke zu werfen und zu behaupten, dass, wer so unmöglich schreibe, es auch nicht verdient habe, gelesen zu werden. Und dass er zu völligem Unrecht ein soziologischer Klassiker genannt werde.

Aber die Einführungsbücher haben Recht, ein zweiter Blick lohnt sich - und Luhmann plädiert dafür, dass die Soziologie die Lehre vom zweiten Blick sein soll. Sein ganzes Instrumentarium an Begriffen, das sich den Lesenden in den Weg stellt, ebnet gleichzeitig auch Wege, um die Dinge neu zu sehen, sie im Licht der Systemtheorie zu sehen. Mit Austin könnte man sagen "so haben wir uns also mit (...) scharfen, neuen Begriffen bewappnet, um damit in die Wirklichkeit einzubrechen (oder in die Verwirrung - wer weiss!)" (1) . Mit dem Risiko, die Leserin in die Verwirrung zu stürzen, bricht Luhmann also mit seinen Begriffen in die Wirklichkeit der Liebesemantik ein.

Und - nach einigen Kämpfen - fängt man an, Luhmanns Metaphern zu lieben, die beissende Ironie, die kokettierende Bescheidenheit, die Wörter-Bilder und seine gleichzeitige Feinfühligkeit für Details und für jahrhundertelangen Entwicklungen. Und man entdeckt sich selbst. Die eigenen Träume, die eigenen Ängste, das eigene Reden. Und wundert sich nun zumindest nicht mehr über all die brechenden und zerbrochenen Beziehungen. Sondern darüber, dass die "Zumutung der Liebe" immer wieder angenommen wird, dass wir immer wieder lieben und geliebt werden können.

(1) John L. Austin (2002): Zur Theorie der Sprechakte, S. 46.

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